Passanten stehen vor ukrainischen Fähnchen, die in die Erde gesteckt wurden

Kyjiw, 19. April 2023, Unabhängigkeitstag. Menschen gedenken der Gefallenen Foto: Dominika Zarzycka/imago

Krieg gegen die Ukraine:Was es heißt, Ukrai­nerin zu sein

Es ist Krieg. Was das bedeutet? Polina Fedorenko weiß es. Sie ist 22, kommt aus Kyjiw und schreibt über ihren Alltag, ihre Angst, ihre Hoffnung.

Ein Artikel von

18.6.2023, 19:39  Uhr

Polina Fedorenko führt seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 regelmäßig Tagebuch für die wochentaz. Die 22-Jährige kommt aus Kyjiw, sie studiert dort Soziologie. Zwischenzeitlich lebte sie in Lviv, nun ist sie zurück in Kyjiw.

Der zehnte Sommer der Angst

Für diesen Text wurde ich gebeten, über den beginnenden zweiten Kriegs­sommer zu schreiben. Eigentlich aber ist es der zehnte Sommer des Krieges. Der zehnte Sommer der Angst und Sorge vieler Ukrainer, dass ihre Angehörigen nicht von der Front zurückkehren.

Zu sagen, dies sei der zweite Sommer, würde bedeuten, all jene zu vergessen, die schon vor Beginn des großflächigen russischen Angriffskriegs vermisst und getötet wurden, die damals ihre Häuser verloren haben und die nicht mehr mit ihren Verwandten kommunizieren konnten. Die angefangen haben, Ukrainisch zu sprechen und sich ihrer politischen und kulturellen Identität bewusster wurden – wider das russisch-imperiale System, das die Ukraine als souveränen Staat nicht anerkennt.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ich möchte dem ukrainischen Militär danken: den Soldaten und Soldatinnen an der Front und den Verteidigungskräften, die nachts, während ich schlafe, Drohnen und Raketen abschießen. Ohne all diese Menschen, lebendig und leider auch tot, wäre ich nicht in der Lage, dies zu schreiben. Ich danke euch!

Winter

Beginnen muss ich aber mit dem Kriegswinter 2022/23. Ich erinnere mich, dass, als ich ein Kind war, mal bei Renovierungsarbeiten zu Hause das Licht ausgeschaltet wurde und ich fröhlich durch die Wohnung rannte und Kerzen suchte, um dann mit meiner Mutter, meinem Vater und meiner Schwester am Tisch zu sitzen und bei Kerzenlicht Bratkartoffeln zu essen. Kerzen assoziiere ich mit solchen Abenden oder mit Liebesfilmen, die man bei Kerzenlicht schaute, um eine romantische Atmosphäre zu erzeugen. Kerzen erinnerten mich an Geburtstage, an süße Torten.

Erst jetzt, nach diesem Winter, verstehe ich, wie die Menschen vor der Elektrifizierung und der Erfindung der Glühbirne lebten. Die Helle des Tages und die Dunkelheit der Nacht ordneten das mensch­liche Leben. Mit dem Sonnenuntergang endete der Tag.

Mein Tagesablauf ist in diesem Winter abhängig vom Zeitplan der Not­abschaltung. Morgens ist es eine Lotterie, ob ich eine Vorlesung über moderne soziologische Theorien besuchen kann oder nicht – ob ich Netz haben werde, um Zoom-Vorlesungen zu besuchen. Der Supermarkt nebenan wirbt für den Verkauf von Stromgeneratoren. Das Geräusch dieses Winters: das Brummen der Generatoren in der Dunkelheit, dazu der Geruch von Benzin.

Ich weiß nicht, wie oft ich mich diesen Winter über Elektroautos lustig gemacht habe, die an einer Ladestation aufgeladen werden mussten, die wiederum von einem Generator aufgeladen wurde, der Benzin verbrauchte, um Energie zu erzeugen. Welch ein ökologischer Kreislauf!

In den Supermärkten ist es beliebt, sich um die Steckdosen herum zu scharen. Dort laden die Menschen ihre Handys auf. Sie drängen sich mit ihren Ladegeräten und Smartphones zusammen. Plötzlich sammeln sich alle im Supermarkt: Teenager, ältere Menschen, Berufstätige. Den gesamten Winter über gibt es immer wieder Stromausfälle. Der längste dauert zwei Tage. Es beginnt mit Raketenangriffen, dann fallen Licht und Mobilfunk aus.

