Krach in der Berliner SPD: Nahost-Konflikt unter Genossen
Im Streit um ein Gaza-Aufnahmeprogramm attackiert ein einflussreicher Vertrauter von SPD-Fraktionschef Raed Saleh öffentlich den eigenen Innenexperten.

Vorausgegangen war ein Interview, das Matz in dieser Woche dem Sender Euronews gegeben hatte. Darin wies der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion unter anderem darauf hin, dass bei einem Aufnahmeprogramm mit Blick auf etwaige Begleitpersonen der Kinder aus Gaza „auch Sicherheitsüberlegungen eine Rolle“ spielen würden.
Für Orkan Özdemir war das offenkundig zu viel. Als Reaktion auf das Interview holzte der Sprecher für Antidiskriminierung der SPD-Fraktion auf Instagram: „Wichtig! Martin Matz formuliert hier seine eigene Position.“
Die Position des Innenexperten sei „NICHT“ die Position der SPD Berlin oder der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, im Gegenteil, so Özdemir. „Die allermeisten Genoss:innen, wie auch ich, distanzieren sich von den Aussagen dieser Person.“ Eine Wortwahl wie in der Eckkneipe. Ausrufezeichen und Großbuchstaben inklusive.
Social-Media-Kachel von Erdogan-Sender
Konkret bezog sich Özdemir auf eine Social-Media-Kachel des deutschen Ablegers von TRT, dem israelfeindlichen Propagandakanal des türkischen Erdogan-Regimes. Hier wurde das Euronews-Interview mit der zackigen Überschrift „Berliner SPD-Innensprecher Martin Matz gegen die Aufnahme von Kindern in Gaza“ zusammengefasst.
Auf taz-Nachfrage sagte Matz am Freitag, dass schon Euronews seine Aussage verkürzt wiedergegeben habe: „Ich habe nirgendwo gesagt, dass verletzte oder kranke Kinder ein Sicherheitsproblem sind und deshalb nicht aufgenommen werden sollen.“
Es gehe ihm um die Bedenken bei der Einreise von Begleitpersonen aus dem von der Terrororganisation Hamas beherrschten Gaza. „Genau hier gibt es die Notwendigkeit, auf die Sicherheit zu achten, und das habe ich auch Euronews gesagt.“
Zu den Angriffen auf ihn und der abschätzigen Titulierung als „diese Person“ durch den eigenen Fraktionskollegen will sich Matz nicht äußern. Nur so viel: „Auf dieses Level möchte ich mich nicht herabbegeben.“
Rivalitäten in der SPD-Fraktion
Zum Hintergrund gehört: Die Genossen Özdemir und Matz sind einander nicht unbedingt in Herzlichkeit verbunden. Während Özdemir zum engsten Kreis um Fraktionschef Saleh zählt, hatte Matz im Frühjahr 2024 innerhalb der Fraktion die Saleh-kritische Strömung „Links und frei“ mit ins Leben gerufen. Matz' Fokus in der politischen Arbeit liegt dabei auch auf dem Kampf gegen Antisemitismus.
Immerhin, sagt Matz, eine Aussage habe TRT auf der von Özdemir wütend kommentierten Social-Media-Kachel korrekt wiedergegeben. „Leider müssen wir immer wieder feststellen, dass der Nahostkonflikt auch zum Sicherheitsproblem jüdischer Menschen in Berlin wird, während das umgekehrt nicht festzustellen war“, hatte der SPD-Politiker zu Euronews gesagt. „Zu diesem Zitat stehe ich zu 100 Prozent“, sagt er nun zur taz.
Er wolle Gewalt gegen Muslime in Berlin nicht kleinreden. Nur stelle sich die Bedrohungslage für jüdische Menschen in der Hauptstadt noch einmal wesentlich anders dar. Matz sagt: „Wir haben hier einen explosionsartigen Anstieg antisemitischer Gewalttaten seit dem 7. Oktober.“ Und darauf werde er auch weiterhin hinweisen.
Mit dem eigentlichen Thema, dem Aufnahmeprogramm, hat das freilich nur indirekt zu tun: In dieser Woche hatten die Städte Hannover, Düsseldorf und Bonn angekündigt, hilfsbedürftige Kinder aus Gaza und Israel aufnehmen zu wollen. Serap Güler, CDU-Staatsministerin im Auswärtigen Amt, erteilte der Idee umgehend eine Absage.
Teile der Berliner SPD forderten daraufhin, der schwarz-rote Senat solle sich der Initiative anschließen und Druck auf den Bund ausüben. Aber eben nur Teile.
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