piwik no script img

Kommunalwahlen in Sachsen-AnhaltPolitik machen mit Effi Briest

Kommunale Ämter sind in Männerhand, nur eine von zehn LandrätInnen ist eine Frau. Die Bürgermeisterin Nicole Golz will das ändern.

Nicole Golz, Bürgermeisterin der Gemeinde Elbe-Parey Foto: Thomas Gerlach

Zerben/Parey taz | Vom Herrenhaus Zerben, das auf einem Plateau liegt, kann man weit über die Elbwiesen blicken. In der Mitte des Gartens ragt der Schattenstab einer Sonnenuhr, auch eine Schaukel ist da, wie von Theodor Fontane beschrieben. Hier also ist Effi Briest aufgewachsen, die mit dem viel älteren Baron von Instetten verheiratet wurde, der bald Karriere machte als Landrat in Pommern. Effi hingegen hatte dort eine Affäre, die von ihrem Gatten entdeckt wurde. Der erschoss den Liebhaber, nahm die Tochter an sich und verstieß seine Frau. Ihre letzten Tage verbrachte Effi wieder daheim, wo sie bald gestorben ist.

Alles falsch, sagt Nicole Golz. Sie ist die Bürgermeisterin der Gemeinde Elbe-Parey, zu der das Dörfchen Zerben gehört, und hat ihr Auto zum Herrenhaus gelenkt. Hier im Nordosten des heutigen Sachsen-Anhalts ist die „wahre“ Effi aufgewachsen, das Vorbild für Fontanes Romanfigur: Elisabeth von Plotho, die als Verheiratete tatsächlich eine außereheliche Beziehung hatte, welche mit dem Tod des Geliebten in einem Duell endete. Doch ganz anders als Effi ist Elisabeth nicht vor Gram gestorben, sondern hat sich von ihrem Mann scheiden lassen, zur Krankenschwester ausbilden lassen, hat ihren Lebensunterhalt selbst verdient und ist 1952 im Alter von 98 Jahren gestorben. Die letzten Jahrzehnte verbrachte sie mit ihrer Partnerin am Bodensee.

Frauen waren im Kaiserreich schon selbstbestimmter, als es einem damals siebzig Jahre alten Romancier in den Sinn kam. Bei der Politik lag Fontane aber nicht daneben. Kommunale Ämter sind in Männerhand, Landräte werden von Männern gestellt, damals wie heute, jedenfalls in Sachsen-Anhalt. Allen elf Landratsämtern stehen Männer vor, deutschlandweit sind nur rund zehn Prozent aller Landratsposten von Frauen besetzt.

Bei den hauptamtlichen Bürgermeisterinnen sieht es nicht besser aus, es sind kaum zehn Prozent. Eine davon ist Nicole Golz, die nebenbei auch die Hüterin des Schlosses von Zerben ist. Im Hosenanzug steht sie vor dem Eingang, groß und mit halblangem Haar, am Wochenende ist sie passionierte ­Handballerin. Das Innere des Hauses ist nicht allzu herrschaftlich. Ein Flügel steht im Saal, dazu Stühle, Tische, ein Gemälde zeigt Elisabeth von Plotho als eine strenge, selbstbewusste Frau. Manchmal finden hier Kammerkonzerte statt.

Vernetzungstreffen

Warum hier nicht auch Bürgermeisterinnen aus dem ganzen Bundesland zusammenführen, um den spirit, den dieser Ort hat, zu nutzen? Um Kontakte zu knüpfen? Und um einen Aufruf zu starten: „Macht mit, liebe Frauen – gestaltet eure Zukunft! In den Kommunen lebt die Demokratie“, verbunden mit dem Appell, sich für die Kommunalwahlen im Juni 2024 aufstellen zu lassen.

Tatsächlich hat der besondere Ort bereits gewirkt. Im September 2023 versammelten sich hier 17 Frauen zum ersten Bürgermeisterinnentreffen in Sachsen-Anhalt. Golz, parteilos, 49 Jahre alt, hatte dazu eingeladen. Es war in erster Linie ein Netzwerktreffen. Die meisten Bürgermeisterinnen sind parteilos und Einzelkämpferinnen. Zudem gibt es kaum Vorbilder. Viele sind es nicht, die aus eigener Erfahrung berichten könnten. Eine altgediente Bürgermeisterin ohne Parteibuch war in Zerben mit dabei. 32 Jahre lang hat sie eine Gemeinde westlich von Magdeburg geführt, im Herbst 2023 hat sie die Altersgrenze erreicht. Als Nachfolger wurde ein Mann gewählt.

Nicole Golz hat nach ihrer Wahl zur Bürgermeisterin der Gemeinde Elbe-Parey 2015 schnell gemerkt, was fehlt – Frauen. Nicht nur in den Rathäusern und Gemeindeverwaltungen, auch in den Kommunalparlamenten. Es finden sich Handwerksmeister, Ärzte, Lehrer, Parteisoldaten, Rentner. Frauen aber stellen im Durchschnitt nur zwanzig Prozent. Parey liegt exakt in diesem Mittel, von den 20 Sitzen gingen bei der letzten Wahl 4 an Frauen. In der Nachbargemeinde sind es mit 3 von 27 deutlich weniger. ­Warum?

Frauen engagieren sich eher im Heimatverein, manche sind auch in der Kirche aktiv, sagt Golz. Aber Kommunalpolitik? „Ich habe in den letzten Monaten viele Gespräche mit Frauen geführt, ich habe gesagt: Mensch, du wärst doch die Richtige dafür“, erzählt sie. „Was muss ich denn da machen?“, das sei die erste Rückfrage, gefolgt von der zweiten: „Muss ich da viel wissen?“ Nicole Golz kennt diese Scheu. „Frauen haben grundsätzlich die Angst, sich zu blamieren.“ Solche Selbstzweifel habe sie bei Männern nicht beobachtet. „Die diskutieren drauflos, ganz oft auch auf völlig falscher Ebene“, erzählt sie. „Deswegen erhoffe ich mir durch mehr Frauen auch eine andere Diskussionskultur.“ Viel stärker sachorientiert.

„Ob das wirklich klappt, wird sich zeigen.“ Es schwingt Skepsis mit. Die Sitzungen des Gemeinderats und der Ausschüsse beginnen um 19 Uhr, familienfreundlich ist das nicht. Und wenn man sich dann ellenlange, völlig unsachliche Vorträge anhören muss, ist bald wieder Schluss. Es gibt Gemeinderäte, die springen schnell wieder ab.

Zwei AfD-Männer sitzen im zwanzigköpfigen Gemeinderat, sagt Golz. Einer ist bei der letzten Kommunalwahl in seinem Heimatdorf durchgefallen, obwohl es dort bei der letzten Bundestagswahl reichlich AfD-Stimmen gab. Warum? Die Leute im Dorf wüssten doch den Menschen einzuschätzen, der in die Gemeindevertretung will. Gewählt wurde der Mann trotzdem, mit den Stimmen aus den anderen Ortschaften.

Überhaupt sei die AfD ist ein Scheinriese. Sie wirke nur deswegen stark, weil ihr die anderen Parteien den Platz überließen. Bei der letzten Kommunalwahl 2019 habe die CDU in der Gemeinde keinen einzigen Kandidaten aufgestellt. Ausgerechnet die CDU, die für sich als „Sachsen-Anhalt-Partei“ wirbt. Die wahre Sachsen-Anhalt-Partei sind die Nichtwähler. Oder die Parteilosen, so wie Nicole Golz. Von den zwanzig Gemeindevertretern gehören 16 dazu, verteilt auf drei Listenvereinigungen. Von einer Parteien­landschaft kann man da nicht mehr reden.

Nicole Golz sitzt jetzt in ihrem Büro im Dorf Parey. Dass hier eine Frau die Geschäfte führt, würde man auch merken, wenn der Raum leer wäre. Auf der einen Seite steht Holzspielzeug im Regal, auf der anderen eine kleine Galerie privater Fotos – die Trauung, die dreiköpfige Familie, die Tochter. Über dem Schreibtisch ein Bild, zwei stilisierte Gesichter, Baumkronen ähnlich, die zu einem Kuss verschmelzen. Golz gibt viel Privates preis. Die meisten männlichen Kollegen dürften sich schwerer tun.

