Kommentar: Kräftige Ohrfeige
■ Europaparlament verweigert der EU-Kommission die Entlastung
Das Europaparlament hat auf den Tisch gehauen und der EU-Kommission die Entlastung für das Haushaltsjahr 1996 verweigert. Und jetzt? Muß die Kommission nun zurücktreten oder durch ein Mißtrauensvotum zurückgetreten werden?
Die Nichtentlastung ist ein Signal, eine kräftige Ohrfeige, auch wenn sie keine juristischen Konsequenzen hat. Es ist der Auftrag des Europaparlaments, die EU- Kommission zu kontrollieren und dafür zu sorgen, daß Fehlentwicklungen in der europäischen Verwaltung korrigiert werden. Davon gibt es genügend: Korruptionsfälle, Vertuschungsversuche, Desinformation gegenüber dem Parlament. Mit der Entlastung hätten die Abgeordneten der Kommission eine ordentliche Haushaltsführung bestätigt. Das wäre geradezu lächerlich gewesen. Ein Mißtrauensvotum ist eine andere Sache. Ein Sturz der Kommission würde die EU für einige Monate lahmlegen. Osterweiterung, Agrarreform, die ganze Agenda 2000 käme ins Stocken. Daran kann den Abgeordneten nicht gelegen sein. Vor allem aber würde ein Mißtrauensvotum das Kind mit dem Bad ausschütten. Denn wenn es je EU-Kommissare gab, die ernsthaft Verbesserungen wollten, dann sitzen sie in dieser Kommission. Vetternwirtschaft gab es immer, es hat sich nur niemand drum geschert – auch nicht das Parlament, das selbst ein paar scheppernde Blechdosen hinter sich herschleppt.
Fast alles, was das Parlament jetzt fordert, findet sich auch in den Reformvorschlägen des zuständigen Kommissars Erkki Liikanen. Sein Problem ist nur, daß einige der 20 Kommissare die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt haben und mit ihrer Vetternwirtschaft so weitermachen wollen wie bisher. Namentlich Edith Cresson und Manuel Marin, die selbst in Unregelmäßigkeiten verwickelt sind, haben kein Interesse an Reformen, sie lassen noch nicht einmal Unrechtsbewußtsein erkennen. Und Kommissionspräsident Jacques Santer war bisher zu schwach, um ein Machtwort zu sprechen. Die deutliche Verwarnung durch das Parlament wird die Position von Liikanen stärken. Die Kommission steht unter öffentlichem Druck, sie muß jetzt schnelle Ergebnisse vorweisen. Es wäre nicht sehr intelligent, sie dabei aufzuhalten. Für ein Mißtrauensvotum ist immer noch Zeit, wenn Liikanen trotz der Rückendeckung durch das Parlament scheitert. Alois Berger
Bericht und Interview Seite 10
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