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Konflikt zwischen Brüssel und WarschauDie Folterwerkzeuge sind gezückt

Der Streit zwischen der EU und Polen hat im EU-Parlament zur Konfrontation geführt. Warschaus Premier warnte vor einem europäischen „Superstaat“.

Redete sich in Rage: Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki vor dem EU-Parlament Foto: Ronald Wittek/dpa

Brüssel taz | Höflich und diskret – so beschreiben Insider den normalen Umgang zwischen Ursula von der Leyen und Mateusz Morawiecki. Doch als die Präsidentin der EU-Kommission und der Chef der polnischen Regierung am Dienstag in Straßburg aufeinandertrafen, war nichts normal. Unfreundlich und direkt, fast schon brutal – so war die Aussprache, die die Zukunft der EU entscheiden könnte.

Ich bin nicht damit einverstanden, dass Politiker Polen erpressen wollen und Polen drohen

Mateusz Morawiecki

Auf der Tagesordnung standen der Rechtsstaat in Polen und der Vorrang des EU-Rechts. „Ich bin zutiefst besorgt“, eröffnete von der Leyen die Debatte. Das polnische Verfassungsgericht habe das europäische Recht angezweifelt und damit „die Basis der EU“ infrage gestellt, so die CDU-Politikerin. Dies könne und werde sie nicht unbeantwortet lassen.

Das Verfassungsgericht in Warschau hatte kürzlich entschieden, dass Teile des polnischen Rechts über der EU-Gesetzgebung stehen. Nach Auffassung der Kommission stellt dies einen Verstoß gegen die europäischen Verträge dar. „Die Kommission wird handeln, die Optio­nen sind bekannt“, warnte von der Leyen – und legte zum ersten Mal öffentlich ihre Folterwerkzeuge auf den Tisch.

Instrument Nummer eins: ein Vertragsverletzungsverfahren, wie es Brüssel schon gegen Deutschland angestrengt hat, nachdem das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs kritisiert hatte – Ausgang offen.

Die „Nuklearoption“

Waffe Nummer zwei: die Kürzung von EU-Geldern nach dem neuen, im Januar 2021 eingeführten Rechtsstaatsmechanismus – der allerdings noch nie angewendet wurde.

Dritte Option: Ein so genanntes Artikel-7-Verfahren zur Einschränkung der polnischen Stimmrechte im Ministerrat. Diese „Nuklear­option“ braucht jedoch Einstimmigkeit und hat deshalb noch nie funktioniert – Ungarn und Polen decken sich gegenseitig.

Doch allein schon die Aufzählung dieser Waffen genügte, um Morawiecki in Rage zu bringen. „Ich bin nicht damit einverstanden, dass Politiker Polen erpressen wollen und Polen drohen“, erklärte der erzkonservative PiS-Politiker mit ernster Miene. „Wir sind ein stolzes Land“, das schon viel für Recht und Freiheit in Europa getan habe.

Das Streit um das EU-Recht werde falsch geführt, so Morawiecki. Seine Regierung sei weder gegen den Rechtsstaat noch gegen den Europäischen Gerichtshof – sondern wolle lediglich verhindern, dass die EU ihre Kompetenzen ständig ausweite. Dagegen hätten auch schon andere Gerichte protestiert, so Morawiecki unter Verweis auf Urteile aus Karlsruhe.

Polen wolle keineswegs die EU verlassen, sondern sicherstellen, dass kein „Superstaat“ entstehe. Ähnlich argumentiert Morawiecki auch in einem Brief an die 27 Staats- und Regierungschefs, die sich am Donnerstag in Brüssel zu einem zweitägigen EU-Gipfel treffen. Es drohe die Entstehung eines europäischen Zentralstaats ohne demokratische Kontrolle, warnt er Kanzlerin Angela Merkel und die übrigen EU-Chefs.

Viel Beifall dürfte es dafür allerdings nicht geben – außer von Ungarn, das ähnliche Positionen vertritt. Im Europaparlament stand Morawiecki allein auf weiter Flur, sieht man von den Nationalisten und Rechtsextremen ab. Sogar die konservative Europäische Volkspartei (EVP), die sonst auch gern vor Zentralismus und EU-Bürokratie warnt, ging auf Distanz.

Putin werde sich freuen

„Durch Ihre Rede säen Sie Spalt und Streit in der EU. Sie machen Europa schwächer mit diesem politischen Ansatz“, sagte der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU), Darüber freue sich vor allem Russlands Präsident Wladimir ­Putin, so Weber. Ein erstaunlicher Seitenhieb, hatte Morawiecki in seiner Rede doch auch vor Putin und dessen „aggressiver“ Politik gewarnt.

Abgeordnete der Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen forderten Finanzsanktionen gegen Polen. Die EU-Kommission müsse nun „schnell reagieren“ und EU-Gelder kürzen, sagte Ska Keller von den Grünen. Auch der Vorsitzende der Linken-Fraktion, Martin Schirdewan, forderte Taten: „Die Zeit schöner Worte ist vorbei, handeln Sie“, sagte er zu von der Leyen.

Doch die Chefin der EU-Kommission wollte sich nicht festlegen. „Diese Situation kann und muss gelöst werden“, erklärte sie vage. Von der Leyen sei durch geheime Absprachen mit Merkel und Morawiecki gebunden, vermuten viele EU-Abgeordnete. Noch am Montagabend hatte sie sich mit der Kanzlerin in Berlin getroffen und die Strategie für den EU-Gipfel am Donnerstag abgesprochen.

Details sind nicht durchgesickert. Allerdings ist klar, dass Merkel weiter auf Dialog setzt. „Wir haben große Probleme, aber ich rate dazu, sie im Gespräch zu lösen und Kompromisse zu finden“, sagte sie. Wenn es dabei bleibt, dürfte auch der EU-Gipfel keine Lösung bringen. Bisher haben sich nur die Niederlande, Österreich und Luxemburg für finanziellen Druck auf Polen ausgesprochen.

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