Kompromisslos kann Golz trotzdem sein. Eine der ersten Entscheidungen war die Rücknahme der fünf Kindergärten in kommunale Trägerschaft. Golz, vor ihrem Jurastudium in einer Sparkasse tätig, hat die Abrechnungen des Trägers geprüft, ihr Ergebnis: Das können wir besser. Ihre männlichen Kollegen hielten sie für unbedarft. Golz hielt an dem Plan fest, der Gemeinderat zog mit, die Kitas kamen wieder in kommunale Hand. 100.000 Euro sparte die Gemeinde bereits im ersten Jahr, die Kita-Gebühren blieben niedrig, und 2018 legte Golz erstmals einen ausgeglichenen Haushalt vor.

Ihr Mann ist jetzt in Teilzeit

Es klingt so, als hätte sich Nicole Golz auf ihr Amt vorbereitet. Das Gegenteil ist der Fall. Begonnen hat es, als der Gemeinderat um ihre Expertise als Anwältin bat. Und weil juristischer Sachverstand immer gut ist, wurde sie 2014 angesprochen, ob sie nicht für den Gemeinderat kandidieren wolle. Ein Jahr später kandidierte sie für das Bürgermeisteramt.

Die größte Herausforderung ist es, Amt und Familie zusammenzubringen. Die Familie, die Verwandtschaft, helfe sehr. „Doch den allergrößten Anteil übernimmt mein Mann.“ Seitdem Golz Bürgermeisterin ist, arbeitet ihr Mann auf einer Teilzeitstelle. Wenn das Tagesgeschäft in eine Abendsitzung mündet, komme er oft mit der vierjährigen Tochter vorbei. „Dann knuddeln wir noch mal und spielen noch ein bisschen.“

Es sei ein großer Schritt gewesen von der sicheren Anwaltskanzlei zur Wahlbeamtin auf Zeit. „Weil ich ein sehr sicherheitsdenkender Mensch bin“, sagt Golz. „Das ist sehr wahrscheinlich typisch für Frauen.“ Der Bürgermeisterstuhl hätte auch zum Schleudersitz für sie werden können. Inzwischen wurde Golz im Amt bestätigt. „Der Job ist so flexibel. Ich kann mich in verschiedenste Sachverhalte einarbeiten, immer Lösungen finden und immer wieder neu denken.“

Nicole Golz ist als Kommunalpolitikerin selbst so etwas wie ein role model geworden. Trotzdem geht es nur langsam vorwärts. Für den 20-köpfigen Gemeinderat in Elbe-Parey mit seinen sieben Dörfern und 6.500 Einwohnern haben sich zu den Kommunalwahlen am 9. Juni 30 Männer aufstellen lassen und 15 Frauen. Immerhin drei mehr als vor fünf Jahren. Dennoch hat sich schon etwas geändert. Als Nicole Golz 2015 erstmals gewählt wurde, war sie die einzige hauptamtliche Bürgermeisterin im Landkreis. Inzwischen gibt es drei in einem Kreis mit acht Einheitsgemeinden – Frauenanteil 37,5 Prozent. Spitzenplatz für die Heimat von Elisabeth von Plotho, nicht von Effi Briest.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die gleichen Rechte gibt es ja schon lange. Darum stellt sich die Frage, was genau "die Frauen" davon abhält, ihre Rechte wahrzunehmen.

    Klar, alte Gewohnheiten, oder gar Männerseilschaften... Gibt es und wirkt nicht förderlich.



    Aber wenn eine Frau wirklich will, dann kann sie doch alles tun, oder? Nicht nur im "Kaiserreich" sonden auch hier und jetzt bei uns.



    Also was hält so viele Frauen davon ab?

    • @realnessuno:

      Ein Mann, der die Frau in ihrem Beruf so unterstuetzt, dass er dafuer in Teilzeit geht nd den Haushalt schmeisst, ist leider immer noch nicht selbstverstaendlich.

  • Es zu reduzieren auf ein: Frauen können es immer besser, wäre offensichtlicher Nonsens.



    Aber hier haben wir wieder ein gutes Beispiel, dass wir gut daran tun, allen unserer Gesellschaft gute und halbwegs gleiche Rechte und Chancen zu geben. Wir profitieren auch davon.