Kommunistische Partei Chinas: Eine Partei, zwei Visionen
Der ideologische Staatschef Xi Jinping und der pragmatischere Premier Li Keqiang zeigen unterschiedliche Vorstellungen von Chinas Zukunft.
Nachdem die Parteiführung vor zwei Wochen ihr traditionelles Sommertreffen im Küstenort Beidaihe absolvierte, fahren die Spitzenpolitiker jetzt wieder zu öffentlichkeitswirksamen Besuchen in die Provinzen hinaus. Alles ist bis ins Detail durchchoreografiert und voller Symbolik.
Mit Argusaugen wurde die Reise von Staats- und Parteichef Xi verfolgt. Der 69-Jährige besuchte die Nordostprovinz Liaoning. Dort stehen noch überlebensgroße Mao-Statuen und dominieren bürokratische Staatsunternehmen die marode Wirtschaft.
Hier gedachte Xi jener Soldaten, die beim Bürgerkrieg in den 1940ern für die Volksbefreiungsarmee gekämpft hatten: eine vor Pathos strotzende Geste, die an die patriotischen Gefühle der Bevölkerung appellierte, aber nichts mit ihren derzeitigen Problemen zu tun hatte.
Deng Xiaoping statt Mao Tsetung
Auch Premier Li Keqiang besuchte eine Gedenkstätte. Doch die Symbolik hätte unterschiedlicher nicht sein können: Der 66-Jährige reiste nach Shenzhen, jener innovativen Techmetropole bei Hongkong, wo die Volksrepublik vor vier Jahrzehnten erstmals mit der Marktwirtschaft experimentierte.
Dort besichtigte er das Grab des Wirtschaftsreformers Deng Xiaoping und sagte, offensichtlich als Seitenhieb mit Blick auf die desolate Wirtschaftslage gedacht, China müsse den „Reform- und Öffnungskurs weiterführen, und das Wasser des Jangtse wird nicht rückwärts fließen“.
Den Chinesen bleibt die Bedeutung einer solchen Metapher natürlich nicht verborgen. Denn tatsächlich entwickelt sich das Land unter Xi zurück in eine längst überwunden geglaubte Vergangenheit.
Denn Xi stellt die politische Kontrolle über das Wirtschaftswachstum, fördert ideologische Loyalität statt Pragmatismus und hat mit seiner dogmatischen Null-Covid-Strategie die Wirtschaft zum Stillstand gebracht.
Xi will der KP eine neue Legitimation geben
Dass sich Li einen solch kritischen Auftritt erlauben kann, hat auch mit seiner derzeitigen Stellung zu tun: Von Xi vor Jahren bereits ins Abseits gedrängt, steht er jetzt kurz vor seiner Pensionierung. Nun möchte der Premier noch einmal seinen Einfluss geltend machen, bevor er sein Amt auf dem 20. Parteikongress im Oktober abgeben muss.
Tatsächlich steht der aus einfachen Verhältnissen stammende Li sinnbildlich für ein China, wie es sich auch hätte entwickeln können. Sein Kontrast zu Xi ist allein schon biografisch immens: Auf der einen Seite ein talentierter Wirtschaftsstudent, der als schelmisch und forsch beschrieben wird. Auf der anderen Seite der Sohn eines Revolutionärs, der als Apparatschik als wenig charismatisch gilt.
Und beide haben sehr unterschiedliche Vorstellungen über Chinas ökonomische Zukunft: Während Li auf mehr Marktwirtschaft setzt, möchte Xi wieder mehr Sozialismus wagen.
Xi mit Staatsgründer Mao Zedong zu vergleichen ist zwar absurd – schon vom Charakter und Führungsstil sind beide diametral unterschiedlich. Doch Xi arbeitet daran, der Kommunistischen Partei eine neue Legitimation zu geben, indem er den seit Jahrzehnten geltenden Gesellschaftsvertrag neu schreiben will.
Xi strebt dritte Amtszeit an, Li muss in Pension
Jahrzehntelang erwartete die Bevölkerung von ihrer Führung vor allem materiellen Fortschritt. Doch Xi möchte wieder die ideologische Leere füllen. Er appelliert an nationalistische Gefühle und schwört sein Volk auf einen Kampf gegen den Westen ein, insbesondere gegen die USA.
Doch ist das Ringen um Chinas Kurs längst entschieden. Während Li in Rente geht, wird Xi beim Parteikongress als erster Staatschef seit Mao seine dritte Amtszeit ausrufen. Lis Weckrufe werden spätestens dann verstummen. Auf einigen Streamingdiensten wurde seine Rede zur wirtschaftlichen Lage schon jetzt zensiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken