Kopfverletzungen im Fußball: Pfeifen für den Kopf
Das Bewusstsein für die Folgen von Gehirnerschütterungen wächst. Umso bitterer sind die Bilder der Dänin Emma Smerle im Spiel gegen Deutschland.
Kurz nachdem die Dänin Emma Snerle von einem scharf geschossenen Ball ihrer Kollegin Emma Færge am Kopf getroffen worden und zu Boden gegangen war, fiel das 2:1 für die Deutschen. Schiedsrichterin Catarina Ferreira Campos hatte das Spiel nicht unterbrochen, der Treffer zählte und im dänischen Team war man hinterher alles andere als glücklich mit dieser schiedsrichterlichen Fehlleistung. „Die Regeln sind klar. Wenn eine Spielerin eine Kopfverletzung hat, musst du abpfeifen“, meinte etwa der dänische Trainer Andrée Jeglertz. Es waren schreckliche Bilder, die da aus Basel zu sehen waren. Snerle konnte sich kaum aufrecht halten und wirkte benommen, als sie nach einer Behandlungspause vom Feld geführt wurde.
Im Gegensatz zur Schiedsrichterin haben den Trainer der Däninnen die zahlreichen Diskussionen der vergangenen Jahre um das lange tabuisierte Thema Kopfverletzungen offensichtlich erreicht. Die Verbände haben zahlreiche sportmedizinische Studien angeregt, die sich sowohl mit Langzeitschäden durch wiederholtes Kopfballspiel als auch mit schweren Schädel-Hirn-Traumata etwa nach einem Zusammenprall von Spielerinnen befassen.
Dabei wurde festgestellt, dass nicht nur bei den harten Vollkontaktsportarten wie Boxen oder American Football Langzeitschäden auftreten können. Auch Fußballerinnen müssen mit der Gefahr leben, an chronischer traumatischer Enzephalopathie, kurz CTE, zu erkranken. Dabei kann der andauernde Abbau von Gehirnzellen zu Spätfolgen wie Gedächtnisproblemen, Persönlichkeitsveränderungen oder Depressionen führen.
Vorgaben für die Verbände
Die europäische Fußballunion Uefa hat auf den wissenschaftlichen Ergebnissen basierend im November 2021 eine Concussion Charter vorgestellt, die von allen Mitgliedsverbänden unterzeichnet werden musste. Die Verbände sind angehalten, die Spielerinnen ihrer Nationalteams für das Thema zu sensibilisieren. Ein niederschwelliges Infofilmchen wurde produziert und die Schiedsrichter angewiesen, das Spiel bei einem Verdacht auf Gehirnerschütterungen umgehend zu unterbrechen. In der Frauenbundesliga gilt seit der Saison 2023/24 ein „Protokoll für Kopfverletzungen“, in dem auch geregelt ist, dass Spielerinnen „nach einer Kopfverletzung eine körperliche Ruhe von 24 bis 48 Stunden einhalten sollen und anschließend die Belastung graduell gesteigert wird“.
In Deutschland ist das Bewusstsein für die Folgen von Gehirnerschütterungen im Fußball seit dem Männer-WM-Finale der DFB-Elf gegen Argentinien 2014 in Rio de Janeiro gestiegen. Damals stand Nationalspieler Christoph Kramer trotz einer Gehirnerschütterung noch rund 15 Minuten auf dem Platz.
Dennoch dauerte es fast zehn Jahre, bis jährliche Schulungen des medizinischen Personals zum Thema Kopfverletzungen in den Bundesligen der Männer und Frauen nach den Vorgaben der Concussion Charter der Uefa verpflichtend wurden.
Die Regeln zum Umgang mit Gehirnerschütterungen in der Premier League gehen sogar noch über die Vorgaben der Uefa hinaus. Dort muss ein Spieler beim geringsten Verdacht auf eine Kopfverletzung umgehend das Feld verlassen. Nur wenn absolut keine Anzeichen für eine Gehirnerschütterung vorliegen, darf er wieder aufs Feld.
Das Bewusstsein für das Thema ist also über die Jahre gewachsen. Umso erstaunlicher, dass Schiedsrichterin Ferreira Campos das Spiel nicht unterbrochen hat.
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