Kontroverse um indischen Mischkonzern : Der 112-Milliarden-Dollar-Verlust
Betrugsvorwürfe bringen den indischen Konzern Adani ins Wanken. Das könnte auch negative Folgen für den Ausbau erneuerbarer Energien haben.
Besonders stark ist der Konzern unter der hindunationalistischen Regierung von Premierminister Narendra Modi geworden. So schnell, dass viele sich wunderten. Im vergangenen Jahr explodierte der Wert des Mutterkonzerns Adani Enterprises Ltd. (AEL) geradezu – bis ein Bericht der US-Anlageberatungsfirma Hindenburg Research den Börsenwert des Imperiums binnen zwei Wochen um 112 Milliarden US-Dollar schrumpfen ließ.
Von „dreisten Aktienmanipulationen und Bilanzfälschungen über Jahrzehnte hinweg“ ist dort die Rede. Auch Mitglieder des Adani-Clans sollen beteiligt sein, etwa durch Gründungen von Scheinfirmen in Steueroasen. Mit diesen Enthüllungen am 24. Januar begann das Adani-Konglomerat zu bröckeln. Die Aktienkurse von vielen Adani-Papieren fallen seitdem.
Adani-Gruppe weist Vorwürfe zurück
Die Adani-Gruppe wies die Vorwürfe zurück und nannte den Hindenburg-Bericht eine „Attacke auf Indien“, die die Unabhängigkeit und Integrität des Landes angreife. Die Gegendarstellung des Konzerns umfasste über 400 Seiten. Es war einer der Versuche, die Bedenken der Investoren einzudämmen. Später wurde in Panik ein geplanter Adani-Aktienverkauf im Wert von 2,5 Milliarden US-Dollar abgesagt.
Stattdessen zahlten Adani und seine Familie eine Milliarde US-Dollar an Krediten vorzeitig zurück. Die indische Zentralbank wurde hellhörig und fragte bei lokalen Banken nähere Angaben zur Verwicklung mit Adani-Firmen an. Das Bankensystem sei aber stabil, hieß es.
Im November 2022 war die Adani-Gruppe 280 Milliarden Dollar wert – und so zwischenzeitlich zum zweitgrößten indischen Mischkonzern aufgestiegen. Damit hatte Adani in kurzer Zeit sogar die renommierte Tata-Gruppe überholt. Beobachter:innen verweisen auf enge Beziehung zwischen Adani und dem indischen Premier Modi, die beide aus dem westindischen Gujarat stammen. Angeblich hat das mit dem Aufstieg ohne staatliche Kontrolle zu tun.
Die Adani-Gruppe hatte sich zuvor immer mehr Geschäfte, Bereiche und ganze Lieferketten einverleibt. Seit 2019 gehören Flughäfen zum Portfolio, von denen nach einer Privatisierungswelle sechs an Adani gingen. Das Unternehmen ist ein Beispiel dafür, wie in Indien in den vergangenen Jahren die Konzentration von Kapital zugenommen hat. Schlagzeilen machte der Konzern auch, als er durch die Hintertür Anteile des unabhängigen TV-Senders NDTV einkaufte. Prominente Journalist:innen verließen daraufhin den Sender.
Absturz betrifft Investoren, darunter auch staatsnahe
Der Adani-Absturz dürfte noch massive Auswirkungen auf Indien haben. Unter den Investoren sind auch die staatsnahen Unternehmen State Bank of India (SBI) sowie die Versicherungsgruppe Life Insurance Corporation (LIC) mit vielen Kleinanlegern. Laut der Finanznachrichtenagentur Bloomberg sind von der Adani-Pleite auch Milliardäre von Arkansas bis Hongkong betroffen. Darunter befindet sich mit Robert Kuok der reichste Mann Malaysias und einer der ältesten Partner von Adani. Auch ausländische Fonds und Banken investierten in Adani.
Gautam Adani ist auch unter Klimaaktivisten bekannt. Das verwundert nicht, denn mehr als 60 Prozent der Einnahmen der Adani-Gruppe stammen aus dem Kohlegeschäft. Mit dem Erwerb des australischen Bergwerks Carmichael wollte Adani Kohle direkt nach Indien importieren. Als Folge bekamen die Proteste gegen das Unternehmen neuen Aufschwung. Andererseits zeigt die Krise um den Milliardär auch neue Sorgen um Indiens sauberere Zukunft.
Adani investierte in Indien – ebenfalls wie Tata oder der Mischkonzern Reliance – in erneuerbare Energien: Solar- und Windparks und eine Offensive in grünem Wasserstoff. Es sind Vorzeigeprojekte der Regierung Modi, die zum Fall Adani schweigt.
Korruptionsvorwurf beschäftigt indisches Parlament
Die Opposition kritisiert Adani dagegen seit Langem. Sie wirft dem Konzern vor, von der Regierung bei der Vergabe von Aufträgen bevorzugt behandelt worden zu sein. „Die größte Korruption des Jahrhunderts“ nennt es der oppositionelle Abgeordnete Pramod Tiwari von der Kongress-Partei im Parlament. Die Opposition fordert seit Tagen eine Aussprache zu den Vorwürfen gegen die Adani-Gruppe, was die Regierung bisher ablehnte. Vor dem Parlament kam es zu Protesten.
In der Volksvertretung griff Kongress-Politiker Rahul Gandhi am Dienstag das Thema erneut auf, indem er Fotos von Begegnungen zwischen Modi und Adani zeigte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja