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Krankenversicherung in den USAMillionen wollen Obamacare

Die Zukunft der Gesundheitsreform von Expräsident Obama ist ungewiss. Dennoch haben sich 2017 mehr als 12 Millionen Menschen dafür angemeldet.

Es sind wohl Millionen dem Aufruf gefolgt: Werbeschild für Obamacare in Kalifornien Foto: reuters

Washington ap | Mehr als 12,2 Millionen Menschen haben sich in diesem Jahr in den USA für die von Ex-Präsident Barack Obama eingeführte Krankenversicherung angemeldet – ungeachtet der Unsicherheit, wie es damit weitergeht. Denn Präsident Donald Trump hat angekündigt, die Reform seines Vorgängers, die Republikaner auch als Obamacare bezeichnen, rückgängig zu machen und zu ersetzen.

Einer Erhebung der Nachrichtenagentur AP zufolge blieben viele Verbraucher dem Programm treu, trotz seiner Probleme. Zu diesen zählen neben den politischen Turbulenzen ein deutlicher Anstieg der Versicherungsprämien, eine höhere Selbstbeteiligung und eine schrumpfende Anzahl von Anbietern.

Zwar haben sich aktuell etwa vier Prozent weniger Kunden für das Programm angemeldet als im Vorjahr. Doch zeigt die beachtliche Zahl von Antragstellern, dass die Republikaner ein hohes Risiko eingehen, wenn sie das Gesetz für eine erschwingliche Krankenversicherung demontieren und durch einen konservativen, noch nicht näher definierten Ansatz ersetzen. Aus der AP-Analyse geht hervor, dass mit 64 Prozent eine deutliche Mehrheit derer, die sich für das Programm eingeschrieben haben, in US-Staaten lebt, in denen Trump bei der Wahl im November siegte.

„Wenn sie es ersetzen, dann muss es schon genauso gut oder besser werden als das, was es jetzt gibt. Wenn nicht, wird es sie teuer zu stehen kommen“, sagt John Chipman, ein Schlagzeuger aus Austin, Texas. Er hat auch seine Frau und die beiden Kinder mit Hilfe von Obamacare versichert. Um einen starken Prämienanstieg zu vermeiden, beschränkt sich die Familie in diesem Jahr jedoch auf eine „Bronze“-Versicherung, während es vergangenes Jahr noch die „Silber“-Variante war. Doch ohne das Gesetz würden er und seine Frau wegen Vorerkrankungen vermutlich von keiner Versicherung aufgenommen, sagt Chipman.

Historisches Tief an Nichtversicherten

Vincent Daley aus Cambridge, Massachusetts, hat sogar drei Jobs, aber keiner von ihnen bietet eine Krankenversicherung. Er schrieb sich im vergangenen Jahr ein. „Versichert zu sein war extrem wichtig, denn ich habe schonmal einen Unfall erlitten, beim Rugbyspielen“, sagt Daley.

Unter Obamacare fiel die Zahl der Nichtversicherten in den USA auf ein historisches Tief von etwa neun Prozent. Seit der Verabschiedung des Gesetzes 2010 wurden rund 20 Millionen Menschen abgesichert. Zusätzlich zu den staatlich subventionierten Privatversicherungen, die über die Regierungswebsite HealthCare.gov vermittelt werden, dürfen US-Staaten demnach das bereits länger existierende Medicaid-Programm ausweiten, um mehr Erwachsene mit niedrigem Einkommen abzusichern.

Die Republikaner argumentieren, dass die Zahl der diesjährigen Antragsteller gar kein Erfolg sei. Denn eigentlich hatte Obamas Regierung für diesen Zeitraum mit 13,8 Millionen Antragstellern gerechnet.

Die Zahl der Versicherungsnehmer nehme seit dem vergangenen Jahr stetig ab, denn es sei unpopulär und koste zu viel, sagt der republikanische Senator Orrin Hatch. Seine Partei wolle für eine „verantwortungsvolle Übergangsphase“ sorgen, um so viel Stabilität wie möglich für die Versicherungsnehmer sicherzustellen. Der Sprecher des Gesundheitsministeriums, Matt Lloyd, sagte, die neue Regierung betrachte Obamacare als Fehlschlag und setze auf Alternativen, die „für das amerikanische Volk funktionieren“ würden.

Missverständnisse bei den Kunden

Befürworter des Gesetzes sagen, die Ungewissheit über seine politische Zukunft habe vermutlich viele Menschen davon abgehalten, sich erneut zu versichern. „Wir haben von Verbrauchern gehört, sie hätten gedacht, Obamacare sei mit der Regierung von Präsident Obama beendet worden“, sagt Elizabeth Colvin, Leiterin des Krankenversicherungsprogramms bei Foundation Communities, einer gemeinnützigen Organisation in Austin, die sich um Menschen mit geringem Einkommen kümmert. Manche Verbraucher hätten gesagt, „warum soll ich mich darum kümmern, wenn es sowieso abgeschafft wird?“.

Doch trotz der schwierigen Ausgangslage habe ihr Programm rund 4.000 Menschen und damit sechs Prozent mehr als im vergangenen Jahr zu einem Antrag bewegt, sagt Colvin. „Diese Zahlen zeigen, dass eine Nachfrage nach dieser Versicherung besteht, und dass die Menschen in dem finanziellen Schutz und dem Zugang zur Krankenversicherung einen Wert sehen.“

Als neuer Gesundheitsminister wurde der Abgeordnete und Obamacare-Kritiker Tom Price aus Georgia am Freitag im Amt vereidigt. In seinem Anhörungsverfahren erklärte er, die Regierung wolle bereits Versicherten nicht den Boden unter den Füßen wegziehen. Und er räumte ein, dass es bislang keinen fertigen Ersatzplan gibt.

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5 Kommentare

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  • Vielleicht sollte man einfach eine Umbenennung vornehmen und aus "Obama-Care" eine "Trump-Care" machen. Ich würde wetten, dass er das dann gerne auf seine breiten und verantwortungsvollen präsidialen Schultern nimmt und dem Volk damit eine weitere Sorge ersparen würde ,-))

  • Eine völlige Rücknahme von Obamacare wird es nicht geben. Dies wäre auch gar nicht im Sinne der Republikaner. Die USA pumpen derzeit rund 25% ihres Budgets in die Gesundheitsfürsorge, ähnlich wie in Deutschland bei dem Problem Sozialleistungen - Kommunen steht in den USA die große Ausgabenlast bei den Bundesstaaten, die dort vielfach überfordert werden. Es ist also im Sinne aller Parteien, den eingeschlagenen Weg weiter zu gehen. Jedoch krankt Obamacare an strukturellen Defiziten. Allein die Wahlmöglichkeit, sich entweder zu versichern oder aber eine "Strafe" zu zahlen (die lediglich einem Bruchteil der Beiträge entspricht) war eine Dummheit. Die Jungen, Gesunden (= "positive Risikogruppe") zahlt lieber die "Strafe" und hofft auf Gott, während die "negative Risikogruppe" (Personen, die bereits vom 1. Tag an Leistungen beziehen) in Massen in die KV geströmt ist, was die Beiträge für alle um teilweise 25% ansteigen ließ. So kann eine Versicherung jedoch nicht funktionieren.

     

    Jetzt wird es darauf ankommen, ob es gelingt, den politischen Sprengstoff aus der Debatte zu nehmen und nach objektiven und wirtschaftlichen Kriterien eine Reform auf den Weg zu bringen. Die Chancen stehen 50/50.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Obamacare ist ein Zusammenspiel aus Beiträgen und Steuerrückerstattungen, was es nicht so vergleichbar macht mit z.B. der hiesigen gesetzlichen KV.

     

    Um beim Beispiel zu bleiben:

    "Bronze Plan" Beitrage wurden im letzten Jahr um 21% verteuert, sie sind gestaffelt (ist halt eine private KV) nach dem Alter der Versicherten und eine Familie kann auch mit diesem Eingangstarif durchaus 1.000 USD im Monat zahlen. Entwicklung? Kann man auch hier bei privaten KV sehen.

    https://www.healthpocket.com/healthcare-research/infostat/2017-obamacare-premiums-deductibles#.WKBOq2_hCUk

     

    Mich würde eigentlich mehr die Rolle von Medicare und Medicaid und evtl. Substitutionsrolle zu Obamacare interessieren.

    • @10236 (Profil gelöscht):

      Medicare und Medicaid könnte man am besten als eine Form der staatlichen Fürsorge bezeichnen, die nur einem zuvor bestimmten Personenkreis offen steht.

       

      Um Medicare nutzen zu dürfen muss man entweder das 65. Lebensjahr erreicht haben, über eine anerkannte Behinderung verfügen oder regelmäßig auf Dialyse angewiesen sein.

      Medicaid steht allen Personen zur Verfügung, deren Einkommen unterhalb des "Federal Poverty Level" liegt. Der FPL wird jedes Jahr neu bestimmt, er liegt derzeit bei rund 11.770 $ Jahreseinkommen für eine Einzelperson und steigert sich bis 40.890 $ für einen Haushalt mit acht Personen (andere Werte gelten für Alaska und Hawaii).

       

      Fällt eine Person nicht unter diese Bestimmungen, so kann sie nicht von ihnen profitieren. Im Falle von Medicaid bedeutet das, dass die Person erst ihr ganzes Vermögen und Einkommen bis zur o.g. Grenze aufbrauchen muss, um staatliche Hilfe in Anspruch nehmen zu können.

       

      Die Subsidies sind ein Zuschussprogramm für Medicaid, welches Personen unterstützt, deren Einkommen 100-400% des FPL besträgt. Bei ihnen werden die abgeführten Steuern direkt von der Behörde an die KV weitergereicht, um die Beiträge zu entlasten. Es gibt auch direkte Zuschüsse. Einzelheiten siehe hier: https://www.verywell.com/federal-poverty-level-health-insurance-1738406