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Korruptionsskandal in IsraelCorona stärkt Netanjahu

Die Beschränkung des öffentlichen Lebens infolge des Virus verschiebt den Korruptionsprozess von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.

2. März: „Alltag“ vor der Stimmabgabe in Jerusalem Foto: Nir Alon/ZUMA Wire/dpa

Tel Aviv taz | „Ich weiß nicht wer, aber irgendjemand muss da sein, der Bibi liebt“, ruft am Sonntagmorgen ein junger Mann im Zentrum Tel Avivs von seinem Balkon aus seinem Freund auf der Straße zu: „Gott, der Teufel, ich weiß es nicht.“

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat mal wieder Glück gehabt. Er dürfte einer derjenigen sein, der von der Coronakrise profitiert: Am Dienstag sollte er wegen Betrugs, Untreue und Bestechung vor Gericht erscheinen. Es sollte der Beginn einesProzesses mit über 300 Zeug*innen sein.

Doch am Samstagabend kündigte Netanjahu zur Bekämpfung der Pandemie die weitgehende Schließung des öffentlichen Lebens an. Einkaufszentren, Bars, Restaurants, Kinos, Fitnessclubs bleiben ab sofort geschlossen, ebenso Kindergärten.

Die Schulen machen bereits seit vergangenem Donnerstag keinen Unterricht mehr. Jenseits der Beschäftigten in songennanten lebensnotwendigen Bereichen werden alle von zu Hause aus arbeiten.

Justizminister ist nicht vom Parlament gewählt

Im Zuge dessen verhängte Justizminister Amir Ohana einen Ausnahmezustand im Gerichtssystem und sorgte dafür, dass die Eröffnung des Korruptionsprozesses von Premierminister Netanjahu um mehr als zwei Monate verschoben wurde, vorerst auf den 24. Mai.

Die Bewegung für Qualitätsregierung hat am Sonntagmorgen angekündigt, im Laufe des Tages eine Petition einzureichen, in der sie fordert, dass der von Justizminister Ohana angekündigte „Ausnahmezustand“ im Gericht wieder aufgehoben wird.

Ohana, so die Bewegung für Qualitätsregierung, „ist Minister in einer Übergangsregierung, der nicht die Unterstützung der Öffentlichkeit genießt und dessen Ernennung nicht vom israelischen Parlament genehmigt wurde.“ Die neuen Regelungen dafür zu nutzen, Netanjahu vor einen Verfahren zu schützen, sein ein schwerwiegender Schritt, der die „Strafverfolgungsbehörden in Israel zertrampelt.“

Notstands-Einheitsregierung wird wahrscheinlicher

Die Chancen, dass die Petition erfolgreich ist, wird als gering eingeschätzt. Vielmehr dürfte die Coronakrise Netanjahu auch in den Koalitionsverhandlungen helfen. Denn eine von ihm angestrebte Notstands-Einheitsregierung wird immer wahrscheinlicher.

Am heutigen Sonntag treffen sich Delegierte der Parteien mit Staatspräsident Reuven Rivlin, um Empfehlungen zum Amt des Ministerpräsidenten abzugeben.

Nach derzeitigem Stand sieht es danach aus, dass Benny Gantz mehr Stimmen erhalten wird als Netanjahu. Doch angesichts der sich zuspitzenden Coronakrise wird der Ruf nach einer sicheren Führung lauter denn je. Netanjahu weiß diese Rolle des sicherheitsspendenden Anführers zu spielen wie kein anderer, und der Druck auf Gantz, einem Kompromiss zuzustimmen, wächst enorm.

Nachdem Gantz am Samstagabend seine Bereitschaft signalisiert hatte, in einer Einheitsregierung mit Netanjahu zu sitzen, hat er ein detaillierteres Angebot von diesem dazu am Sonntagmittag als „leere Geste“ zurückgewiesen. Das Angebot war, dass die Notstands-Einheitsregierung nach sechs Monaten aufgelöst würde, oder alternativ im Amt bleiben würde, wobei Netanjahu zunächst als Premierminister fungieren und Gantz nach zwei Jahren die Amtsgeschäfte übernehmen würde.

Ein vergleichbares Angebot war bereits nach den Wahlen im September 2019 diskutiert worden. Damals hatten Gantz und sein blauweißes Bündnis sich dagegen geweigert, weil sie nicht unter einem angeklagten Ministerpräsidenten regieren wollten.

Benny Gantz in der Zwickmühle

Für Gantz stellt sich nun die Frage, ob er dem Druck zu einer Einheitsregierung, auch von innerhalb seines Parteienbündnisses, nachgibt, oder ob er eine Minderheitsregierung vorantreibt, die er im Vorfeld der Wahlen noch ausgeschlossen hatte. Eine Minderheitsregierung wäre auf die Unterstützung von außen von der mehrheitlich arabisch geprägten Vereinten Liste angewiesen.

Mit einer solchen Variante könnte Netanjahu abgelöst werden. Doch eine Minderheitsregierung wird in der derzeitigen politischen Atmosphäre der Spaltung von vielen jüdischen Israelis eher als Bedrohung denn als Sicherheitsanker betrachtet.

Gantz steckt in einer Zwickmühle. Sollte er einer Einheitsregierung unter Netanjahu zustimmen, würde er sein erstes Wahlkampfversprechen brechen. Sollte er nicht zustimmen und eine Minderheitsregierung vorantreiben, sein zweites. Netanjahu könnte aus der Coronakrise gestärkt hervorgehen, Gantz gebrochen.

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