Konflikt um AKW: Aufatmen in Saporischschja
Russische Truppen könnten das Atomkraftwerk bald verlassen. Denn eine Einigung ist in Sicht.
Die beiden Seiten hätten sich schon auf einige grundlegende Prinzipien einer Vereinbarung geeinigt, so Grossi. „Der Abzug der Waffen aus dem Kraftwerk ist das, was die Ukrainer verständlicherweise fordern. Und es wäre immer noch Teil der Allgemeinen Vereinbarung“, so Grossi in dem Interview.
Der IAEA-Chef hatte auch lobend hervorgehoben, dass sich Ukraine und Russland geeinigt hätten, weder auf das AKW zu schießen noch von diesem zu schießen. Gleichwohl war Grossi der Frage aus dem Weg gegangen, wer denn nun die Verantwortung für die Schüsse auf das AKW trage. Es sei nicht seine Aufgabe, so Grossi, Verantwortung zuzuweisen. Seine Aufgabe sei es, einen Atomunfall zu verhindern.
Im März hatten russische Truppen das AKW angegriffen und besetzt. Am 3. Oktober wurde in Moskau die Firma „Organisation zum Betrieb des AKWs Saporischschja“ registriert, die jetzt – aus russischer Sicht – Betreiberin des AKWs ist. Und der russische Atomkonzern Rosatom hatte einen Großteil der Mitarbeiter des AKWs gezwungen, ihren Arbeitsvertrag mit der ukrainischen Energoatom zu kündigen und mit der Moskauer Firma zusammenzuarbeiten, berichtet die ukrainische Atomexpertin Olga Koscharna der taz.
Russischer Export von Ammoniak ist im Gespräch
Vieles spricht dafür, dass die Russen im AKW Saporischschja bereits auf gepackten Koffern sitzen. So hatte das oppositionelle russische Medium Meduza von Hinweisen über einen russischen Abzug aus dem AKW berichtet. Russland würde seine Waffen und Soldaten aus dem AKW abziehen, wenn es im Gegenzug Garantien erhielte, auch weiterhin Öl und Gas über ukrainisches Gebiet exportieren zu können, hatte Meduza berichtet.
Über die Druschba-Pipeline liefert Russland durch die Ukraine Öl nach Ungarn, in die Slowakei, in die Tschechische Republik und nach Polen.
Es wäre vielleicht besser, so Atomexpertin Koscharna zur taz, wenn man Russland stattdessen den Export von Ammoniak garantieren würde. Auch das ist im Gespräch. Ende November, so hatte die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, hatten sich Vertreter Russlands und der Ukraine in den Vereinigten Arabischen Emiraten getroffen und über die Möglichkeit eines Gefangenenaustauschs und eine Garantie für einen Export von russischem Ammoniak über ukrainisches Gebiet gesprochen. Ammoniak wird für die Herstellung von Düngemitteln gebraucht.
Alexander Musienko vom ukrainischen Zentrum für militärrechtliche Fragen begrüßt eine russisch-ukrainische Vereinbarung, bei der Russland das AKW verlässt und im Gegenzug Garantien für den Export von Energieträgern erhielte.
Russland könnte AKW aus der Entfernung kontrollieren
Doch selbst wenn Russland seine Waffen und seine Soldaten aus dem AKW abziehen würde, heißt das noch nicht, dass die Ukraine damit sofort wieder die Kontrolle über das AKW erlangt. Die Moskauer Firma „Organisation zum Betrieb des AKWs Saporischschja“ werde nämlich auch aus der Entfernung versuchen, weiterhin das AKW zu kontrollieren, fürchtet Olga Koscharna im Gespräch mit der taz. Außerdem sei nicht klar, wer aktuell legitimiert sei, das AKW zu leiten.
Die Ukraine habe Juri Tschernitschuk, der bisher Chefingenieur des AKWs war und nun mit Moskau einen Vertrag abgeschlossen hat, die Lizenz entzogen. „Derzeit gibt es niemanden in der Führung des AKWs“, so Koscharna, „der für diese Aufgabe eine gültige Lizenz hat.“ Es sei ein beispielloser Vorgang, dass ein AKW von Personen geführt werde, die dazu nicht lizensiert seien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen