Kopftuchtragen in der Schule: „Schwarzer ist nicht sehr feministisch“
Bringen Lehrerinnen, die ihr Haar verhüllen, Probleme in die Schule? Bisher nicht, sagt Antidiskriminierungsexperte und Jurist Michael Wrase.
taz: Herr Wrase, das Verfassungsgericht hat Lehrerinnen das Kopftuchtragen in der Schule weitgehend erlaubt. Aber es gibt Widerspruch: Das Kopftuch wirke wie ein trojanisches Pferd, mit dem der fundamentalistische Islam die Schulen unterwandere, meinen Alice Schwarzer und der Expräsident des NRW-Verfassungsgerichts, Michael Bertrams. Verstehen Sie den Unmut?
Michael Wrase: Das Kopftuch ist ein umstrittenes Symbol. Wenn man sich aber die Kopftuchlehrerinnen selber anschaut, dann entsprechen die meisten der Vorstellung von der unterdrückten Frau überhaupt nicht. Sie tragen das Tuch aus eigener Entscheidung und sind gerade nicht auf Haus und Familie fixiert, sondern berufstätig. Es ist grotesk, das nicht wahrzunehmen.
Alice Schwarzer würde sagen, dass diese Frauen gar nicht merken, wofür sie mit dem Kopftuch Propaganda machen.
Das kann man so sehen, wenn man allein die Interpretation der Fundamentalisten gelten lässt, wie Schwarzer das offenbar tut. Aber damit spricht man den Lehrerinnen jegliche eigene Interpretation ab. Nicht sehr feministisch, finde ich.
Die Schulleitungen sind entsetzt darüber, dass sie nun für Konflikte um das Tuch verantwortlich sind. Der Bürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, hält das Urteil für eine Katastrophe. Verstehen Sie das?
Bei den bisherigen Fällen von Kopftuch tragenden Lehrerinnen sind keine nennenswerten Probleme an den jeweiligen Schulen bekannt geworden. Deshalb bin ich ganz optimistisch.
Die Neuköllner sehen das Problem auf sich zukommen, dass in der Schülerschaft viele Kopftücher getragen werden und die muslimischen Mädchen, die keins tragen, diskriminiert werden. In dieser Lage eine Kopftuchlehrerin einzustellen, erscheint den Schulleitungen schwierig.
Das ist verständlich. Es gibt ja in dem Urteil die Möglichkeit, bei Konflikten zu erwägen, die Lehrkraft zeitweilig oder ganz in einem anderen Bereich einzusetzen. Allerdings befürchte ich, dass in diesen eher homogenen Nachbarschaften gar kein Konflikt auftauchen wird, weil man ohnehin an das Kopftuch gewöhnt ist.
Wenn nun eine einzelne Schülerin ein Problem mit dem Kopftuch hat: Was kann sie dann tun?
Dass Schüler nicht alles toll finden, was ihre Lehrer machen, ist ja nichts Besonderes. Die Schülerin muss das aushalten. Wenn es gar nicht geht, kann sie sich in die Parallelklasse versetzen lassen. Das wird in Baden-Württemberg auch so gemacht, wenn ein Kind ein Problem mit einer Nonne in der Schule hat.
Im Falle eines Konflikts, der den Schulfrieden stört, kann das Kopftuch verboten werden. Wenn Pegida nun vor der Schule demonstriert, was macht man dann?
Es gibt bei diesem Urteil ein Missbrauchspotenzial. Aber solche Proteste treten sicher auch ohne höchstrichterliche Entscheidung auf. Die Integration des Islam in die Gesellschaft wird nicht ohne Konflikte ablaufen. Das kann kein Gericht ändern.
40, ist Jurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Wissenschaftszentrum Berlin. Schwerpunkte: Verfassungs- und Antidiskriminierungsrecht.
Die Schulbehörden können laut Urteil das Kopftuch auch vorbeugend aus den Schulen eines bestimmten Gebiets verbannen. Kann man nun Neukölln zu einer Art Notstandsgebiet erklären und die Kopftuchlehrerinnen gehen dann nach Brandenburg?
Ich finde das höchst problematisch. Ich nehme an, dass diese Passage der Entscheidung einem Kompromiss im Senat entstammt. Um die Ansicht einzubeziehen, dass es eventuell zu einem wirklichen Kulturkampf kommen kann. Dann müssten allerdings in dem Gebiet tatsächlich Konflikte zu erwarten sein. Und zwar mit Wahrscheinlichkeit und konkret belegbar.
Im Moment breitet sich der fundamentalistische Islam im arabischen Raum aus. Über Finanzströme macht er sich auch in Deutschland bemerkbar. Ist es vor diesem Hintergrund nicht blauäugig zu meinen, man könnte hier einen toleranten Euroislam aufbauen?
Gerade deswegen ist es wichtig, diejenigen zu stärken, die hier sozialisiert sind und einen solchen toleranten Islam wollen. Integration heißt ja auch, dass hiesige Werte übernommen werden. So deuten Frauen hierzulande das Kopftuch ja auch aktiv um, zu einem Zeichen ihrer muslimischen Identität. Man unterstützt eher den Fundamentalismus, wenn man diese Menschen aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Im Endeffekt sind muslimische Frauen die Leidtragenden von Berufsverboten. Das wird in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mehrfach hervorgehoben.
Aber wenn es heißt: Eure Frauen müssen Kopftuch tragen, sonst gibt es kein Geld für die Moschee, dann wird doch kein toleranter Euroislam gestärkt, oder?
Bestimmt nicht. Aber das Problem ist der Zwang zum Kopftuchtragen, nicht das Kopftuch selbst. Über Zweidrittel der hier lebenden Musliminnen tragen kein Kopftuch. Warum werden muslimische Frauen – und auch Männer – nicht insgesamt besser unterstützt, wenn sie einen pädagogischen Beruf anstreben? Dann würden die jungen Musliminnen ja sehen: Die allermeisten muslimischen Lehrerinnen in Deutschland tragen kein Kopftuch, ich kann mich also frei entscheiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland