: Liz Truss hat ein Allheilmittel: Steuersenkungen
Die ersten Auftritte der neuen konservativen Regierung sorgen für Turbulenzen an den Märkten
Von Dominic Johnson
Einen fulminanten Start ab dem ersten Tag versprach Liz Truss, als sie am 6. September neue Premierministerin Großbritanniens wurde. Zwei Tage später starb Queen Elizabeth II. und das öffentliche Leben kam zum Stillstand, bis zum Staatsbegräbnis am 19. September. Umso spektakulärer tritt Großbritanniens vierte konservative Premierministerin in Folge seitdem bisherige konservative Gewissheiten in die Tonne und sorgt für Entsetzen bis weit in die eigene Partei hinein.
Hauptgrund: Der Nachtragshaushalt, den Finanzminister Kwasi Kwarteng am vergangenen Freitag im Unterhaus vorstellte. Offiziell lediglich ein „fiskalisches Ereignis“, bewegt der sogenannte „Mini-Haushalt“ mehr als so mancher ordentliche Haushaltsentwurf – vor allem auf den Finanzmärkten, die seitdem das britische Pfund auf Talfahrt und die britischen Anleiherenditen auf Höhenflüge schicken.
Kwarteng vollzog einen deutlichen neoliberalen Schwenk. Erstes Element: Steuersenkungen, vor allem für Unternehmer und Gutverdiener. Der Spitzensteuersatz von 45 Prozent wird abgeschafft; die Steuerprogression endet jetzt mit dem bisher zweithöchsten Satz von 40 Prozent. Die für nächstes Jahr geplante Anhebung des Unternehmensteuersatzes von 19 auf 25 Prozent wird ausgesetzt. Die aus der EU-Ära geerbte Bonusobergrenze für Banker wird abgeschafft. Weiter wird die für 2024 geplante Senkung des Eingangstarifs von 20 auf 19 Prozent auf 2023 vorgezogen und die erst vor einem Jahr beschlossene Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge rückgängig gemacht.
Zweites Element: Anreize für Investitionen. Dazu gehören erweiterte Abschreibungsmöglichkeiten, die Vereinfachung des Planungsrechts und die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Landesweit sollen 38 „Investitionszonen“ entstehen, in denen zahlreiche Vorgaben wegfallen und weder Gewerbesteuern noch Sozialversicherungsbeiträge anfallen.
„Einen neuen Zugang für eine neue Ära“ nannte Kwarteng sein Maßnahmenpaket und erklärte, er wolle den bisherigen „Teufelskreis der Stagnation“ in einen „segensreichen Kreis des Wachstums“ verwandeln – ganz so, als käme er frisch an die Macht. Dabei war er selbst Wirtschaftsminister in der Regierung Boris Johnson. Er zerpflückt vor allem das Werk seines Vorvorgängers Rishi Sunak, der im Sommer den parteiinternen Wahlkampf um Johnsons Nachfolge gegen Liz Truss verlor, die Steuersenkungen versprach, während er Haushaltsdisziplin anmahnte. Übernommen hat Kwarteng lediglich Sunaks Entlastungspaket für Energieverbraucher mit Unterstützungsmaßnahmen von 60 Milliarden Pfund.
Mehr Ausgaben, weniger Steuern – damit droht eine rapide Zunahme der Kreditaufnahme der britischen Regierung. Noch während Kwartengs Rede im Parlament am Freitag schossen die Zinserwartungen der Anleger in die Höhe. Da die britische Zentralbank zögert, sackte am Montag, dem ersten vollen Geschäftstag danach, das Pfund auf den Märkten zeitweise ab wie ein Stein. Es hat sich etwas erholt, aber nun steht die Erwartung kräftiger Zinserhöhungen im Raum, was wiederum die Ausgaben für den Schuldendienst erhöht.
Die Aufregung über Kwartengs Pläne ist etwas übertrieben. Sein spektakuläres Paket besteht tatsächlich bloß aus Ankündigungen, die erst noch in kommende Haushaltsentwürfe einzuarbeiten sind. Das erklärt auch die gelassene Reaktion der Zentralbank, die zu einzelnen Maßnahmen jetzt „Konsultationen“ ankündigt. Eine reguläre Haushaltserklärung ist erst Ende November fällig.
Aber Truss wollte wohl ein Zeichen setzen, bevor sie sich kommende Woche beim Jahresparteitag der Konservativen bewähren muss. Manche ihrer Anhänger begrüßen ihre Risikofreude und jubeln, dass endlich was passiert. Andere dürften dem Urteil des Economist zustimmen: „Kwartengs Wunsch nach Wachstumsförderung ist löblich, aber sein Plan wird ökonomisch nicht funktionieren und dürfte politisch nach hinten losgehen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen