Kopten in Ägypten: Fremd im eigenen Land
Beispiel Naga Hamadi: Das Klima zwischen Christen und Muslimen in Ägypten hat sich in den vergangenen Jahren verschlechtert.
Es war kein gewöhnliches Begräbnis, das Anfang des Monats in der südägyptischen Kleinstadt Naga Hamadi stattfand. Es herrschte nicht nur Trauerstimmung, die Christen waren auch wütend und schockiert. Aus allen Seitenstraßen der südägyptischen Kleinstadt strömten sie auf der Hauptstraße zusammen, um die sieben mit Kreuzen geschmückten Särge zu Grabe zu tragen. Am Vorabend des orthodoxen Weihnachtsfestes waren am 6. Januar die sieben koptischen Christen nach der Christmette vor ihrer Kirche erschossen worden.
Auch Wochen nach dem Attentat ist in Naga Hamadi die Polizei immer noch in Alarmbereitschaft. Nicht nur um jeglichen interkonfessionellen Konflikt im Keim zu ersticken, sondern auch um den Lokalreportern das Leben schwer zu machen, die gekommen sind, um ein paar Fragen zu stellen. Inzwischen wurden drei mutmaßliche muslimische Täter dem Staatssicherheitsgericht überstellt und damit, so hofft die Regierung in Kairo, soll der Fall erledigt sein. Sie vermeidet es, das Ganze als ein Ergebnis konfessioneller Spannungen zu beschreiben.
Mufid Schehab, der Minister für juristische und parlamentarische Angelegenheiten, bezeichnete den Vorfall als "ein Verbrechen, das keine religiöse Dimension besitzt". Die Polizei beschreibt die Tat als eine Art Blutrache für die Vergewaltigung eines muslimischen Mädchens, angeblich durch einen Christen und weist darauf hin, dass einer der mutmaßlichen Täter mit dem Mädchen verwandt sei. Warum in diesem Fall von Blutrache im ländlichen Oberägypten nicht wie üblich eine Familie, sondern eine ganze Religionsgruppe zum Ziel gemacht wurde? Die Antwort auf diese Frage lässt die Regierung offen.
Von den rund 80 Millionen Einwohnern Ägyptens sind 5 bis 8 Millionen christlichen Glaubens. Die Mehrheit von ihnen ist orientalisch-orthodox, der kleinere Teil ist koptisch-katholisch, der Rest verteilt sich auf griechisch-orthodoxe, griechisch-katholische und protestantische Christen. Schon mehrfach sind Mitglieder der christlichen Minderheit Ziel von Gewalttaten geworden, so 2001 bei den Al-Kosheh-Massakern, die 21 Todesopfer forderten, oder 2006, als in Alexandria bei Angriffen auf drei Kirchen ein Kopte getötet wurde und 17 verletzt wurden.
Nicht alle geben sich damit zufrieden. Die koptische Parlamentsabgeordnete Georgette Kalliny bezeichnete den Anschlag in einer hitzigen Parlamentsdebatte als konfessionellen Streit und fragte, warum es acht Tage dauerte, bis das Parlament eine Untersuchungskommission nach Naga Hamdi schickte.
Ein andere unabhängige Untersuchungskommission der Menschenrechtsorganisation Ägyptische Initiative für Persönlichkeitsrechte wirft der Polizei vor, die Kirchen in Naga Hamadi nicht ausreichend geschützt zu haben, obwohl es nach dem Vergewaltigungsfall zahlreiche Drohungen gegen die Christen des Ortes gab. Ein Grund, warum die Christmette vorverlegt worden war und viele Kopten es vorzogen, an diesem Abend in benachbarten Orten oder gar nicht zur Messe zu gehen. Außerdem, heißt es in dem 44-seitigen arabischen Bericht, seien im Anschluss Muslime und Christen willkürlich verhaftet und zum Teil gefoltert worden und die Medien seien davon abgehalten worden, vor Ort angemessen zu recherchieren. Laut dem Bericht habe der Anschlag auch eine lokalpolitische Dimension. Die Kopten hatten bei der letzten Parlamentswahl mehrheitlich gegen den derzeitigen Vertreter im Parlament, den Muslim Abdel Rahman al-Ghul, gestimmt. Ende des Jahres stehen neue Parlamentswahlen an.
