Komplikationen in der Schwangerschaft: Wenn der Blutzucker verrückt spielt
Schwangerschaftsdiabetes gilt als häufigste Ursache für Probleme bei Schwangeren. Trotzdem wird sie bisher nicht ausreichend behandelt.
Mit der Schwangerschaft verändert sich der Bauch. Nicht nur der Hosenumfang, sondern auch die Ernährung und das, was dabei im Körper passiert. Manchen Schwangeren ist übel, sie müssen auf bestimmte Nahrungsmittel verzichten und mögen andere plötzlich nicht mehr – oder besonders gern. Vor allem aber stellen die unterschiedlichen Bedürfnisse von Schwangeren und heranwachsendem Nachwuchs den Blutzuckerhaushalt auf eine harte Probe.
Denn wo Insulin Zuckermoleküle sonst prompt in die Zellen abtransportiert, muss nun genug an den Fötus weitergeleitet werden. Dafür fördern Plazentahormone die Insulinresistenz. So wird das Hormon, das den Blutzucker abbaut, weniger effektiv. Zum Ausgleich produziert der Körper mehr davon und verlangt für die hungrigen Zellen zusätzliche Nahrung.
Es ist ein ausgeklügeltes System. Allerdings auch ein sehr fragiles, denn ein zu hoher Blutzuckerspiegel kann zu chronischen Entzündungen führen. Insulinresistenz selbst ist der Grundmechanismus hinter Typ-2-Diabetes.
Schwangerschaftsdiabetes entsteht vor allem dann, wenn das produzierte Insulin nicht ausreicht, um die steigende Resistenz auszugleichen. Sie gilt als häufigste Ursache für Komplikationen und wird bislang dennoch nicht ausreichend behandelt. Das erklären Expert*innen im Fachblatt Lancet. In drei wissenschaftlichen Artikeln beschreiben sie neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur globalen Zunahme von Schwangerschaftsdiabetes. Sie zeigen auch Lösungen auf: frühere Tests, mehr Prävention und langfristigere Begleitung.
Tests schon früher möglich
Aktuell betrifft Schwangerschaftsdiabetes ungefähr 14 Prozent aller Schwangerschaften weltweit. In Deutschland zuletzt 8,5 Prozent, in nordafrikanischen Ländern bis zu 30 Prozent. Zu den Folgeerscheinungen gehören Bluthochdruck, Zahnprobleme und Harnwegsinfektionen, aber auch ein erhöhtes Risiko für Geburtsverletzungen, Kaiserschnitte, Frühgeburten oder sehr große Babys. In starken Fällen verdoppelt sich die Gefahr, dass Neugeborene auf der Intensivstation behandelt werden müssen.
Eine gute Behandlung kann nachweislich viele dieser Risiken auffangen. Mit Ernährungsumstellung und Bewegung über regelmäßige Tests bis zu medikamentöser Behandlung durch Insulin lassen sich beispielsweise noch im letzten Schwangerschaftsabschnitt die Fälle von übermäßigem Wachstum bei Kindern halbieren.
Die Behandlung könnte allerdings noch viel mehr leisten, wenn sie früher angesetzt würde, drängen die Forschenden. Lange galt Schwangerschaftsdiabetes als ein isoliertes Problem der späteren Entwicklungsmonate. Bis heute wird darauf nach aktuellen Empfehlungen erst im sechsten oder siebten Schwangerschaftsmonat getestet. Inzwischen weiß man allerdings, dass sich Veränderungen im Blutzuckerspiegel bei 30 bis 70 Prozent der Betroffenen schon im vierten Monat zeigen.
Die früheren Unregelmäßigkeiten im Blutzuckerspiegel sind als Alarmsignal für spätere Komplikationen sogar besonders aussagekräftig, belegen mehr als 13 Studien.
Die Behandlung in dieser Phase könnte sich positiv auf die Organentwicklung von Lunge bis Gehirn auswirken und einer Reihe von unerwarteten Folgeerscheinungen, wie Fehlbildungen und Fehlgeburten vorbeugen. Eine Vergleichsstudie zeigt beispielsweise, dass eine besonders frühzeitige Behandlung die Zahl von Atembeschwerden bei Neugeborenen reduziert und ihre Krankenhausaufenthalte verkürzt.
Ganzheitlicher Blick ist wichtig
Der Druck, aktuelle Behandlungsansätze zu optimieren, steigt laut den Autor*innen auch dadurch, dass die Risikofaktoren für Schwangerschaftsdiabetes weltweit stark zunehmen. Die Fälle steigen parallel zur allgemeinen Zunahme von Körpergewicht und Insulinresistenz. Obendrein verkomplizieren sich durch deren gemeinsames Auftreten die Krankheitsbilder. Auch in Deutschland hat sich die Anzahl der Diagnosen in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt.
Dabei liegen längst nicht alle Risikofaktoren im Einflussbereich der Patient*innen. Das deutet sich schon darin an, dass die Diabetesraten von Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund oft weniger denen des Wohnorts als denen des Herkunftslandes entsprechen. Wer eine Schwangerschaftsdiabetes entwickelt, entscheiden auch genetische Faktoren sowie Schilddrüsenhormone und Eierstockzysten, bislang wenig erforschte Wechselwirkungen von Fötus, Plazenta und dem Immunsystem, außerdem das Alter.
Dieser ganzheitliche Blick auf Ursachen ist nicht nur für die Behandlung wichtig, sondern auch, um Stigmata zu überwinden. Viele Betroffene sprechen von Scham und Schuldgefühlen, oder sogar von Diskriminierung durch medizinisches Personal. Dabei geht Schwangerschaftsdiabetes ohnehin schon häufig mit späteren psychischen Problemen wie postpartaler Depression einher. Diskriminierung könnte dazu beitragen und erschwert außerdem das Ziel, Diabetes früh offen anzusprechen und Patient*innen dauerhaft zu begleiten.
Die Autor*innen der Lancet-Reihe sprechen sich für einen „Lebensverlaufsansatz“ aus, bei dem Behandelnde schon bei bestehendem Kinderwunsch mit ihren Patient*innen Präventionsansätze erarbeiten. Körperliche Umstellungen fallen dann noch leichter. Auch die Politik kann im Vorhinein dazu beitragen, Risiken für Diabetes-Typ-2 zu verringern. Eine aktuelle Studie zeigt beispielsweise den positiven Effekt von fußgängerfreundlichen Nachbarschaften, eine andere weist nach, dass Corona-Impfungen das Risiko, nach einer Ansteckung Diabetes-Typ-2 zu entwickeln, um ein Vielfaches reduzieren.
Früherkennung zielt auf Risikominimierung
Mindestens genauso wichtig – und lange unterschätzt – ist die Nachsorge. Auch nach der Geburt bedeutet Schwangerschaftsdiabetes ein höheres Risiko für alle Beteiligten. Kinder entwickeln später eher Herz-Kreislaufstörungen, Bluthochdruck oder selbst Diabetes-Typ-2. Gebärenden bescheinigt eine neue Meta-Analyse für mehr als 20 Jahre nach der Schwangerschaft beispielsweise ein doppelt so hohes Risiko für Herzerkrankungen.
Um das zu verhindern, sollen Betroffene nun auch nach der Geburt langfristig mit Vorsorgeuntersuchungen begleitet werden. Besonders in den ersten sechs Jahren, in denen das Risiko besonders hoch ist und parallel viele Eltern ein zweites Kind bekommen. Gleichzeitig zielen die Empfehlungen zur Früherkennung – stärker als die bisherigen Leitlinien – darauf ab, das Risiko für Folgeerkrankungen von vornherein zu minimieren.
In Deutschland werden frühe Tests bislang nur mit Blick auf die Untersuchung des Fötus empfohlen – hier stehen die Risiken für das entstehende Kind statt für die gebärende Person im Vordergrund. Dagegen werden die Vorgaben zur Behandlung von Schwangerschaftsdiabetes gerade erst überarbeitet. Bislang liegt der empfohlene Zeitpunkt noch über zwei Monate später als wissenschaftliche Empfehlungen nahelegen. Und falls Schwangere sich das Wissen aneignen und solche Tests einfordern, müssen sie diese meist selbst zahlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“