piwik no script img

Konferenz in AnkaraGemeinsame Wissensproduktion

Über Orte, Menschen und Umstände jenseits der gelenkten Bilder diskutieren: Actopolis brachte in Ankara Aktivisten zusammen.

Brücke bei Mardin mit Blick in die mesopotamische Tiefebene Foto: Matija Kralj

Wie ein Faszienbündel sind die Schlagstöcke zusammengeschnürt. Gute sechzig Stück hat das Bereitschaftskommando der Polizei in Ankara neben einen Wasserwerfer gelehnt. Es ist der 10. Oktober 2016. Schon morgens kreiste ein Helikopter mit der dicken Aufschrirft “Polis“ auf dem Bauch um den zentralen Platz Kizilay.

Genau ein Jahr ist es her, dass Terroristen des IS eine Friedensdemonstration vorm Hauptbahnhof in Ankara blutig sprengten. Auch heute soll in Gedenken an die 100 getöteten linken und prokurdischen Aktivisten demonstriert werden. Poster in der Stadt rufen überall dazu auf. Doch am Kizilay-Platz bleibt es ruhig, nur dralle Werbeslogans laufen über die Gebäudefassaden. Das seltene Bild zusammengebundener Schlagstöcke bewegt sich nicht.

Das Bild, das wir sehen, meinte einst der türkische Soziologe Ulus Baker, berühre Gefühle. Und es sei schließlich das Gefühlte, das uns zu einer Meinung bewegen könne. Der einstige Wissenschaftler an der ODTÜ in Ankara – wohl aufgrund ihres Elitestatus ist die Orta Dogu Teknik Üniversitesi eine der wenigen Universitäten, die von den akademischen Säuberungen seit dem Putschversuch verschont blieb, hatte an einer Soziologie des Affekts gearbeitet.

Die Sichtbarkeit von Ereignissen und Zuständen war für ihn unabdingbar. Nur wenn sie sichtbar waren, ließ sich ein Bild schaffen, das folglich über den Weg des Affekts auch zu einer Meinung über das Abgebildete führe. Und wenn etwas nicht sichtbar ist, so muss es sichtbar gemacht werden.

Der Geist des jung verstorbenen Ulus Baker

Ulus Baker ist 2007 jung verstorben, doch der Geist des Mannes mit den wirren Haaren und den auseinanderdriftenden Augäpfeln wachte irgendwie über einer Gruppe von 15 Aktivisten, Künstlern, Soziologen und Architekten aus der Türkei, die am Wochenende für zwei Tage in Ankara zusammenkamen.

Weit weg von Istanbul, der sublimen Stadt, von der aus sich sonst die Bilder und Geschichten in den Medien verbreiten, wollte diese Gruppe auf Einladung des Goethe-Instituts den offiziellen Bildern ausweichen, und Orte, Menschen und Umstände wachrufen, die im medialen Rauschen der konfliktbeladenen Türkei untergehen.

Die Konferenz

ACTOPOLIS ist ein Aufruf zum Handeln und Mitgestalten der Stadt – über Disziplinen, Landesgrenzen und kulturelle Unterschiede hinweg. Im ACTOPOLIS LABOR wird der Blick auf aktuelle urbane Fragestellungen geschärft und Handlungsstrategien getestet: blog.goethe.de/actopolis/pages/overview_de.html

Ursprünglich sollte das Treffen in Ankara ein Treffen in Mardin sein. Die historische Stadt am äußeren Südosten der Türkei war jedoch aufgrund ihrer Lage zwischen Kurdenkonflikt und Syrienkrieg zu unsicher. Quasi unsichtbar, in einem fensterlosen Konferenzraum, irgendwo zwischen Kizilay und dem beim Putschversuch bombardierten Parlamentsgebäude, fand nun diese Zusammenkunft statt.

Doch auch die türkische Hauptstadt ist nur vermeintlich sicherer. Noch zum Zeitpunkt des Treffens konnte die Polizei einen Anschlag vereiteln. Im ständigen Loop flimmerten schließlich Kameraaufnahmen von der voreiligen Selbstsprengung der zwei Attentäter auf ülke.tv. Ein weiteres, aggressives Bild für die Öffentlichkeit. Diesen gelenkten visuellen Informationen stellt das Treffen in Ankara nun ganz andere Bilder und Erzählungen gegenüber.

Die symbolische Kapitale Kurdistans

Diejenigen von der Vertreibung aus dem Osten etwa, die seit dem wieder aufgeflammten Konflikt mit der PKK alltäglich geworden sind. Die Stadtplanerin Yildiz Tahtaci berichtet davon, wie in Diyarbakir legale Mittel instrumentalisiert werden, um die symbolische Kapitale Kurdistans militärisch und räumlich zu kontrollieren. Der Status ihrer Innenstadt als UNESCO-Weltkulturerbe und der seit 2015 geltende Ausnahmezustand, sind rechtliche Werkzeuge, um ganze Stadtteile zu evakuieren.

Weit weg von Istanbul, der sublimen Stadt, aus der sich sonst die Bilder und Geschichten in den Medien verbreiten

Tahtacis Bilder: Diagramme, Skizzen und Pläne, die in roter Farbe Orte der Vertreibung und Zerstörung in Diyarbakir markieren. Teilweise wurden die Bewohner in die Sozialtürme der staatlichen Genossenschaft TOKI geschickt, teilweise hat man sie auf einer Brache sich selbst überlassen.

Tahtaci sieht auf der Karte von Diyarbakir durch Zerstörung und Neuaufbau eine architektonische Linie der modernen Türkei fortschreiten, jener Republik, die seit 1923 nur den allgemeinen Türken und keine andere ethnisch-kulturelle Gruppe, geschweige denn ihre bauliche Repräsentation kennt.

Die mystische Stadt Mardin in der mesopotamischen Landschaft war trotzdem Gegenstand des Treffens. Auch Mardin, vor dessen Kulisse schon in den 80ern und 90ern Kämpfe zwischen der PKK und dem Militär ausgefochten wurden, hat gesperrte Zonen, auch hier wurden Bewohner aus kurdischen Vierteln vertrieben, ihre Habseligkeiten mit Lastern in ein Sammellager gebracht, legal zu Zeiten des Ausnahmezustands.

Retrofuturistischer Radarpilz

Doch die Künstlerin Sevgi Ortac schaut auf einen ganz anderen Teil der Stadt. Sie hat sich mit der Geschichte ihrer alten Burg auseinandergesetzt. Seit Jahrzehnten unzugänglich, thront die Ruine über dem historischen Zentrum der Stadt. Sie ist heute eine militärische Überwachungsstätte, dessen retrofuturistischer Radarpilz aus den Siebzigern mit den Kuppeln der Moscheen konkurriert.

Auch rechtliche Räume, oder besser Räume der Rechtslosigkeit wurden verhandelt

Ortac sammelt Anekdoten von Anwohnern und Fundstücke rund um die Burg und konstruiert eine ganz eigene unbekannte Vergangenheit dieses Ortes, in dem Zweifel, Ängste und Zauberei einen Platz finden.

Nicht nur städtische Räume, auch rechtliche Räume, oder besser: Räume der Rechtslosigkeit wurden hinter den verschlossenen Pforten behandelt. Sichtbar werden sie durch Vermittlung anderer. Das Künstlerkollektiv artikisler etwa macht mit Kurzfilmen auf illegale Kinderarbeit in der Türkei aufmerksam.

Besonders absurd und tragisch ist die Ausbeutung syrischer Kinder, die in Hinterhoffabriken in Sanliurfa Camouflage-Kleidung für IS-Kämpfer anfertigen. Das Recht dieser syrischen Kinder wird aufgrund ihres meist illegalen Status in der Türkei nicht verteidigt, sie haben gar kein Recht.

Freier Raum zum Denken

Als Workshop oder Forum bezeichnete die Kuratorin Pelin Tan dieses Treffen. Kein Ergebnisdruck, keine Funktionalisierung von Kunst, Theorie und Aktion, soll dieses Zusammenkommen liefern, sondern es soll die Möglichkeit einer gemeinsamen Wissensproduktion sein. Ein freier Raum zum Denken, in einer Türkei, die immer weniger Freiräume zulässt.

Draußen, vor den verschlossenen Pforten, zeigt sich Ankara mit einem Bild, das eben nicht frei, sondern bestimmt und lenkend ist: Die alte Burgsiedlung der Hauptstadt, lange Zeit vernachlässigt und Obdach vieler Vertriebener aus dem Osten, glänzt als wieder wachgewordene Vergangenheit rekonstruiert von ihrem Felsen. Die mittellosen Bewohner mussten sie wohl verlassen. Beim Treffen weiß Soziologe Mehmet Baris Kuymulu etwas passendes zu sagen. “Räume sind subjektiv und fluktuativ und niemals absolut“.

Das Treffen in Ankara fand im Rahmen des länderübergreifenden Projekts Actopolis statt. Unter dem Eindruck der Occupy-Bewegung oder der Proteste im Gezi Park starteten das Goethe-Instituts und die Urbanen Künste Ruhr diese mehrjährige Initiative als Aufruf zur Aktion und zur Mitgestaltung des urbanen Raums jenseits staatlicher Repräsentation.

Über 60 Teilnehmer organisieren in Ländern Südosteuropas Aktionen, Ausstellungen und Möglichkeiten des Gedankenaustauschs. Die Konflikte haben sich seit der Flüchtlingskrise nur verschärft, noch mehr als zu Beginn von Actopolis fördert das Projekt Freiräume in den einzelnen Städten und eine Vernetzung zwischen den Aktivisten. Ab 2017 zeigt eine Wanderausstellung die Ergebnisse www.actopolis.net

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!