600 Kilometer weiter nördlich, nach der Sonntagsmesse in Schoubra, einem Viertel im Zentrum Kairos mit einem hohen koptischen Bevölkerungsanteil. Der dortige koptische Bischof Morcos nimmt sich Zeit für ein Gespräch mit dieser Zeitung. Für ihn ist der letzte Anschlag nur die Spitze des Eisberges. Das Klima zwischen Muslimen und Christen hat sich in den letzten Jahren zunehmend verschlechtert, sagt er. Um das zu belegen, erzählt er Anekdoten aus dem koptischen Alltag. Etwa von dem dreijährigen koptischen Kind Michael, das in einen gemischten Kindergarten ging und dem von einem anderen Dreijährigen erklärt wurde, dass es als Ungläubiger in der Hölle schmoren werde.
Neben der Kirche befindet sich ein koptischer Kindergarten. Dort bestätigt die Lehrerin Mariam solche Geschichten mit eigenen Erfahrungen. Sie hatte ihren Sohn zunächst in einem gemischten Kindergarten eingeschrieben. Doch dort wurde er von den muslimischen Kindern immer als "Ungläubiger" ausgegrenzt. Er bekam richtige Komplexe und wollte nicht mehr hingehen, erzählt sie. Deshalb habe sie ihr Kind in diesen rein koptischen Kindergarten geschickt.
Die Muslime und die Christen blieben immer häufiger unter sich, beschreibt sie die Lage. "Wenn wir auf die Straße gehen, werden wir beschimpft und man grüßt uns nicht. Wir fühlen uns gesellschaftlich isoliert", schildert sie die Situation. Derartiges erlebt man besonders in Kairos Armenviertel oder auf dem Land, oftmals dort, wo der Bildungsstand niedriger ist.
Aber es ist die zunehmende Islamisierung der Gesellschaft, die alle Kopten, egal welchen Standes, erleben und die ihnen oft das Gefühl gibt, als ägyptische Mitbürger in Vergessenheit geraten zu sein, obwohl sie schätzungsweise 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen. "Manchmal habe ich das Gefühl, ich lebe nicht in meinem eigenen Land", sagt Mariam. Und auch Bischof Morcos hat sofort einige Beispiele parat. Etwa dass, wenn man als Christ in einen Laden geht, dort über Lautsprecher der Koran gelesen wird, trotz konfessionell gemischter Kundschaft. In einigen Gebäuden werde sogar in den Aufzugskabinen über Lautsprecher der Koran rezitiert, zählt er weiter auf. "Gibt es in diesem Gebäude keine Christen? Warum respektiert man nicht das Gefühl der anderen?", fragt der Bischoff.
Strategisch wichtige Staatsposten sind laut einem ungeschriebenen Gesetz Muslimen vorbehalten. Ein koptischer Präsident, ein Innen-, Außen- oder Verteidigungsminister ist im Land am Nil, das die Verfassung als ein "islamisches" ausweist, undenkbar. Wenn ein Christ mit Auszeichnung graduiert und an der Uni arbeiten möchte, dann sagen sie, das sei nicht möglich, weil er Michael oder Peter heißt, erläutert der Bischof. Klopfe man bei der Polizeiakademie oder der Staatsanwaltschaft als Bewerber an, heiße es, man nehme nur ein Prozent Kopten. "Warum entscheidet nicht einfach nur die Qualifikation?", fragt er.
Früher war es kein großes Thema, ob jemand Muslim oder Christ ist, erzählt der prominente oppositionelle koptische Intellektuelle George Ishak. Angefangen habe diese Welle der Ausgrenzung von Kopten, als ägyptische Arbeitsmigranten in den 80er- und 90er-Jahren in großem Stil in Saudi-Arabien ihr Glück versuchten. "Von dort brachten sie die islamisch-wahhabitischen rückständigen Gedanken mit, die eigentlich nichts mit der toleranten ägyptischen Kultur zu tun haben", erklärt er. Der zweite Faktor seien die neuen privaten, konfessionell ausgerichteten Satellitenfernsehkanäle. "Sie gießen jeden Tag Öl ins Feuer", meint Ishak. In den islamischen Predigerkanälen wird jeder Nichtmuslim zum Ungläubigen deklariert, und die christlichen TV-Stationen mischen sich unberechtigterweise in innerislamische Angelegenheiten ein", beschreibt Ishak den, wie er es nennt, "Religionskrieg der Satellitenkanäle". Und schließlich sei da noch das Bildungssystem, in dem täglich Christen diskriminiert werde.
Die Regierung und die staatlichen Institutionen versuchen, das Problem mit einem propagandistischen "Wir sind alle ägyptische Brüder und Schwestern, und wer das Problem anspricht, der fördert die Spaltung" herunterzuspielen. Und bricht der Konflikt irgendwo zu deutlich aus, wird das Ganze ausschließlich als Akt des Sicherheitsapparats angesehen.
Blogger verhaftet
Es gibt eine wachsende Gruppe von Ägyptern, Christen und Muslimen, die nicht mehr zusehen wollen und das Problem gesellschaftlich angehen möchten. Zehn Tage nach dem letzten Anschlag machten sich Anwälte, Menschenrechtler, Aktivisten und Internetblogger mit dem Zug auf den Weg von Kairo nach Naga Hamadi. Christen und Muslime. "Wir wollten unser Beileid ausdrücken und uns ein Bild vor Ort machen", sagt der prominente oppositionelle Internetblogger Wael Abbas. Er wollte auch als Muslim ein Zeichen setzen.
Weit kam er allerdings nicht. "Nach der Ankunft am Bahnhof setzten wir uns in ein Café. Es wurde sofort von vier Mannschaftswagen der Bereitschaftspolizei umstellt", erinnert er sich. Sie wurden allesamt verhaftet. Abbas verbrachte dreißig Stunden in einer verdreckten Zelle. "Sie warfen uns vor, wir wollten die Leute zu einem Streit zwischen den Konfessionen anstiften", lacht Abbas ein wenig verzweifelt. Er sieht immer noch mitgenommen aus. "Der Staat ist bei den Streitigkeiten zwischen Muslimen und Christen eindeutig Komplize", lautet sein deutlicher Vorwurf. Wie sonst ließe es sich erklären, dass die Aktivisten mit vier Mannschaftswagen Polizei abgeholt wurden und wie "Terroristen behandelt worden sind", während am Tag des Anschlags nur ein Polizist vor der Kirche postiert worden war, und das in einem Ort, dessen interkonfessionelle Spannungen allen bekannt waren, fragt Abbas.
Auf seinen Internetblog hat er eine wacklige Handyaufnahme gesetzt, die ihm zugespielt wurde. Sie zeigt die Szene wenige Minuten nach dem Anschlag vor der Kirche. Verzweifelte Menschen beugen sich über die Leichen, die in Blutlachen auf der Straße liegen. Der Muslim Abbas fordert, dass Medien, Regierung und Zivilgesellschaft endlich handeln. "Der Staat gibt nicht einmal zu, dass es ein Problem zwischen Muslimen und Christen gibt. Wie kann man ein Problem angehen, dessen Existenz man noch nicht einmal anerkennen will?! Der Staat will das Problem nicht lösen und lässt andere es nicht lösen. Er ruiniert alles", glaubt Abbas.
Immerhin hat die Regierung eine offizielle Delegation mit religiösen Würdenträgern nach Naga Hamadi geschickt. Es gab einen Fototermin mit dem Großscheich der islamischen Al-Azhar-Universität (mit Turban), dem Bischof von Naga Hamadi (in schwarzer Priestertracht) und dem Religionsminister (in maßgeschneidertem Anzug) - damit, so die Vorstellung der Regierung, waren die Dinge wieder zurechtgerückt. Noch einmal kurz in die Menge gewinkt, dann fahren die schwarzen Limousinen wieder zurück nach Kairo. Die Christen und Muslime in der ägyptischen Provinzstadt werden wieder ihrem Schicksal überlassen.
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