Kontrolle des UN-Waffenembargos: Türkei erzwingt Abbruch
Das Waffenembargo gegen Libyen kontrollieren? Nicht mit der Türkei. Die geht auf Konfrontationskurs mit der EU. Konsequenzen fürchtet Ankara wohl nicht.
Nach Angaben des Einsatzführungskommandos waren die deutschen Soldaten am Sonntagabend rund 200 Kilometer nördlich der libyschen Stadt Bengasi an Bord eines verdächtigen Frachtschiffes gegangen, um die Ladung zu kontrollieren. Wenig später legte dann allerdings die Türkei als Flaggenstaat ein Veto gegen die Durchsuchung des Containerfrachters ein. Die deutschen Soldaten mussten daraufhin den Einsatz abbrechen.
Um die Risiken einer nächtlichen Rückkehr zur Fregatte „Hamburg“ zu vermeiden, blieben sie jedoch noch bis zum Sonnenaufgang an Bord der „Rosaline A“. Die Besatzung des türkischen Containerschiffes habe sich während des ganzen Einsatzes kooperativ gezeigt, hieß es.
Ob das Nato-Land Türkei seine Vetomöglichkeit gegen die Durchsuchung nutzte, weil die „Rosaline A“ wirklich Waffen oder andere verbotene Güter an Bord hatte, blieb zunächst unklar. Denkbar wäre auch, dass sie lediglich noch einmal ihren Widerstand gegen die als parteiisch angesehene EU-Operation „Irini“ zum Ausdruck bringen wollte, in deren Rahmen der Einsatz der Bundeswehrsoldaten erfolgte.
Dafür könnte auch sprechen, dass der Auftrag zum Boarding durch den griechischen Befehlshaber der Operation „Irini“ gegeben wurde. Wegen türkischer Erdgaserkundungen im östlichen Mittelmeer ist das Verhältnis zwischen Ankara und Athen derzeit äußerst angespannt. Griechenland hat zusammen mit Zypern auch dafür gesorgt, dass beim EU-Gipfel im Dezember weitere Sanktionen gegen die Türkei diskutiert werden sollen.
In Ankara wurde Kritik am Vorgehen der Türkei unterdessen zurückgewiesen. Die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, die „Rosaline A“ habe lediglich Hilfsgüter geladen. Nach ihrer Darstellung gingen die deutschen Soldaten ohne Erlaubnis an Bord, das bewerteten Sicherheitskreise als „rechtswidrige Handlung“, hieß es. Das türkische Schiff habe stundenlang unter schweren Wetterbedingungen ausharren müssen, bevor es weiter in Richtung Libyen fahren konnte.
Aus dem Einsatzführungskommando in Potsdam hieß es dagegen, die Türkei sei über die Pläne für die Durchsuchung des Schiffes informiert worden und habe vier Stunden lang nicht reagiert. Dies sei gemäß der Einsatzregeln als stillschweigendes Einverständnis für das Boarding gewertet worden.
Der Einsatz zur Waffenembargo-Kontrolle war von der EU gestartet worden, weil in Libyen seit dem Sturz des Langzeitherrschers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 Bürgerkrieg herrscht. Die Regierungstruppen werden von der Türkei unterstützt, ihr Gegner, General Chalifa Haftar, von Ägypten, Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Russland. Zuletzt einigten sich die Konfliktparteien Ende Oktober auf einen Waffenstillstand. Ob er hält, gilt aber als unsicher.
Im September hatte die Besetzung der deutschen Fregatte „Hamburg“ bei der Kontrolle eines aus den Vereinigten Arabischen Emiraten kommenden Tankschiffes unter das Waffenembargo fallendes Kerosin entdeckt. Zudem wurden zuletzt EU-Sanktionen gegen Unternehmen verhängt, die Schiffe, Flugzeuge oder andere Logistik für den Transport von Kriegsmaterial bereitgestellt haben. Konkret geht es um drei Firmen aus der Türkei, Jordanien und Kasachstan. Mit der Sanktionierung von Unternehmen aus mehreren Länder wollte die EU auch deutlich machen, dass sie nicht wie von der Türkei behauptet nur Waffenlieferungen an die libysche Regierung verhindern will, nicht aber an den gegnerischen Milizenführer Haftar.
Für Deutschland, Frankreich und Italien ist eine Lösung des Libyen-Konflikts auch wichtig, weil die chaotischen Zustände das Geschäft von Schlepperbanden begünstigen, die Migranten illegal über das Mittelmeer nach Europa bringen.
Aus dem Bundestag kam am Montag scharfe Kritik am Vorgehen der Türkei. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann rief Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) auf, umgehend Stellung beziehen. „Es ist ein Unding, dass die Türkei zum wiederholten Male versucht, die Kontrolle ihrer Schiffe zu behindern“, kritisierte die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion. „Wenn wir das zulassen, können wir die Mission beenden.“
Die Linken-Politikerin Sevim Dağdelen forderte, als Konsequenz der Ereignisse müsse die Bundesregierung endlich die Waffenexporte an die Türkei und alle anderen „Libyen-Brandstifter“ stoppen.
Kurz zuvor war bekannt geworden, dass die deutsche Rüstungsindustrie seit 2004 Kriegsschiffe oder Teile dafür im Wert von 1,5 Milliarden Euro in die Türkei exportiert hat.
Solche Rüstungslieferungen sind inzwischen wegen des Konflikts der Nato-Partner Griechenland und Türkei um Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer höchst umstritten. Bisher unterbindet die Bundesregierung nur den Export von Rüstungsgütern an die Türkei, die im Syrien-Krieg eingesetzt werden können. Güter für den „maritimen Bereich“ werden aber weiter genehmigt und ausgeführt.
Die Regierung des EU-Partners Griechenland hat Deutschland vor einigen Wochen aufgefordert, den Exportstopp auf Kriegsschiffe auszuweiten. Das betrifft insbesondere den Bau von sechs U-Booten der Klasse 214, die in der Türkei unter maßgeblicher Beteiligung des Konzerns ThyssenKrupp Marine Systems montiert werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“