Zwei Personen gehen durch eine Straße in Kiew, erleuchtet von ihren Smartphone-Taschenlampe

Kyjiw, 11. November 2022: Dunkelheit nach dem Stromausfall, verursacht durch einen russischen Bombenangriff Foto: Maxym Marusenko/imago

Ich erinnere mich, wie mein jüngerer Bruder Jaroslaw irgendwann keine Lust mehr hat, seine Hausaufgaben bei Taschenlampenlicht zu machen, und mich überredet, eine Kerze anzuzünden. Ich erinnere mich, wie wir in der Küche eine batterienbetriebene Girlande aufhängen, die meine Mutter bestellt hat und die nach ihrem Tod eingetroffen ist. Mit ihren Lichtern erinnert sie uns an sie.

Ich erinnere mich an die goldene Regel, dass alle Powerbanks aufgeladen sein müssen. Alle elektronischen Geräte sollen aufgeladen werden, wenn es Strom gibt.

Ich erinnere mich, wie meine Schwester Sonya und ich uns auf die Jagd nach Kerzen begeben, weil sie in den Läden in einem Irrsinnstempo weggekauft werden. Die Preise für Taschen­lampen, Batterien und elektrische Girlanden sind um ein Vielfaches gestiegen.

Ich erinnere mich, dass alle Oberbekleidung mit Reflektoren ausgestattet sein muss und dass man im Dunkeln, wenn man die Straße überquert, die Taschenlampe am Handy einschalten muss, damit die Autofahrer die Passanten sehen.

Ich erinnere mich an Nebel und Dunkelheit. Wie beunruhigend das war.

Ich erinnere mich, dass ich auf dem Heimweg vom Stadtzentrum auf die Ampel an der Kreuzung schaue, um festzustellen, ob es zu Hause wohl Strom geben würde oder nicht.

Da ist aber nicht nur Ungewissheit und Unruhe, da ist auch Entschleunigung und viel Wärme. Ein erzwungener digitaler Detox. Ich muss mich mit mir selbst auseinandersetzen. Und damit, was direkt um mich herum geschieht.

Ich habe oft bei Kerzenlicht gelesen.

Ich habe oft Bilder von meiner Familie gemalt.

Ich spiele Brettspiele mit Jaroslaw und meinem Vater.

Ich bin oft in meiner Nachbarschaft herumgelaufen und habe Fotos ­gemacht. Als ich sie aufnahm, spielte ich mit der Belichtung der Kamera, damit wenigstens etwas auf dem Bild zu sehen war.

Es ist auch eine Zeit, in der Freunde von Freunden mir schreiben und mich darum bitten nachzusehen, ob es ihren Verwandten gut geht. In der Stadt wissen wir irgendwie immer, wo es Bombardements gab und welcher Stadtteil gerade ohne Strom und Mobilfunkverbindung ist. Dank dieser Informationen können wir den Leuten sagen, ob ihre Angehörigen wohl in Sicherheit sind.

Der Tod I

Der Tod ist für mich eine Frau. Sie ist so vertraut, so nah. Sie war eine Besucherin aller Veranstaltungen, sie war der Subtext

Der Tod ist für mich eine Frau. Sie ist so vertraut, so nah. Sie war eine Besucherin aller Veranstaltungen, sie war der Subtext.

An einem Märzmorgen scrolle ich durch die Beiträge auf Instagram und stelle fest, dass dort ein Nachruf nach dem anderen auftaucht, geliebte Menschen, Geschwister, Eltern, Kinder von jemandem, den ich persönlich kannte. Jede weitere Geschichte scheint ein Messer in mein Herz zu stoßen und Schmerz zu verursachen. Aber das ist nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den die Person empfindet, für die der oder die Gestorbene die Welt bedeutete.

Auf dem Maidan gibt es einen Ort, an dem folgender Satz zu lesen ist: „Stellen Sie hier eine Flagge hin, wenn Sie jemanden kennen, der im russisch-ukrainischen Krieg gefallen ist.“ Ich vermeide es, an diesem Ort vorbei­zu­gehen, denn die Zahl der Fahnen wächst exponentiell, die Zahl der toten Ukrainer wächst exponentiell.

