Konzerte in Berlin: Musik für kleinere Massen
Die neue Coronaverordnung erlaubt größere Konzerte, aber jetzt naht die Deltavariante. Wie blickt die Berliner Konzertszene auf die kommenden Monate?
Inzwischen ist zwar einiges an Veranstaltungen wieder erlaubt: draußen mit bis zu 2.000 Menschen sowieso, seit Samstag genehmigt die Senatsverwaltung für Gesundheit in Ausnahmefällen auch bis zu 5.000 Personen. Aber die Auflagen sind umfangreich: Alle Zuschauer*innen müssen negativ getestet, geimpft oder genesen sein und einen festen Sitzplatz haben. Es braucht ein Hygienekonzept, die Regeln können sich je nach Infektionsgeschehen immer wieder ändern. Und jetzt bringt auch noch die Deltavariante eine Extraportion Unsicherheit in die Zukunftsplanung rein.
Eine große Verschiebe- und Absagewelle für die nächsten Wochen hat das noch nicht ausgelöst. Viel lässt sich sowieso nicht verschieben: Die großen internationalen Acts kommen erst im nächsten Jahr wieder nach Deutschland, die Vorlaufzeiten sind schlicht zu lang. Abgesehen davon haben die Veranstalter*innen viele Konzerte nicht für den Sommer geplant, sondern direkt für den Herbst.
Vermutlich dachten sie, dass die Pandemie dann vorbei sein würde – oder dass dann zumindest genug Zuschauer*innen erlaubt seien, sodass sich der Betrieb rentiert. Danach sieht es mit aktuell steigenden Inzidenzen jedoch nicht aus. Vieles werde weiter in die Zukunft verschoben, sagt etwa die Kreuzberger Ticketverkaufsstelle Koka36.
Seeed plant Konzerte im August
Die Berliner Band Seeed hingegen hat noch Auftritte für Mitte August geplant; an fünf Tagen, Wuhlheide, seit zwei Jahren ausverkauft, pro Konzert 17.000 Tickets. Hofft die veranstaltende Konzertagentur Loft etwa, dass das in einem Monat erlaubt ist?
Dazu könne man sich erst Ende der Woche äußern, sagt ein Sprecher der Agentur der taz. Man sei noch in Gesprächen mit den Akteuren, die an einem Konzert solchen Ausmaßes beteiligt sind: Veranstaltungsort, Künstler*innen, Tourneeveranstalter*innen, Dienstleister*innen und nicht zuletzt die Behörden. Die behördliche Erlaubnis würde nicht langfristig erteilt. Drei Konzerte, die im Juli in der Waldbühne stattfinden sollten, hat die Band schon gecancelt. Da waren die Auflagen im Vorfeld eindeutig gewesen – verboten.
Zuletzt war die Waldbühne Schauplatz für einen Testlauf, wie es sie zurzeit oft gibt. Die Berliner Philharmoniker hatten ihr traditionelles Saisonabschlusskonzert auf drei Konzerte aufgeteilt, das erste fand Ende Juni mit 5.000 Zuschauer*innen statt. 3.000 mehr als offiziell erlaubt, dabei testete man ein QR-Code-System der Charité, um Testergebnisse und Impfnachweise digital zu erfassen.
Die Berliner Kulturverwaltung bewertet das Konzert positiv. Es habe gezeigt, dass so etwas in der Größenordnung machbar sei: „Es ist die Regel, dass wir aufgrund der neuen Verordnung und des Hygienerahmengesetzes Outdoor-Veranstaltungen mit über 2.000 Leuten in Absprache mit der Senatsverwaltung für Gesundheit genehmigen können“, sagt eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Kultur.
Auch wenn es bei einem Klassikkonzert anders zugeht als bei dem einer Mega-Band wie Seeed – ähnliche Modelle werden bereits seit Monaten erprobt. Die Ergebnisse machen Hoffnung: So hatten sich im März bei einem Konzert in Barcelona von 5.000 Besucher*innen nur zwei Menschen nachweislich mit Corona infiziert – allerdings trugen auch alle Masken. Zur Normalität sind solche Modelle noch nicht geworden.
Draußen und klein
Übrig bleiben Konzerte in kleinerer Größenordnung. Da finden die meisten noch draußen statt, die Veranstalter*innen nutzen Open Air als Möglichkeit. So organisiert Ran Huber, Inhaber der kleinen Konzertagentur „Am Start“ Konzerte im Garten des Humboldthain Club in Mitte. Doch nur vorübergehend: Als er die Genehmigung dafür bekam, habe ihm das Ordnungsamt klargemacht, dass dies nur eine Ausnahme sei. Diese Konzerte finanziert er durch Gelder aus dem Förderprogramm Neustart Kultur, das der Bund vergangenen Herbst aufgelegt hatte.
Von den Geldern zehrt auch der Festsaal Kreuzberg in Treptow. Eigentlich arbeitet der Club ohne Fördergelder, aber das war vor der Pandemie. „Unsere Konzerte jetzt gehen nur, weil sie gefördert sind“, sagt Geschäftsführer Björn von Swieykowski. Vergangene Woche fand dort mit dem Berliner Independent-Star Masha Qrella das erste Konzert drinnen statt. Mit 150 Personen, wo normalerweise 1.000 Menschen reinpassen.
Um draußen Konzerte machen zu können, baut der Festsaal eine Bühne auf dem Parkplatz vor dem Haus auf. Theoretisch dürften dort inzwischen 500 Menschen mit Maske und ohne Abstand tanzen – Swieykoswki aber will weiterhin nur 250 reinlassen, wegen des Abstands.
Auf die Deltavariante blickt er mit gemischten Gefühlen: „Das ist jetzt ein Wettlauf: Sind die Impfungen oder Delta schneller?“ Es sei für den Betrieb nervig und belastend, wenn sich die Regeln veränderten, aber man merkt ihm einen gewissen Pragmatismus an.
Für den Herbst hat der Festsaal Kreuzberg schon Konzerte beim neuen Sonderfonds vom Bund registriert. Der soll die Verluste ausgleichen, die entstehen, wenn die Ticketeinnahmen nicht die Kosten decken, weil coronabedingt zu wenige Tickets verkauft werden dürfen. Veranstalter*innen müssen das Event vorher registrieren und kriegen danach einen Teil des Ticketpreises als Zuschuss.
Für größere Konzerte bietet das Programm eine Ausfallversicherung, die Versicherungsgesellschaften seit Corona kaum mehr abschließen. In Berlin waren vergangene Woche schon 308 Veranstaltungen registriert. Auch wenn vieles schon über den Herbst hinaus umdisponiert wurde und ein Normalbetrieb noch in weiter Ferne liegt: Die kleinen Veranstalter*innen planen weiter.
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