Kommunen ziehen vor Gericht: Land soll für Kita-Betreuung zahlen
Schleswig-Holsteins Kommunen haben ein Gutachten erstellen lassen, nach dem das Land ihnen die Kita-Kosten erstatten muss.
KIEL taz | Seit dem Sommer steht die Drohung im politischen Raum, jetzt machen die Kreise und kreisfreien Städte in Schleswig-Holstein ernst: Sie wollen gegen das Land klagen. Es geht zunächst um die Zuschüsse für den Betrieb von Kinderkrippen für Unter-Dreijährige. Doch wirklich brisant wird der Fall erst, weil die Kommunen rückwirkend auch die Kosten für die Kita-Betreuung von Drei- bis Sechsjährigen geltend machen.
Kreise und Städte berufen sich auf ein Gutachten, laut dem sie das Geld gar nicht hätten zahlen müssen. Werden diese Altbeträge eingerechnet, ist eine Summe von mehreren Hundert Millionen Euro im Gespräch. Müsste das Land den Gemeinden diesen Batzen tatsächlich zurückerstatten, wären alle heutigen Sparpläne Makulatur.
Jochen von Allwörden, Vorstand des Städteverbandes Schleswig-Holstein, bestätigte auf taz-Anfrage: "Es geht auch um die Über-Dreijährigen." Hintergrund ist ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Joachim Wieland, der im Auftrag der Kommunen prüfte, wer künftig die Betriebskosten für Krippenplätze in Kitas zahlen muss. Das Ergebnis habe ihn selbst überrascht, sagte Wieland, als er im Sommer seine Studie vorstellte. Denn er stieß auf eine Lücke im Gesetz, die das Land Schleswig-Holstein offenbar nicht ausgebessert hat (siehe Kasten). Demnach seien Gemeinden, Städte und Kreise gar nicht für Kinderbetreuung zuständig und könnten das dafür ausgegebene Geld vom Land zurückholen. Im Sommer war von 200 Millionen Euro pro Jahr die Rede, gestern wollte Jörg Bülow vom Gemeindetag keine Summe nennen: "Auch vor Gericht geht es zunächst um die grundsätzliche Frage, nicht um die Zahl."
Eine erfolgreiche Klage zur Krippen-Finanzierung führten mehrere Kreise und Städte in Nordrhein-Westfalen. Das Gericht befand, dass das Land die Kosten für den laufenden Betrieb der Krippen übernehmen müsse.
Ob das auch für Schleswig-Holstein gilt, wollten die dortigen Kommunen wissen und bestellten ein Gutachten bei dem Verfassungsrechtler Joachim Wieland. Der stieß auf eine Gesetzeslücke:
Bis Dezember 2008 regelte ein Bundesgesetz, dass Kitas Aufgabe der Kommunen sind.
Im Rahmen der Föderalismusreform gab der Bund die Zuständigkeit an die Länder ab; diese konnten die Aufgabe per Gesetzesanpassung an die Kommunen weiterreichen - was in Schleswig-Holstein nie passiert sei.
Geplant ist nun, dass eine Stadt - Lübeck - und ein bisher ungenannter Kreis die Klage in einem Modellverfahren führen. "Es ist nicht opportun, wenn alle Kreise und Städte klagen", so von Allwörden. Das Land hat zugestimmt, die Modellklage anzuerkennen: Kämen die Kommunen in einem Fall durch, wäre das bindend für alle anderen. In Lübeck stimmen im Lauf dieser Woche die politischen Ausschüsse und die Bürgerschaft ab. Stadtsprecher Marc Langetepe geht aber davon aus, dass alle Gremien mit der Klage einverstanden sind, auch für Bülow ist unstrittig, dass geklagt wird.
Bedeckt halten sich die Kommunen zurzeit noch bei strategischen Fragen: Wann genau die Klageschrift an welches Gericht geht, ist unklar. Vielleicht fahren die Kommunen doppelgleisig bei Verwaltungs- und Landesverfassungsgericht.
Dass dieses Vorgehen erfolgreich sein wird, ist aus Sicht des Bildungsministeriums unwahrscheinlich. "Wir sehen der Klage gelassen entgegen", teilt Minister Ekkehard Klug (FDP) mit. Es sei auch nicht überraschend, dass ein Gutachten günstig für den Auftraggeber ausfalle. Das Ministerium verlässt sich auf ein Gegengutachten vom Wissenschaftlichen Dienst des Landtags. Demnach muss das Land nicht zahlen. Falls Gerichte zu einer anderen Entscheidung kommen, "will ich nicht verhehlen, dass es um gewisse Beträge geht", so Ministeriumssprecher Thomas Schunck. Ministerium und Kommunalverbände seien im Gespräch, zumindest über die Formalitäten der Klage. Verhandlungen hat es in den letzten Monaten nicht gegeben.
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