Konflikt um die Rigaer Straße: Raus aus der Sackgasse
Die Fronten im Kiez rund um die Rigaer Straße sind verhärtet. Jetzt soll geredet werden – mit allen Beteiligten. Ein runder Tisch reicht dafür nicht aus.
Was lange währt, wird endlich groß: Seit Monaten schon steht die Ankündigung im Raum, im Konflikt um die Rigaer Straße werde es bald einen neuen runden Tisch geben. Jetzt soll es losgehen – aber nicht als einmaliges Treffen, sondern als neunmonatiges Verfahren, das außerdem nicht auf die Rigaer Straße beschränkt werden soll: „Dialogprozess Samariterkiez“ heißt das Projekt, das die Stiftung SPI im Auftrag des Bezirksamt erarbeitet hat und das nächste Woche startet.
„Ziel des Prozesses ist es, die Anliegen der verschiedenen Interessensgruppen im Kiez herauszufiltern und in die zukünftige stadtpolitische Gestaltung einzubringen“, sagt Sara Lühmann, Sprecherin des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Dafür sollen erst die verschiedenen Interessensgruppen gesondert angehört werden, anschließend will der Bezirk die drängendsten Probleme in übergreifenden Formaten diskutieren (siehe Kasten).
Soweit die Theorie. In der Praxis dürfte das Projekt vor einigen Schwierigkeiten stehen, denn die Konflikte im Kiez sind vielschichtig: Im letzten Jahr hatte vor allem der Konflikt rund um das Hausprojekt Rigaer94 für Aufsehen gesorgt, dessen Dimension weit über den Bezirk hinausgeht. Doch nicht nur zwischen Polizei und Autonomen, auch zwischen anderen Gruppen gibt es Zoff: Baugruppen beklagen sich, von ihren Nachbarn zu Unrecht als Gentrifizierer verdammt zu werden, Anwohner beschweren sich über die ständigen Personenkontrollen, die die polizeiliche Einstufung als kriminalitätsbelasteter Ort mit sich bringt.
Die Entscheidung gegen einen klassischen runden Tisch und gegen den alleinigen Fokus auf die Rigaer94 ist dabei schon ein erster Anhaltspunkt dafür, wie der Bezirk diese Gemengelage angehen soll: Er entzieht sich damit der in der Vergangenheit hitzig geführten Debatte, ob sich Bezirk und Polizei überhaupt mit den BewohnerInnen der Rigaer94 an einen Tisch setzen sollten – mit Straftätern dürfe man nicht reden, hieß es da.Im Dialogprozess tauchen die Bewohner aus der Rigaer94 nun überhaupt nicht mehr als gesonderte Gruppe auf. „Für uns gehören sie einfach mit zu den Anwohnern“, sagt Konstanze Fritsch von der Stiftung SPI, die das Projekt leitet. Auch die Bewohner der Rigaer94 hätten Sorgen, die ernst genommen werden müssten: „Man muss sagen: Straftaten sind nicht o. k., aber man darf nicht die Anliegen einer Gruppe kategorisch ablehnen, weil einem ihre Wahl der Mittel nicht gefällt“, sagt Fritsch und betont, man wolle sich im Prozess nicht von „politischen Hypes“ verrückt machen lassen.
In der ersten Phase sollen verschiedene Gruppen gesondert befragt werden: Los geht es mit Bildungseinrichtungen und sozialen Trägern, es folgen die Gewerbetreibenden, die Bauherren sowie Behörden wie Polizei und Ordnungsamt.
Ab Ende November startet als Teil der ersten Phase auch der Anwohnerdialog. Dafür soll ein fester Ort eingerichtet werden, vermutlich in einem Ladengeschäft in der Rathauspassage an der Frankfurter Allee. Aus der ersten Phase sollen dann die drei drängendsten Problemfelder identifiziert und anschließend ab Februar in übergreifenden Formaten diskutiert werden.
Vor den Sommerferien soll der Prozess abgeschlossen und das Ergebnis ans Bezirksamt übergeben werden. Kostenpunkt des Projekts: 10.000 Euro. (mgu)
Worte, die Zündstoff für erneute Diskussionen sein könnten. Gleichzeitig ist fraglich, ob die Bewohner der Rigaer94 überhaupt Lust haben, tatsächlich an dem bezirklichen Verfahren teilzunehmen, der in autonomen Kreisen vermutlich als staatliche Befriedungsmaßnahme interpretiert werden dürfte.
Welche konkreten Ergebnisse das Verfahren bringen wird, ist unklar. „Wir glauben, dass es schon einen großen Unterschied macht, wenn überhaupt mal hingehört wird“, sagt Fritsch und betont: „Niemand hat Lust, nur zu labern.“ Sie hofft, dass im Laufe des Prozesses Probleme identifiziert werden, für die es einfache, kurzfristige Lösungen gibt.
Dass das gar nicht so einfach ist, lässt sich im Kiez gerade beobachten: Größter Aufreger ist momentan die Vollsperrung der Rigaer Straße. Weil hier Luxuswohnungen gebaut werden, kommt seit Anfang August zwischen Voigtstraße und Samariterstraße niemand mehr weiter. Im September wurde im Bezirksparlament beschlossen, dass zumindest für Fußgänger und Radfahrer ein Durchgang eingerichtet werden soll. Laut Bezirk widerrief dieser anschließend die Sondernutzungserlaubnis für die beiden Bauträger. Die sind damit allerdings nicht einverstanden, weshalb es nun weitere Gespräche geben soll. So lang bleibt die Straße zu.
Die Gunst der Anwohner gewinnt man mit solchen Maßnahmen nicht – die Frage ist, ob das Investoren wie die CG-Gruppe, die dort das Luxuswohnprojekt Carré Sama Riga bauen lässt, überhaupt noch interessiert. Ob solche Investoren sich an dem Dialogprozess beteiligen werden, ist zurzeit unklar: „Wir wünschen uns das, aber zwingen können wir natürlich niemanden“, sagt Fritsch dazu.
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