Libysche Kriegsspiele im Mittelmeer

Der Konflikt im östlichen Mittelmeer spitzt sich zu. Die Überwachung des Libyenembargos ist kompliziert

Von Mirco Keilberth

Wie zugespitzt die Lage in Libyen ist, zeigte sich am Mittwoch nicht an der Front bei Sirte, wo sich seit dem Wochenende die Kämpfer der Regierung im westlibyschen Tripolis und der Libyschen Nationalarmee (LNA) des ostlibyschen Generals Chalifa Haftar gegenüberstehen. Im östlichen Mittelmeer identifizierte die griechische Fregatte „Spetsai“, die im Rahmen der EU-Marinemission Irini zur Überwachung des UN-Waffenembargos gegen Libyen unterwegs ist, das unter der Flagge Tansanias fahrende Frachtschiff „Cirkin“ als möglichen Embargo­brecher.

Laut CNN-Greece forderte der Irini-Kommandeur seine Nato-Kollegen auf, den Frachter per Hubschrauber zu inspizieren. Da funkte plötzlich der Kapitän eines von drei Begleitschiffen der türkischen Marine, die hinter der „Cirkin“ fuhren, der Frachter stehe unter dem Schutz der „türkischen Demokratie“. Die Griechen brachen die Untersuchung ab und folgten dem türkischen Verband von den Dardanellen bis in internationale Gewässer in Richtung Libyen.

Jede Woche pendeln Dutzende Containerschiffe zwischen der Türkei und dem Regierungsgebiet Libyens. Mehrere türkische Fregatten liegen in libyschen Hoheitsgewässern und haben auf Seiten der Regierung in die Kämpfe eingegriffen. Auch mit Drohnen, Söldnern und Ausrüstung hat die Türkei die Regierung gestärkt. Diesen Bruch des Waffenembargos rechtfertigen der türkische Präsident Recep Tayyib Erdoğan und Libyens Premierminister Fayez al-Sarradsch als Beistand für eine legitime Regierung. Russland hat parallel die Haftar-Truppen aufgerüstet und unterstützt.

Dank der türkischen Hilfe konnte die Regierung Haftar zuletzt von Tripolis zurückdrängen bis zur 300 Kilometer östlich gelegenen Stadt Sirte. Am Wochenende glaubten die Kommandeure von Sarradsch auch Muammar al-Gaddafis ehemalige Heimatstadt schnell einnehmen zu können. Doch plötzlich waren die türkischen Drohnen verschwunden, bei Angriffen russischer Mig-29-Kampfflugzeuge starben am Montag über 80 Regierungskämpfer. Sirte wird von Söldnern der russischen Sicherheitsfirma Wagner und der Haftar-treuen Brigade 604 verteidigt, nach Aussagen von Bürgern in Sirte trotz Rückzugsbefehl aus der Befehlszentrale in Ostlibyen. Die Wagner-Söldner verteidigen nach Überzeugung vieler Beobachter russische Interessen in Libyen, und bei Sirte scheint Moskau den türkisch-westlibyschen Angriff stoppen zu wollen.

In Bengasi traf am Mittwoch der in Tunesien residierende deutsche Botschafter für Libyen ein. Mit Haftar erörterte Oliver Owcza die Wiederaufnahme der 5+5-Gespräche, ein auf der Berliner Libyenkonferenz im Januar beschlossenes Gesprächsformat für Offiziere beider Kriegsparteien. Auf dem Tisch liegt auch die „Kairo-Initiative“ Ägyptens, die am Samstag im Beisein Haftars die Kämpfe in Libyen einseitig für beendet erklärt hatte.

Doch darauf will sich Tripolis ebenso wenig einlassen wie auf die Idee eines innerlibyschen Dialogs, die Parlamentschef Aguila Saleh ins Spiel gebracht hat. Owcza diskutierte auch mit Saleh in dessen Hauptquartier. Das Parlament, das in Ostlibyen angesiedelt ist, hat nach Aussage von Parlamentariern gegenüber der taz nicht genug Geld, um die wegen der Corona­krise in alle Landesteile verstreuten 200 Abgeordneten zusammenzutrommeln.