In der Kiew-Mohyla-Akademie, wo ich studiere, findet eine Abschiedsfeier für einen Studenten der Militärphysik statt, der zwei oder drei Jahre jünger war als ich.

In der Gedenkstätte, die an die ukrainischen Getöteten seit 2014 erinnert, bin ich jedes Mal, wenn ein Gesicht auftaucht, das jünger ist als ich, voller Hass auf die Russen.

Eines hat mich der allgegenwärtige Tod gelehrt: die Kommunikation mit Menschen nicht aufzuschieben. Der Gedanke, dass einer von uns das nächste Treffen nicht mehr erleben wird, bestimmt das soziale Leben. Ich sage einer Person nun öfter, dass sie mir sehr wichtig ist und ich gerne Zeit mit ihr verbringe. Solange ich es ihr noch sagen kann.

Der Tod II

Der Tod relativiert, verkleinert andere Probleme. Eine schlechte Note in einer Prüfung? Macht nichts; Hauptsache, ich lebe noch. Streit mit Papa? Auch kein großes Problem, denn ich lebe und er lebt, und wir können wieder miteinander reden. Der Körper ist müde und wund? Hah, ich habe einen Körper, der weh tun kann, weil er lebendig ist.

Manchmal will ich nicht leben.

Weil es so weh tut, dass ich schreien, mit den Fäusten gegen die Wand schlagen und ununterbrochen weinen möchte.

Manchmal möchte ich tot sein, damit ich das nicht spüren muss.

Es ist interessant, dass wir als Gesellschaft nach und nach lernen, den Tod nicht zu tabuisieren und ihm einen Platz in unserem Leben einzu­räumen. In Lviv sprach ich darüber neulich mit Olja, die ihren Vater 2014 in der Schlacht von Ilowaisk verloren hat. Sie verglich ihre Erfahrungen mit dem, was sie jetzt beobachtet: Menschen, die jemanden in diesem Krieg verloren haben, wollen den Schmerz nicht allein ertragen müssen, sie verschanzen sich nicht in ihren Häusern. Im Gegenteil, der Schmerz ist ein Anlass, sich mit anderen zusammenzuschließen und gemeinsam zu trauern. Die Gemeinschaft zu stärken.

Der Tod ist keine einsame Erfahrung mehr.

Selfie von drei lachenden Jugendlichen in einer Wohnung, die beiden Mädchen halten jeweils eine Katze im Arm

Zu Hause während eines heftigen Bombardements: unsere Autorin, ihre jüngeren Geschwister und die Katzen Foto: Polina Fedorenko

Vor einigen Wochen wurde in Lviv ein Restaurant mit dem Namen Republic of the Garden eröffnet. Es ist das dritte Projekt des Lemberger Gastro­nomen Dmytro Pashchuk. Es wurde schon von dessen Freundin Hanusia fertiggestellt, weil Dmytro im März an der Front gefallen ist. Nun ist es ein Ort der Erinnerung. Die gesamte Wand ist mit Fotos von Dmytro mit seiner Freundin, seinen Freunden und seiner Familie bedeckt.

An einem anderen Tag besuchen wir die Gedenkstätte der Himmlischen Hundert. Das ist ein kleiner Gartenplatz auf einem Hügel, von dem aus man die Dächer von Lviv und wunderschöne Sonnenuntergänge sehen kann.

Der Ort verbindet die Erinnerung an den Tod der Helden mit dem Leben, verwebt die Geschichte der Revolution der Würde mit dem Leben der jungen Menschen, von denen viele zu jung waren, um an der Revolution teilzunehmen. Für mich geht es an diesem Ort um das Leben nach dem Tod eines wichtigen Menschen. Ich möchte, dass es noch mehr Gedenkstätten gibt, damit wir uns daran erinnern, was der Preis ist für die Freiheit, Ukrainer zu sein.

Eine Geschichte über die Zivilgesellschaft

Anfang des Jahres sah ich, dass das ­Kyjiwer Filmfestival DocuDays Frei­willige für sein Festival suchte. Ich bewarb mich, ohne groß nachzudenken. Ich interessiere mich eigentlich nicht für Dokumentarfilme, aber die DocuDays haben mir gezeigt, dass Dokumentar­filme nicht nur über Wild­tiere, sondern auch über soziale Bewegungen, Veränderungen und Revolutionen berichten können. Dass Filme ein gutes Mittel sind, um sich für Menschenrechte einzusetzen. Das Thema der 20. DocuDays lautet „Image of the Future“. Es werden Filme gezeigt, die sich mit der Erfahrung des Krieges und der Zukunft nach dem Krieg in anderen Ländern befassen. Für die Ukraine ein immer wichtigeres Thema.

An diesem Wochenende ist ein Vorbereitungstraining für uns Freiwillige. Ich fühle mich erfüllt und inspiriert. Ich bin so froh, dass es Menschen gibt, die bereits über die Ukraine der Zukunft nachdenken, über die Herausforderungen, die bereits aufgetreten sind und erst noch auftreten werden. Darüber, wie wir schon jetzt an Lösungen arbeiten können.

Die Gesellschaft und der Krieg

Der Krieg ist für die Ukrainer nicht neu, aber im zweiten Jahr des Angriffs­krieges hat er erhebliche Auswirkungen auf den psychischen Zustand aller Einwohner der Ukraine. Während der DocuDays-Schulung erwähnte jemand die Adrenalinsucht, die die Bewohner der Städte an der Front und der Städte, die am häufigsten von russischen Luftangriffen getroffen werden, entwickeln können.

Es klingt seltsam, aber ich merke, wie mein Angstpegel ansteigt, wenn es lange Zeit, 5 bis 6 Tage, keinen Luft­alarm gibt. Es ist merkwürdig: Wenn es Luftalarm gibt, gibt es Explosionen, die mit Stress und Adrenalin verbunden sind, aber wenn es keinen gibt, fühlt es sich an, als ob etwas schiefliefe.

Viele von uns haben Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung. Ich erinnere mich daran, wie ich mich vergangenes Jahr, als ich nach Lviv zog, krank fühlte und jedes Mal erstarrte, wenn ich Verkehrsgeräusche auf dem Kopfsteinpflaster hörte – weil es sich wie der russische Raketenwerfer BM-21 anhörte. Jetzt habe ich große Angst vor lauten Geräuschen, Blitzen, Signalen. Ich versuche sofort, die Quelle des Geräuschs zu finden und sicherzustellen, dass es keine Gefahr für mich darstellt.

Am letzten Maiwochenende herrscht die ganze Nacht über Fliegeralarm. Ich schlafe wie eine Tote, das ist meine Superkraft. Ich schlafe zum Klang von Explosionen und Sirenen. Als ich am Morgen danach zur Freiwilligenschulung komme, sprechen wir darüber, wie wir die Nacht überlebt haben.

Es gibt Leute wie mich, die friedlich zu den Geräuschen der Luftabwehr schnarchen, und es gibt Leute wie meinen Freund, die bis zum Morgen nicht einschlafen können. Nur noch wenige begeben sich auf den Flur oder in den Schutzraum. Wir sind uns alle einig, dass es besser ist, in seinem eigenen weichen Bett im Schlaf zu sterben als auf dem harten Flurboden.

Aktuelle Herausforderungen

Es gibt viele Themen, die durch die russische Invasion in den Vordergrund gerückt sind. Eines ist die gleichgeschlechtliche Partnerschaft.

Darüber wird schon seit Langem diskutiert, aber jetzt ist sie aktueller denn je. Gegenwärtig umgehen ­gleich­geschlechtliche Paare die gesetzlichen Beschränkungen, so gut es geht: Sie schließen Scheinehen mit Ver­wandten oder Freunden des Partners, schreiben die Eigentumsverhältnisse um und so weiter.

Eine nicht eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaft bedeutet, dass im Falle des Todes eines der Partner der andere nicht Erbe sein kann und nicht das Recht hat, über die Bestattung des Leichnams seines ge­liebten Menschen zu entscheiden. Das bedeutet auch, dass der Partner im Falle einer schweren Verletzung keine Entscheidungsbefugnis in Bezug auf Wiederbelebungsmaßnahmen hat.

Ein neues Gesetz, das gleichgeschlechtliche Partnerschaften erlaubt, wird nun zum zweiten Mal von der Regierung geprüft. Beim ersten Mal wurde es mit dem Argument abgelehnt, dass niemand weiß, wie viele Vertreter der LGBTQI+-Gemeinschaft an der Front sind und ob dieses Gesetz relevant ist.

Der Krieg bringt Klarheit darüber, was für mich wirklich wichtig ist

Ein weiteres Thema: der Zugang zu Eizellen und Samenbanken. Wenn Menschen ihr Erbgut in Eizellen- und Samenbanken lagern, wird das vom Staat gefördert. Es gibt viele Fälle, in denen ein Paar Kinder haben möchte und Angst hat, dass der Partner an der Front stirbt. In solchen Fällen gibt der Mann sein Sperma zur Aufbewahrung und unterschreibt eine notariell ­beglaubigte Erlaubnis für seine Frau, das Sperma nach seinem möglichen Tod zu verwenden. Auf diese Weise kann die Witwe gemeinsame Kinder mit dem verstorbenen Ehemann bekommen.

Ein dritter Punkt ist die Tatsache, dass Frauen auch im Militär sind. Wenn wir über das Militär sprechen, denken wir immer noch an Männer. Dabei ist jeder dritte ukrainische Soldat eine Frau. Früher kam es häufig vor, dass eine Frau im Militär nicht als Frau im Militär registriert war und ihre Position als Köchin, Näherin oder Buch­halterin angegeben wurde.

Seit 2016 können Frauen Kampfpositionen bekleiden und es gibt bereits Statistiken über die Anzahl der Frauen in der ukrainischen Armee. Frauen im Militär sind mit vielen Problemen konfrontiert, die für die Gesellschaft nicht sichtbar sind – die Uniformgröße, die Schuhe, der Mangel an Hygiene­artikeln.

In dem Film „Die ­Vision eines Schmetterlings“ wird ein weiteres konkretes Risiko für Soldatinnen dargestellt: in Gefangenschaft zu geraten und sexuelle Gewalt zu erleben. Beides wird auch Männern angetan. Aber Frauen droht bei Vergewaltigung zusätzlich die Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft.

Eine kleine Schlussfolgerung

Der Krieg beendet das Leben nicht. Er verkompliziert es, er fügt Schmerz, fügt Tiefe und Bewusstsein hinzu. Der Krieg bringt Klarheit darüber, was für mich wirklich wichtig ist: Menschen – und meine beiden Katzen.

Eine Kerze brennt in einem Glas, davor sitzt eine schwarze Katze

Blackout in Kyjiw mit Katze Foto: Polina Fedorenko

Nachdem meine Mutter kürzlich an Krebs gestorben ist, kehrte ich nach Kyjiw zurück. Ich habe den Verlust gleich auf mehreren Ebenen erlebt: Ich verlor meine Mutter und ich verlor auch mein Alltagsleben, das ich mir in Lviv aufgebaut hatte. Ich hatte keine engen Freunde in Kyjiw, weil sie alle ins Ausland oder in andere Städte gezogen waren.

Meine engsten Freunde wurden meine Katze Sara (die vor ein paar Tagen auch gestorben ist) und mein jüngerer Bruder Jaroslav, mit dessen Augen ich die Blackouts als ein großes, aufregendes Abenteuer wahrnahm. Aber ich hatte auch meine Studentengruppe, mit der wir einen Tag pro Woche offline in der Bibliothek lernten. Jeden Donnerstag versammelten wir uns an einem großen Tisch in der Bibliothek und hörten uns gemeinsam ein Thema zur Datenanalyse an.

Diese Zusammenkünfte haben uns zu Freunden gemacht. Wir diskutieren über die Nachrichten, betrachten die Welt mithilfe der soziologischen Theorien, die wir studiert haben, reden über Zukunftspläne und das Leben, wir machen Ausflüge. Unter uns sind Stadtplaner, die sich auf den Wiederaufbau von Städten vorbereiten, und Aktivisten, die sich für die Rechte der LGBTQI+-Gemeinschaft engagieren, sowie ein Militär­offizier von der Territorial­verteidigung, der mit uns in eine Bar geht und über die Mechanismen der Räumung der Regionen Donezk und Luhansk diskutiert.

Ich liebe diese Menschen. Ich liebe meine Freunde in Lviv, die gerade ihr Studium abschließen. Ich bin stolz auf sie. Ich liebe die Menschen, mit denen ich während des ­Kyjiwer Dokumentarfilmfestivals zusammengearbeitet habe.

Dies ist die Art von Leben, für die ­unsere Soldaten und Soldatinnen kämpfen. Wir denken jeden Tag an sie. Ich bin all den Menschen dankbar, die die Ukraine zu dem Land machen, in dem ich leben möchte.

Aus dem Englischen: Jens Uthoff

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