Konjunktur-Forschung: Rezept gegen neue Krise gesucht
Die Bundesregierung sucht die Institute aus, die die Gemeinschaftsdiagnose erstellen und damit die Grundlage für die Wirtschaftspolitik legen. Gibt es jetzt neue Beratung?
BERLIN taz | Der Tiefpunkt der größten Wirtschaftskrise seit der großen Depression ist vorbei. Nun geht es um die Frage: Wie stabilisiert man den Aufschwung so, dass die Kapazitäten wieder ausgelastet werden? Nur dann kann die Wirtschaft so wachsen, dass eine nachhaltige Konsolidierung möglich ist. In diesen Wochen entscheidet die Bundesregierung, von wem sie sich beraten lassen will. Sie hat die Gemeinschaftsdiagnose, die gemeinsame Konjunkturprognose verschiedener Wirtschaftsinstitute, neu ausgeschrieben. In dieser Woche sind die Bewerbungen eingegangen.
Will die schwarz-gelbe Koalition eine breite Debatte mit vielen Denkansätzen? Oder greift sie auf die Erfahrung der Institute zurück, die die "Leitlinien der wirtschaftlichen Entwicklung" bislang vorgegeben haben?
Seit 1950 gibt es die Gemeinschaftsdiagnosen, die im Frühjahr und im Herbst erstellt werden. Neben den Gutachten des Sachverständigenrats sind sie die Grundlage für die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung. Ein halbes Jahrhundert lang wurden sie von den gleichen Instituten erstellt. Erst seit 2007 werden sie für drei Jahre ausgeschrieben und an bis zu vier Bewerber vergeben, die auch Konsortien aus mehreren Instituten sein können. Der Wettbewerb sollte zur "besseren Fundierung wirtschaftlicher Entscheidungsprozesse" führen, hieß es aus dem damals CSU-geführten Wirtschaftsministerium.
Im ersten Anlauf gelang die große Veränderung nicht. Zwar waren zuletzt mit der Konjunkturforschungsstelle der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich sowie dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) und dem Institut für Höhere Studien aus Wien immerhin drei nichtdeutsche Institute beteiligt. Und auch das noch junge Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), das bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung angesiedelt ist, bekam eine Chance.
Aber die Empfehlungen des Gutachtens lasen sich wie zuvor: weniger Staat und mehr Eigeninitiative, sprich Ausgabenkürzungen, "moderate Löhne", Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, als "Umbau" getarnter Abbau der Sozialsysteme und Steuersenkungen. Kein Wunder: Die Konsortialführer kamen aus dem alten Kreis: Es waren das Institut für Weltwirtschaft (IfW) aus Kiel, das Münchner Ifo-Institut, das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) aus Essen und als einziges ostdeutsches Institut das Institut für Wirtschaftsforschung Halle.
Diesmal haben sich sechs Institute und Konsortien beworben. Schon in der Vorauswahl ausgeschieden war das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Die Regierung gibt keine Begründung ab, doch dürfte eine Rolle gespielt haben, dass die Berliner mit der Deutsche Bank Research antreten wollten. "Es wäre schwer vermittelbar, wenn sich die Politik in einer Krise von Bankern beraten ließe, die von diesen Bankern mit verursacht wurde", sagt IMK-Direktor Horn.
Der Direktor des einzigen keynesianisch orientierten Instituts unter den Bewerbern hat in den letzten drei Jahren in einem Konsortium unter Führung des IWH selbst Lehrgeld gezahlt: Im letzten Herbstgutachten hieß es, die Bundesregierung müsse das durch die Rettungspakete gestiegene Staatsdefizit schnell wieder abbauen - und jährlich 12 Milliarden Euro einsparen. Dass die IMK-Experten das für vollkommen kontraproduktiv hielten, taucht nicht einmal als Minderheitenmeinung auf - denn dazu fehlte die Zustimmung des IWH.
"Wegen unüberbrückbarer Differenzen haben wir uns getrennt", sagt Horn. Nach den jüngsten Erfahrungen könne es in der Wirtschaftspolitik "kein ,Weiter so' geben". Stattdessen müsse man sich der Regulierung der Finanzmärkte, aber auch der starken weltweiten Ungleichgewichte sowohl bei Einkommen und Vermögen als auch in den Leistungsbilanzen annehmen.
Nun will das IMK mit dem Wifo und dem National Institute of Economic and Social Research aus London zusammenarbeiten. Und auch das IWH hat sich mit den Kiel Economics einen neuen Partner gesucht. Die Chancen auf einen Zuschlag sieht Horn so: "Wenn die Regierung Pluralität fordert, können wir das leisten - besser als die Konkurrenz." Offen sei jedoch, "ob das opportun ist".
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