Konzert trotz Corona: Wir tun mal so, als wäre das echt
Nena tritt zum Autokonzert in Brandenburg an: „Hallo ihr Lieben in euren Autos, ist das krass, ist das krass.“ Love-Ballons steigen auch, logo.
Man hört ja, dass die Sozialforscher jetzt schon überall Projekte am Laufen haben, was das Coronading so mit uns macht, weil ja alles nicht mehr normal ist hier. Wir leben nämlich in einer historischen Zeit. Was hier seit März abgeht, erinnert einen bei der Wende Dabeigewesenen aus dem Osten tatsächlich ein bisschen an vor 30 Jahren. Jeden Tag irgendwas Neues. Für Sonntag war wieder was Neues angekündigt, diesmal von Nena. Eine „völlig neue Live-Erfahrung“, Sitzkonzert im Auto, das hätte „ja auch fast schon was Historisches“. Okay, fast, denn einige Autokonzerte gab es zuletzt schon, aber nicht in Berlin. Nun also auch hier im Autokino in Schönefeld.
Für mich ist es tatsächlich historisch, denn im Juni war ich zwar erstmals in einem Autokino an der Ostsee, aber da spielte keine Band, sondern Hansa Rostock im Fernsehen. Dritte Liga, gegen Waldhof Mannheim. Hansa verlor 0:1, aber der Service war gut. Per SMS konnte man Pommes und Bier bestellen, was einem dann ans Auto gebracht wurde.
Im Schönefeld läuft das anders. Hier werden keine Bestellungen entgegengenommen, sondern Anweisungen gegeben. Am Parkplatz-Checkpoint bekommt man einen Infozettel. Oben steht „Herzlich Willkommen im Autokino Berlin“, darunter wird’s ernst. Die Stichpunkte lesen sich wie von SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach diktiert: „Das Verlassen des Fahrzeugs zum direkten Toilettengang ist genehmigt“, „Das Hupen ist während der gesamten Veranstaltung strengstens verboten. Zuwiderhandlung führt zum Platzverweis“.
Nach Empfang der schriftlichen Sicherheitsbefehle werden die Autos von Securitylotsen auf die Stellplätze verwiesen. Dort stehen bald rund 600 Autos aus allen Klassen und Schichten – SUVs, Carsharing-Minis, Porsches und abgefahrene Opel-Möhren – und blicken auf eine riesige LED-Wand, unter der eine Bühne mit dem Konzertequipment steht.
Ein winziges Pünktchen auf der Bühne
Neben ihr erhebt sich eine Kulisse aus DDR-Plattenbauten, einem Betonsilo und Strommasten. Irgendwo weiter hinten rechts soll auch der sagenumwobene BER liegen. Sieht man aber nicht, und Flugzeuge hört man auch keine vom Schönefeld-Flughafen nebenan. Was schon mal weitere Lärmprobleme beim Konzert verhindert.
Halb neun kommt Nena. Aus 200 Metern Entfernung in der hintersten Reihe ist sie – rotes Glitzerjacket, dunkle Hose – als winziges Pünktchen auf der Bühne zu sehen. Und groß auf LED. „Hallo ihr Lieben in euren Autos, ist das krass, ist das krass.“ Die Regeln hier seien ja sehr streng, in Stuttgart habe man wenigstens aussteigen dürfen und hupen. Das ist echt verrückt: In Stuttgart geht was, aber nicht in Berlin! Okay, eigentlich ist das hier auch Brandenburg.
Einige hupen. Und Nena singt „Nur geträumt“. „Wir tun alle so, als wäre das hier heute ganz echt“, sagt sie. „Ich fühle euch.“ Eingeschlossen die Leute, die sich die 89 Euro für ein Autoticket sparten und hinterm Sichtschutzzaun Rotkäppchen trinken. Etliche Fans in den Wagen tun das auch, während sie übers Autoradio die Musik hören und von Nenas spontaner Flashmobidee: „Wir gehen alle mal gleichzeitig aufs Klo.“
Es folgt ein Nordkorea-Moment. Auf der LED-Wand wird Nena ausgeblendet und eine Mahnung gesendet: Bleibt im Kfz, ansonsten wird die Veranstaltung sofort abgebrochen. Nicht nötig, alles easy. „Wir werden diese absurden Zeiten überstehen, es wird anders, aber viel geiler“, prophezeit Nena, „Zeiten, wo es egal ist, welches Auto man fährt.“ Auch die SUVs lichthupen und blinken ihr freundlich zu.
Aus dem Autoradio kommen „99 Luftballons“ und über dem Parkplatz schweben echte „Love“-Luftballons. Alle blinkern und hupen und scheinen sich einig mit Nena, als sie sagt: „Das Konzert in Berlin werde ich nie vergessen.“
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