Kontaktloser Besuch im Pflegeheim: Zumindest besser als Telefonieren
Wegen der Coronapandemie waren Besuche in Pflegeheimen verboten – bis jetzt. Unser Autor berichtet von der Zeit bei seiner Mutter.

Seit Dienstag sind dort erstmals wieder Besuche unter strengen Auflagen möglich. Im Eingangsbereich wurde ein provisorisches Besucherzimmer mit Tisch und darauf einer Trennscheibe eingerichtet. Die Auflagen: Registrierung samt Kontaktdaten, kein Körperkontakt, Pflicht des Besuchers zum Tragen von dreilagiger Maske und Einmalhandschuhen, Desinfektion der Handschuhe, maximale Besuchszeit 30 Minuten, danach Desinfektion von Trennscheibe und Tisch, nur ein Besuch pro Bewohner die Woche und nur wochentags, täglich nur acht Besuchsslots insgesamt.
Immerhin bekomme ich einen Slot schon am zweiten Tag – direkt nach der Mittagspause. Ich bin etwas früher da und so dürfen wir uns fünf Minuten länger sehen. Meine Mutter erkennt mich trotz Maske, wundert sich aber die ganze Zeit über die Hygienemaßnahmen. Die kann sie nur mit Mühe erfassen wie die gesamte Pandemie.
Plötzlich tritt der Pfleger, der meine Mutter geholt und mich eingewiesen hatte, wieder auf mich zu. Meine selbst genähte Maske sei nicht wie vorgeschrieben dreilagig. Dem Pfleger ist der pingelige Hinweis etwas peinlich. Er verweist auf die behördlichen Vorgaben. Freundlicherweise besorgt er mir eine Einwegmaske aus den Vorräten des Personals. Das ist mir dann peinlich. Schließlich kenne ich die Berichte, wie schwer es ist, genug Nachschub für das Personal zu bekommen.
Dann weist uns der Pfleger darauf hin, dass unsere Zeit abgelaufen ist. Er fragt mich nach meinem Eindruck: „Humaner als ein Knastbesuch“, sage ich. Ich erinnere mich an Besuche inhaftierter Freunde mit Trennscheiben aus dickem Glas, eine Verständigung war nur mit Mikrofonen möglich. Mir fällt auch wieder ein, wie ich Anfang der 80er Jahre in einem Berliner Krankenhaus mit einer Hepatitis in Quarantäne war. Mein Zimmer lag im 1. Stock, Besucher standen auf der Straße. Ich musste das Fenster aufschrauben, damit wir uns wenigstens zurufen konnten.
Das Heim hat den Besuchsraum mit Blumen freundlich geschmückt. Weil der auch der Eingangsbereich ist, befanden wir uns trotzdem wie auf einem Präsentierteller. Aber zumindest war es besser als Telefonieren, weil wir uns immerhin mal wieder sehen konnten. Da meine Mutter und ich uns noch hauptsächlich über Worte verständigen und auch bisher wenig Körperkontakt pflegten, war es okay. Doch sollten Gespräche bei fortschreitender Demenz kaum noch Sinn machen, könnte das Verbot körperlicher Nähe unerträglich sein.
Nach dem Besuch greift der Pfleger zum Desinfektionsmittel und wischt den Tisch und die Scheibe damit ab. „Das Plexiglas dürfte davon bald stumpf werden,“ sagt er. Dann wird meine Mutter früher merken, dass irgendwas zwischen uns nicht stimmt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin