Kopf-an-Kopf-Rennen in Österreich: Rechnen, schätzen, raten
Hofer und Van der Bellen liegen laut Hochrechnung – inklusive Briefwahl-Schätzung – gleichauf. Erst am Nachmittag soll das Endergebnis vorliegen.
Der Kandidat der rechtsgerichteten Freiheitlichen Partei (FPÖ), Hofer, lag in der ersten Hochrechnung knapp vorn, verlor im Verlaufe der Auszählung aber stetig Stimmen an den ehemaligen Vorsitzenden der Grünen, Van der Bellen.
In der jüngsten Hochrechnung des Instituts Sora im Auftrag des Österreichischen Fernsehens (ORF) lagen die beiden Kandidaten mit 50 Prozent gleichauf. In dieses Ergebnis sind auch erste Schätzungen für die Briefwahl eingeflossen. Laut vorläufigem Endergebnis – indem noch keine Briefwahlstimmen berücksichtigt sind – liegt Hofer mit 51,9 Prozent voran. Van der Bellen kommt demnach auf 48,1 Prozent.
„Das hat sich niemand gewünscht, wir wollten beide heute gut schlafen. Ich bin schon lange in der Politik, ich habe aber noch nie so einen Wahlabend erlebt“, sagte Hofer. Sein Kontrahent Van der Bellen zeigte sich in einer ersten Reaktion stolz, dass er den großen Vorsprung von Hofer aufgeholt habe. Der FPÖ-Kandidat hatte die erste Runde der Präsidentenwahl vor vier Wochen mit gut 35 Prozent klar gewonnen. Das war das bisher beste Ergebnis der FPÖ in einer bundesweiten Abstimmung.
Van der Bellen lag rund 14 Prozentpunkte hinter Hofer. Allerdings blieb damals ein Drittel der rund 6,4 Millionen Wahlberechtigten der Abstimmung fern. „Die wenigsten haben geglaubt, dass das aufholbar ist“, sagte Van der Bellen nach der Hochrechnung.
Profit geschlagen aus der Flüchtlingskrise
Sollte Hofer als Sieger aus dem Rennen gehen, würde erstmals in einem EU-Mitgliedsland ein Rechtspopulist das höchste Staatsamt übernehmen. Auf die Frage, ob ein Sieg der FPÖ der „schlimmste Rechtsruck in Österreich seit 1945“ sei, antwortete Hofer: „Das ist völlig absurd“. Die FPÖ sei keine Partei, die ganz rechts stehe. „Ich würde mich als Mitte-Rechts-Politiker mit großer sozialer Verantwortung bezeichnen“, sagte Hofer.
Die FPÖ profitierte zuletzt vor allem von der Flüchtlingskrise. Die rot-schwarze Bundesregierung hatte zwar zuletzt ihren Asylkurs im Einklang mit den Staaten auf dem Balkan deutlich verschärft. Punkten konnten die Kandidaten von den beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP damit aber nicht. Sie hatten erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs keine Chance mehr, den Bundespräsidenten zu stellen. Ihre Kandidaten landeten im ersten Wahlgang mit jeweils rund zehn Prozent weit abgeschlagen. Auch deswegen trat Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) Anfang Mai zurück.
Wahlmotiv Angst
Die FPÖ ist hingegen seit Jahren im Aufwind. Die Partei legte bei den jüngsten Regionalwahlen in Wien, Oberösterreich und im Burgenland stark zu und kommt in Umfragen auf Bundesebene auf rund 30 Prozent der Wählerstimmen. Der 45-jährige gelernte Flugzeugtechniker Hofer punktete im Wahlkampf mit seinem Anti-EU-Kurs und seiner Forderung nach einer strengeren Asylpolitik.
Auf seiner Internet-Seite wirbt Hofer damit, dass das wichtigste politische Projekt der Schutz der Grenzen sei. Das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei bezeichnete er als „fatal“. Politologen zufolge war das stärkste Wahlmotiv für Hofer-Wähler jedoch die wirtschaftliche Angst. Demnach trauen die Österreicher Hofer eher zu, die Alltagsproblem zu lösen.
Der 72-jährige studierte Wirtschaftswissenschaftler Van der Bellen vertritt hingegen einen liberaleren Asylkurs und ist nach eigenen Angaben „pro-europäisch“. Er ist selbst als Immigrantenkind in Österreich aufgewachsen. Rückenwind bekam der Ex-Parteichef der Grünen vom neuen Kanzler Christian Kern (SPÖ).
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss