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Krank durch WeizenprodukteDer Hype mit dem „glutenfrei“

Weizensensitivität ist ein anerkanntes Leiden. Möglicherweise ist nicht Gluten der Auslöser. Für Gesunde ist Weizen ungefährlich.

Produkte mit der Aufschrift „glutenfrei“ gehen derzeit besonders gut in den Lebensmittelgeschäften. Foto: imago/Zuma Press

Wenn man Mehl mit Wasser verrührt, erhält man einen hervorragenden Bastelkitt. Das verdankt das Gemisch einem Eiweißbestandteil des Weizens – dem Gluten. Und weil es nicht nur als Uhu-Ersatz taugt, sondern vor allem Teige elastisch macht, heißt Gluten auch Klebereiweiß. Zudem bindet es Kohlendioxid und sorgt dafür, dass ein Hefe-, aber auch ein Sauerteig aufgeht.

Doch seit geraumer Zeit wird dieser Stoff, der vor allem im Weizen, aber auch in anderen Getreidesorten wie Dinkel, Roggen, Grünkern, Gerste und Hafer steckt, verteufelt. Gluten gilt geradezu als Gift, Weizen als ausgemachter Schurke. So warnt etwa der US-Kardiologe William Davis in seinem Buch „Weizenpampe. Warum Weizen dick und krank macht“, dass das allseits beliebte Getreide auch in seiner Vollkornvariante Übergewicht, Rheuma, Asthma, multipler Sklerose und Schizophrenie verursache. David Perlmutter, ein Neurologe ebenfalls aus den USA, sieht glutenhaltige Lebensmittel gar als die größte Bedrohung für die menschliche Gesundheit.

Rund ein Drittel der Amerikaner folgt diesen Warnungen und versucht, entsprechende Produkte zu meiden, hierzulande tut das immerhin jeder Zehnte. Doch profitieren all diese Menschen tatsächlich von einer weizenfreien Diät?

Nein, meinen Experten, nur ein paar wenige, nämlich Menschen, die an Weizenunverträglichkeit leiden. Etwa an Zöliakie, eine schwere Autoimmunkrankheit, bei der die Darmzotten durch Entzündungsprozesse regelrecht abrasiert werden. Betroffene müssen ein Leben lang jegliches Gluten meiden, schon Mehlstaub kann schwere Bauchschmerzen und andere, unspezifischere Symptome wie Abgeschlagenheit hervorrufen.

In Deutschland sind rund 0,3 bis 0,5 Prozent der Bevölkerung betroffen. Rechnet man eine Dunkelziffer dazu, ist es etwa 1 Prozent. Unter einer Weizenallergie leidet sogar nur einer von 1.000 Deutschen. Mit Tests lassen sich Zöliakie und Allergie zweifelsfrei diagnostizieren.

Diagnose nur durch Ausschlussverfahren

In der „S2k-Leitlinie Zöliakie“ ist seit vergangenem Jahr zudem von einer „Weizensensitivität“ die Rede, die mit ähnlichen, jedoch abgeschwächten Symptomen wie bei Zöliakie nach dem Verzehr von glutenhaltigen Produkten auftritt. Dass es eine solche Krankheit gibt, ist mittlerweile also auch unter Medizinern unumstritten. Betroffene haben oft eine erheblich reduzierte Lebensqualität. Sehr wohl geteilte Meinungen herrschen jedoch darüber, wie hoch die Anzahl der Betroffenen ist, vor allem weil die Diagnose bislang nur per Ausschlussverfahren gestellt werden kann. In Deutschland liegen die Schätzungen zwischen 0,5 und 6 Prozent. Meist sind Frauen zwischen 30 und 50 Jahren betroffen.

Wegen der unklaren Gemengelage wird eine Weizensensitivität bis heute von kaum einem Arzt entgedeckt. „Das sind vor allem Selbstdiagnosen“, meint Peter Green, Zöliakiespezialist an der Columbia University. So dürfte ein Großteil derer, die glutenfrei leben, gesund sein. Dass sie trotzdem zu den Speziallebensmitteln greifen, könnte außer an der Panikmache durch Möchtegernexperten auch daran liegen, dass „frei von“-Aufschriften Produkte gesünder erscheinen lassen. Diese Fehldeutung handelsüblicher Etiketten durch den Verbraucher hat vergangenes Jahr eine Studie der University of Houston belegt.

Teilweise werden Kinder und sogar die lieben Vierbeiner auf eine glutenfreie Diät gesetzt

Schon heute gibt es nicht nur glutenfreie Menüs in immer mehr Restaurants, sondern auch Reisen und Hochzeiten für Menschen mit Weizenphobie. Teilweise werden Kinder und sogar die lieben Vierbeiner auf eine glutenfreie Diät gesetzt. „ ‚Glutenfrei‘ ist ein Hype, der auch von zahlreichen Prominenten befeuert wird“, urteilt Walburga Dieterich, Biologin an der Universität Erlangen. „Aber es gibt keine Beweise, dass eine glutenfreie Ernährung gesunden Menschen nützt.“

Gluten im Magen

Unklar ist auch, was diese Intoleranz eigentlich auslöst. So könnten die modernen Backprozesse wie das intensive Kneten oder verschiedene Backhilfsmittel wie Enzyme und Vitalgluten problematisch sein. „Gluten kommt so möglicherweise zum Teil unverdaut im Dickdarm an, wo es mit der Darmflora interagiert, was entzündliche Prozesse verstärkt“, schreibt Anthony Fardet, Wissenschaftler an der Université d’Auvergne, in einer aktuellen Review.

„Zudem werden bei der Raffination des Getreides zu weißem Mehl Ballaststoffe und ihre Begleitstoffe entfernt, die die Darmwand schützen könnten.“ Und die verkürzten Reifezeiten der Teiglinge verhindern, dass bestimmte Stoffumwandlungen ablaufen. So werden Glutene von Sauerteigbakterien wie etwa Lactobacillus sanfranciscensis zerlegt und dadurch besser bekömmlich.

Neuerdings verdächtigt man auch andere Proteine im Getreide, sogenannte Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs). Die Getreidepflanze bildet ATIs, um sich Fressfeinde vom Leib zu halten. Die Abwehrstoffe triggern – zumindest im Tierversuch – Immunreaktionen, so hat Detlef Schuppan, Mediziner an der Universität Mainz, herausgefunden. Er glaubt, dass ATIs bei Menschen mit chronischen Entzündungen wie etwa Rheuma oder Diabetes das Krankheitsgeschehen verstärken können, für Gesunde jedoch ungefährlich sind.

Richtig ist, dass ATIs in modernem Hochleistungsweizen, auch infolge des Einsatzes von Düngemitteln, in größeren Mengen zu finden sind als in Urweizen wie Dinkel oder Kamut. „Ob Menschen mit einer Weizensensitivität ursprünglichere Sorten besser vertragen, ist aber ungewiss“, sagt Dieterich.

Durchfall und Blähungen

Laut der Wissenschaftlerin Jessica Biesiekierski von der Leuven-Universität in Belgien kommt auch eine Reihe von Zuckern, sogenannten FODMAPs, als Übeltäter infrage. Sie werden nicht vom Darm resorbiert und gelangen in den Dickdarm, wo sie fermentiert werden. Dabei binden sie Wasser, und es entstehen Gase, was Durchfall und Blähungen zur Folge hat.

Fodmaps sind allerdings nicht nur im Weizen, sondern auch in Obst, Gemüse, Süßstoffen und Milchprodukten enthalten. Ob eine Fodmap-arme Diät eine Weizensensitivität tatsächlich lindert, ist jedoch bislang ungeklärt. Nur wenn die Weizenunverträglichkeit mit einem Reizdarmsyndrom einhergeht, kann diese Therapie eine Option sein. Und auch dann nur unter ärztlicher Anleitung.

Denn: Eine solche Ernährung kann zu Vitamin- und Kalziummangel sowie womöglich zur Schädigung der Darmflora führen. Auch eine glutenfreie Ernährung, wie sie viele Betroffene praktizieren, kann negative Nebenwirkungen haben. Schließlich liefert Brot nicht nur Energie, sondern auch Eiweiß, Vitamine und Mineralstoffe wie Zink sowie Ballaststoffe.

„Dabei deutet einiges darauf hin, dass die Betroffenen nicht wie Zöliakiekranke eine ganz strikte Diät einhalten müssen, sondern einfach weniger Weizen und Roggen essen sollten“, so Dieterich.

Dazu kommt, dass glutenfreie Produkte schlichtweg mit Geschmack und Konsistenz der Weizenprodukte nicht mithalten können und ihnen darum viel Zucker oder Fette beigemengt wird. „Viele der Produkte sind schlichtweg Junkfood“, urteilt Peter Green.

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16 Kommentare

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  • Diese ständigen Berichte über Ernährungsformen, Unverträglichkeiten, Diäten und Allergien haben zwei Effekte.

    1. Diejenigen die wirklich eine unverträglichkeit oder Allergie haben werden im Alltag belächelt und dürfen sich als hypochonder abstempeln lassen oder ständig rechtfertigen 2. Die echten Hypochonder fühlen sich nach so einem Bericht erneut berufen ihre Symptome zu googeln und eine neue Selbstdiagnose zu stellen. Es würde wohl beiden Seiten helfen diesem Thema einfach weniger Aufmerksamkeit in der Presse zu schenken.

    • @Lethasa:

      Na, es kann schon darüber geschrieben werden, aber es fragt sich wo und zu welchem Anlass?

       

      Diese Art von Bericht "über" angeblich suspekte Ernährungsformen finde ich persönlich überflüssig und wie Sie schreiben auch wenig zielführend, sollte es ein Ziel geben.

       

      Mich interessiert auch nicht, in der T(t)ageszeitung zu lesen, ob nun Wein- oder Biertrinken die gesündere Art ist, um dann die entsprechend Konsumierenden als bessere/gesündere Menschen deklarieren zu können.

       

      Wenn mich Wein interessiert, dann informiere ich mich an anderer Stelle darüber, ebenso wie ich mich aktuell zu Bier, insbesondere Craft-Beer ausführlich informieren kann und wenn ich möchte dann auch alles durchprobieren. Selbiges mit alten und neu gezüchteten Obst- und Gemüsesorten, oder Kräuter auf der Wiese suchen anstatt aus der Tiefkühltheke. Alles ist möglich, weshalb immer diese Artikel über "angebliche Unverträglichkeiten"? Lasst die Leute doch einfach, sie schaden doch niemandem anderen damit.

       

      Es ist und bleibt alles ein Angebot und ein Markt und jeder kann selbst entscheiden, was er kauft und zu sich nimmt. Das ist doch unser "Luxus" - keine Bomben über uns und es gibt fast alles zu kaufen und genug zu essen!

  • Einfach natürlich ernähren. Viel Gemüse, viel Obst, dazu Reis und Getreide. Kein Fleisch, keine Süßigkeiten, kein Alk, kein Kaffee, keine Zippen und schon geht´s einem gut.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Das mag Ihre Ansicht sein. Und super, wenn es Ihnen damit gut geht. Das trifft aber nicht auf alle zu.

       

      Es gibt sehr viele Menschen, die sich genauso in den 80ern und 90ern ernährt haben, also "gesund" und dennoch leider nicht gesund sind. Wie gesagt, für "Gesundheit" und "Wohlfühlen" gibt es kein Patentrezept für alle Menschen.

       

      Mal abgesehen, dass es neben super gesunder Ernährung - wie auch immer - Genussmittel gibt, die gelegentlich und in Maßen konsumiert auch Lebensqualität und Freude bringen, z.B. Alkohol und Kaffee/Schwarztee.

      • @Hanne:

        Von Zucker kriegen Sie Karies und werden dick, von Alkohol kriegen Sie Alkoholismus, von Zigaretten Krebs und von Kaffee hysterische Anfälle. Weiß nicht, wo sich das gut anfühlen soll.

         

        Ach ja: Krank kann jeder werden. Nur wäre der Einzelne wahrscheinlich noch kränker geworden oder noch früher gestorben, wenn er die von Ihnen propagierten Toxine zeitlebens zu sich genommen hätte.

  • "So warnt etwa der US-Kardiologe William Davis in seinem Buch „Weizenpampe. Warum Weizen dick und krank macht“"

     

    Naja, in den USA ist das ein eher quantitatives denn qualitatives Diätproblem.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Besonders schlank scheint mir der Herr Kardiologe auch nicht zu sein! ?Wahrscheinlich isst er heimlich Weizenweißbrot.

  • Meines Erachtens werden die Nebenwirkungen von Unverträglichkeiten viel zu wenig untersucht. Was ist das für ein schwammiges Ergebnis bez. Weizensensitivität 0,5 - 6 % ???

    Dieses zeugt von der Desinteresse der Forschenden und deren Geldgebern!

    Wenn ich schon Ekelbilder auf Zigaretten ertragen muss, dann müsste auf Verpackungen von Süßigkeiten und vielen Weißmehlprodukten ebenfalls gewarnt werden.

  • Es ist immer wieder interessant zu lesen, wer meint zu wissen, wie es angeblich Gesunden geht oder auf was sie hereinfallen.

     

    Meine Meinung: Keiner verzichtet gerne auf klassische Getreideprodukte. Und wenn ja, dann sehe ich da auch keinen großen Unterschied zu anderen Ernährungsformen, für die sich Menschen bewusst entscheiden.

     

    Ob das eine oder das andere jemandem gut tut, ob es ihm schlechter oder besser damit geht oder alles gefühlt beim alten bleibt, da müssen sich eigentlich andere Menschen und schon gar nicht Ärzte großartig drum kümmern, in dem sie mal wieder die "Ferndiagnose" Hypochonder oder ähnliches stellen.

     

    Und: Nicht alles, was die Medizin heute nicht "wissenschaftlich" beweisen kann, ist damit falsch. Gesundheit ist sehr komplex und damit auch nicht einfach nach Schema F zu händeln wie z.B. bei Störungen einer Waschmaschine.

     

    Was dem einen gut tut, macht den anderen noch kranker und umgekehrt.

     

    Und ja: Auch hier reagiert der Markt, aber intelligente Verbraucher, können ein gutes glutenfreies von einem Junk-Produkt genauso unterscheiden wie ein hochwertiges Slow-Food-Steak von der Bärchenwurst im Discounter.

  • Depression ist eine der tödlichsten Krankheiten und wenn glutenfreier Fraß nicht depressiv macht, dann weiß ich nicht was es tut.

    • @Christian:

      Also mir macht ein glutenfreies Kalbssteak vom Grill mit einem leckeren Salat Freude.

      • @Bodo Eggert:

        Im Gegensatz zum Kalb, welches dafür ein elendes Leben und einen grausigen Tod erleiden mußte.

        • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

          äh, Wolf.

        • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

          vielleicht ist das Kalb ja in freier Wildbahn aufgewachsen und von einem Wolf gerissen worden und Bodo hat sich dann ein Stück von dem Kadaver genommen und gegrillt und somit hat das ganze einen ganz und gar natürlichen Lauf genommen?

          Bis auf den grausigen Tötungsakt des faschistischen Adlers natürlich.

      • @Bodo Eggert:

        Schon richtig, aber schon beim glutenfreien Kräuterbaguette wird's dann ganz ganz traurig.

  • "Glutenfrei" füllt die Lücke im Supermarkt, welche durch die nun endlich als unsinnig herausgestellen "Diabetikerlebensmittel" hinterlassen haben. So einfach ist das.

     

    Eat Real Food!