Konflikt in der Ukraine: Es ist noch nicht vorbei

Timoschenko ist frei, Janukowitsch des Amtes enthoben, doch der Konflikt in der Ukraine ist deshalb nicht beendet. Noch immer droht Bürgerkrieg.

Jetzt liegt es auch an Julia Timoschenko, ob die Ukraine zur Ruhe kommt. Bild: ap

KIEW taz | Am späten Samstagnachmittag verließ die seit 2011 inhaftierte ukrainische Oppositionsführerin Julia Timoschenko als freie Frau das Krankenhaus von Charkow. Völlig unerwartet hatte wenige Stunden zuvor die Verchovnaja Rada mit überwiegender Mehrheit ihre Freilassung beschlossen. Timoschenko flog sofort nach Kiew, wo sie auf dem Maidan bereits erwartet wird.

Die gleiche Strecke flog kurz vor ihr Kontrahent Viktor Janukowitsch, nur in umgekehrter Richtung. Am Samstagmittag hatte das Parlament Staatspräsident Viktor Janukowitsch seines Amtes enthoben.

Bereits vor der Entscheidung zu Julia Timoschenko hatte die „Rada“ eine Reihe sensationeller Beschlüsse gefällt. Der Innenminister, dem die tödliche Gewalt gegen Demonstranten angelastet wird, Witalij Sachartschenko, wurde entlassen und durch einen Abgeordneten der oppositionellen „Batkivschtschina“-Partei, Arsen Awakow, ersetzt. Dem Generalstaatsanwalt Viktor Pschonke sprach das Parlament das Misstrauen aus. Verteidigungsminister Pawel Lebedew wurde durch die Ernennung eines Beauftragten des Verteidigungsministeriums weitgehend entmachtet.

Parlamentssprecher Wladimir Rybak und sein Stellvertreter Igor Kaletnik kamen ihrer Absetzung durch einen Rücktritt zuvor. Zum neuen Parlamentspräsident wählte die Rada Alexander Turtschinow von der Partei „Batkivschtschina“. Diesen beauftragte das Parlament auch mit der Koordination des Ministerrates. Turtschinow ist so praktisch gleichzeitig auch Premierminister des Landes.

Alte Verfassung in Kraft

Nach kurzer Debatte entschied das Parlament, die alte, 2004 abgeschaffte Verfassung, wieder einzuführen und für den 25. Mai eine Neuwahl des Präsidenten anzusetzen. Mit der Verfassungsänderung ist die Ukraine wieder parlamentarische Präsidialdemokratie mit nur noch sehr eingeschränkten Rechten des Präsidenten.

Viktor Janukowitsch gibt sich kämpferisch. Er erkenne die Entscheidung des Parlamentes zu seiner Absetzung nicht an. Diese, so Janukowitsch, sei ein „Staatsstreich“.

Janukowitsch und seine Getreuen treten den Rückzug in die Ostukraine an. Beendet ist der innerukrainische Konflikt mit der weitgehenden Entmachtung von Janukowitsch nicht. Auf ihrem Parteitag im ostukrainischen Charkow kündigte die „Partei der Regionen“ am Wochenende die Bildung von bewaffneten Bürgerwehren an. Man sei bereit, Verantwortung zu übernehmen und die verfassungsgemäße Ordnung und die Rechte der Bürger auf dem ganzen Territorium des Landes wiederherzustellen, heißt es in einer Erklärung des Parteitages.

Oppositionsführer sind gefordert

Bereits am Donnerstag hatte der Sprecher des Parlamentes der Halbinsel Krim, Wladimir Konstantinow, erklärt, dass er eine Ablösung der Krim von der Ukraine nicht mehr ausschließe. Und ein hochrangiger russischer Offizieller hatte gegenüber der Financial Times Russlands Bereitschaft bekundet, für die Krim notfalls auch militärisch zu kämpfen. Ein Zerfall der Ukraine, so der russische Diplomat, der anonym bleiben wollte, werde Krieg bedeuten.

Ob sich der Wandel in der Ukraine friedlich vollziehen wird, wird auch an den ehemaligen Oppositionsführern liegen, denen heute die Macht im größten Teil des Landes gehört. Sollte es ihnen nicht gelingen, blutige Racheakte an den früheren Machthabern zu verhindern, steht dem Land ein Bürgerkrieg ins Haus. Der Ruf „Tod den Feinden“, wie er auf dem Maidan immer wieder laut geworden war, könnte in den nächsten Tagen seine Wirkung entfalten.

Bleibt nur zu hoffen, dass Präsidentschaftskandidatin Julia Timoschenko ihren Einfluss nutzt, um das Land vor einem drohenden Blutvergießen zu retten.

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