Krieg im Kaukasus: Es droht ein Flächenbrand
Sollte Abchasien stärker in den Konflikt involviert werden, könnte es im Kaukasus zu einer Kettenreaktion kommen.
BERLIN taz Wer in Georgiens Hauptstadt Tbilissi landet, wird sich wenige Minuten später auf dem Weg zum Stadtzentrum auf der sechsspurigen George-W.-Bush-Autobahn finden. Nicht Russisch, sondern Englisch ist erste und populärste Fremdsprache im Land. Tbilissi gibt sich alle Mühe, die politische Westorientierung des knapp 5 Millionen Einwohner zählenden Landes zu betonen.
Ganz anders in der Hauptstadt der abtrünnigen Republik Südossetien. Die knapp 100.000 Bewohner sprechen neben Ossetisch, einer Sprache, die dem Iranischen nahe ist, vor allem Russisch. Fast jeder hat einen russischen Pass, das Straßenbild von Zchinwali und anderen ossetischen Städten erinnert sehr an die alte Sowjetunion. Russisches Fernsehen hat immer noch die höchsten Einschaltquoten. Die Kluft zwischen Osseten und Georgiern ist unübersehbar.
Unter dem aus Georgien stammenden Josef Stalin war Ossetien in zwei Gebietseinheiten geteilt worden: Nordossetien wurden eine autonome, zu Russland gehörende Republik, Südossetien wurde 1922 als autonomes Gebiet innerhalb Georgiens eingerichtet.
1989 gründete sich in Südossetien eine "Volksfront", die die Loslösung von Georgien forderte, am 10. November 1989 beschloss der Oberste Sowjet des Bezirks die Gründung einer Südossetischen Autonomen Sowjetrepublik, die von der Sowjetunion aber wieder abgeschafft wurde. Es kam zu ersten gewalttätigen Auseinandersetzungen. Nachdem sich Südossetien am 20. September 1990 ein zweites Mal für unabhängig erklärt hatte, marschierten georgische Milizen in das abtrünnige Gebiet ein. Über 2.000 Menschen wurden in diesem Krieg getötet, Zehntausende flohen.
Der damalige russische Präsident Boris Jelzin und Eduard Schewardnadse, Präsident des seit April 1991 unabhängigen Georgiens, unterzeichneten im Juni 1992 ein Waffenstillstandsabkommen, das bis jetzt auch weitgehend eingehalten wurde.
Eine Friedenstruppe von Russen, Osseten und Georgiern, die von einer gemischten Kontrollkommission beaufsichtigt wird, sollte den Frieden sichern. Georgien hatte sich in der jüngsten Zeit jedoch immer mehr aus dieser Kontrollkommission zurückgezogen, da man Russland als Vermittler nicht mehr tolerieren könne. Georgien würde es begrüßen, wenn die Europäische Union mehr Verantwortung im Konfliktmanagement erhielte.
In einem Interview mit der ukrainischen Zeitung Delo warnte Eduard Schewardnadse Russland vor der Anerkennung von Südossetien und Abchasien. Diese könnte letztendlich für Russland selbst zu einem Problem werden, zitiert das ukrainische Internetportal "Novij Region - Kiew" das Interview mit dem ehemaligen georgischen Präsidenten. Er spielt auf Regionen Russlands an, in denen man mit einer größeren Unabhängigkeit vom Zentrum liebäugele. Schewardnadse glaubt, dass der Westen Georgien in dem Konflikt lediglich "psychologisch unterstützen" werde. Eine Verschlechterung seiner Beziehungen zu Russland würde er nicht wegen Georgien riskieren.
Anfang der 90er-Jahre hatten drei Kriege im Südkaukasus gewütet: der Karabach-Krieg, der georgisch-abchasische und der georgisch-ossetische Krieg. Diese sind nicht beendet. Der Waffenstillstand wird immer wieder von gelegentlichen Schusswechseln unterbrochen, jederzeit könnte wieder ein heißer Krieg ausbrechen. Vor dem Hintergrund des georgisch-ossetischen Krieges hat sich der Sicherheitsrat der nicht anerkannten Republik Abchasien gestern zu einer Sondersitzung getroffen. Abchasiens Präsident Sergej Bagapsch überzeugte sich gestern persönlich vor Ort von der Kampfbereitschaft der abchasischen Truppen. Vielleicht sei Abchasien als Nächstes an der Reihe, so Bagapsch. Deswegen müsse man gewappnet sein.
Die Lage im Südkaukasus ist bereits jetzt wegen des georgisch-ossetischen Krieges besonders angespannt. Spätestens wenn die ersten bewaffneten Freiwilligenverbände aus dem russischen Nordkaukasus in Ossetien eingetroffen sind, um ihren Brüdern in Südossetien beizustehen, ist ein Flächenbrand im Kaukasus nicht auszuschließen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW