Konflikt um Preisverleihung: Onay will kein Jagdwild sein
In Hannover eskaliert ein Konflikt zwischen Presse Club und OB Belit Onay. Dabei geht es auch darum, wer sich in dieser Stadt so für wichtig hält.
Was der Oberbürgermeister unter anderem so übel genommen hat, sind ein paar Zeilen in einem Rundschreiben an die Mitglieder des Presse Clubs im November. Darin heißt es: „Die Schonzeit ist vorbei! Die Geweihträger haben keine Chance, wenn auf sie angelegt wird. November ist Jagdzeit im Tiergarten.“ Und einen Absatz später: „Vorbei mit der Schonzeit für Oberbürgermeister Onay.“
Nun war dem grünen Stadtoberhaupt möglicherweise gar nicht bewusst, dass er überhaupt eine Schonzeit genießt: Immerhin bekommt er ja schon seit Amtsantritt Hassmails und Morddrohungen, die sich gern auch einmal gegen seine Familie richten. Onay empfand dies jedenfalls als „Aufruf zur Jagd auf meine Person“, der ihn zudem an Gaulands Äußerungen nach der Bundestagswahl erinnerte. Und er mahnte mit dem Hinweis auf den Mordfall Lübcke, man solle bedenken, „welche Wirkung eine verächtliche Sprache“ habe.
Seiner Empörung schaffte er anfangs allerdings noch bei den Vorstandsmitgliedern des Presse Clubs Luft und nicht öffentlich. Aus dem Rathaus hieß es, man habe erwartet, dass die sich distanzieren oder für eine Entschuldigung sorgen. Doch es passierte: nichts.
Stattdessen legte der kritisierte Presse-Club-Chef nach. In seinem jüngsten Rundschreiben erzählt er von einem Telefongespräch mit dem Stadtkämmerer Dr. Axel von der Ohe: „Wir haben festgestellt, dass Stadt Hannover und Presse Club Hannover auch in Zukunft zusammenarbeiten möchten. Die angekündigte Einladung zur Tasse Kaffee, die kommen soll, werde ich gerne annehmen und im Rathaus genießen.“
Das Problem mit dem Leibniz-Ring-Preisträger 2020
Das wiederum interpretiert man im Rathaus als Signal, dass die Äußerungen Onays nicht ernst genommen werden und stattdessen der Versuch unternommen wird, seine Verwaltungsspitze gegen ihn auszuspielen. Das ist keine ganz abwegige Interpretation, wenn man die Vorgeschichte und handelnde Personen anschaut. Seinen Ursprung hat dieser Konflikt in der Verleihung des Leibniz-Ringes an den 99-jährigen Journalisten Rolf Zick im vergangenen Jahr.
Rolf Zick hat die Landespressekonferenz mitgegründet, kennt oder kannte alle elf niedersächsischen Ministerpräsidenten persönlich und steht auch gern als Zeitzeuge zur Verfügung, um in Schulen über seine Erfahrungen als Flakhelfer-Ausbilder und Kriegsgefangener zu berichten.
Er ist auch Ehrenvorsitzender des Presse Clubs Hannover und als nun – in der Pandemie – eine Preisverleihung in eher kleinem Rahmen anstand, hielt der Vorsitzende Köster es für eine gute Idee, dann doch gleich jemanden aus den eigenen Reihen auszuzeichnen.
Dummerweise deckte kurz vor der Auszeichnung ein Historiker auf, dass Zick Mitglied der NSDAP gewesen ist. Der kann sich daran nicht erinnern, was ja auch anderen Prominenten schon so ging: Walter Jens und Siegfried Lenz, zum Beispiel. Lange hielt sich das Gerücht, es seien damals Hitlerjungen quasi en bloc in die Mitgliedskartei der NSDAP überführt worden – das gilt aber in der Forschung mittlerweile als widerlegt, wie der Historiker Malte Herwig in der HAZ betonte.
Möglicherweise wäre das eine gute Gelegenheit gewesen, die schwierige Rolle der wenigen verbliebenen Zeitzeugen zu reflektieren. Immerhin berichtet hier ein fast 100-Jähriger über Ereignisse, die stattfanden, als er 18 war. Wer sich je mit der Funktionsweise des menschlichen Gedächtnisses beschäftigt hat, weiß, dass das nicht ohne Auslassungen oder Verschiebungen geht.
Doch Zick beharrte darauf, sich nicht erinnern zu können. Eine schwierige Situation für die zahlreiche Politprominenz, die zur Preisverleihung eingeladen war. Niemand, der je mit Zick zu tun hatte, hält ihn für einen verkappten Alt-Nazi, aber die mangelnde Bereitschaft zur kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen Gedächtnislücken enttäuschte.
Vermeintliche Gewohnheitsrechte und gekränkte Eitelkeiten
Belit Onay suchte persönlich das Gespräch mit dem alten Herren und erklärte ihm, warum er es unter diesen Umständen schwierig fand, den traditionellen Eintrag ins Goldene Buch der Stadt zuzulassen. Zu genau diesem Programmpunkt hatte Presse-Club-Chef Jürgen Köster aber längst eingeladen. Und er reagierte nun schwer beleidigt, als man ihn zurückpfiff. Auch den berichtenden Journalisten nahm er übel, dass sie das Thema überhaupt aufgerührt hatten und damit seine schöne Preisverleihung beschädigten.
Immer wieder kam er in den folgenden Rundschreiben auf das Thema zurück, in er denen sonst in jovial-onkelhaftem Tonfall darüber plaudert, wie er früher auf der Schreibmaschine schrieb („war die Zeile voll, klingelte es“) oder vom Kurzurlaub erzählt („am Tegernsee, wo ich vergangenes Wochenende war“). Das sagt viel über die Person Köster und das Wesen des Presse Clubs. In dem finden sich kaum aktive Journalisten, aber viele PR-Leute.
Der Leibniz-Ring, den der Presse Club auch erst seit 2012 vergibt, ging bisher selten an umstrittene Persönlichkeiten. Das PR-Event sollte eher für einen Hauch von Glamour und Bedeutung sorgen, in dem sich die Anwesenden – überwiegend ältere Herren nebst Gattinnen – dann sonnen konnten. Zu den Preisträgern zählen auch so Harmlosigkeiten wie der (in Hannover unvermeidliche) Scorpions-Sänger Klaus Meine oder Deutsche-Komödien-Spezialist Sönke Wortmann.
Entschuldigung fällt schwer
Der 72-jährige Köster war früher einmal ein gefragter Radiomacher. Er soll Ende der 80er-Jahre NDR 1 Radio Niedersachsen zu neuen Erfolgen geführt haben, verließ den NDR aber, weil er nicht unter Lea Rosh arbeiten wollte. Danach war er kurze Zeit beim Radiosender FFN, gründete dann den Classic-Rock-Sender „Radio 21“.
Seine regelmäßige „Post vom Vorsitzenden“ wirkt genauso konservativ-betulich wie die Titel der meisten Clubabende und besteht vor allem aus dem fleißigen Zurschaustellen seines „Old-Boys-Network“: „unser Mitglied Joachim König, Chef des Hannover Congress Centrum (HCC)“ hier, „unser Mitglied Prof. Madjid Samii, Präsident des International Neuroscience Institut (INI)“ dort.
Mit dem Entschuldigen tut sich Köster erkennbar schwer: „Falls aus meiner Mail vom 10. 11. 2020 an die Mitglieder des Presse Clubs Hannover die von Ihnen formulierten Vorwürfe ernsthaft heraus interpretiert werden können, versichere ich, dass dieses nie meine Absicht war. Dann entschuldige ich mich in aller Form.“ So zitiert die HAZ seinen Versuch zu retten, was zu retten ist. Dass Onay sich damit zufrieden gibt, gilt als unwahrscheinlich.
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