Kommunalpolitiker werden bedroht: Wenn die Angst regiert
Nach Bedrohungen ziehen sich mehrere Bürgermeister zurück, einer will sich bewaffnen. Die Bundesregierung ist besorgt.
„Volksgericht statt Waffenschein“, brüllten die Neonazis in der 37.000-Einwohner*innen-Stadt westlich von Duisburg. „Vor dem nächsten Nazimord – Widerstand an jedem Ort“, hielten die viel zahlreicheren Gegendemonstrant*innen dagegen. Landscheidt selbst, ein 60-jähriger Professor, seit 1999 im Amt, war nicht zur Demo gekommen.
Zuvor hatten die Rechtsextremen öffentlich gemacht, dass der Bürgermeister aus Angst vor Angriffen durch Neonazis eine scharfe Schusswaffe besitzen will. Medien hatten dies zunächst nur anonym berichtet. Selbstverständlich werde er nicht „in Texas-Manier bewaffnet durch die Straßen ziehen“, erklärte Landscheidt darauf. Er respektiere „das Gewaltmonopol des Staates“.
Nach eigenen Angaben wird Landscheidt aber „massiv“ von Neonazis bedroht, seit er im EU-Wahlkampf im Mai 2019 volksverhetzende Plakate der „Rechten“ abhängen ließ. „Israel ist unser Unglück“, stand darauf – eine unverhohlene Anspielung auf die Parole „Die Juden sind unser Unglück“ von Hitlers NSDAP-Hetzblatt Der Stürmer. Bis zuletzt habe es „Vorfälle und Gefährdungssituationen“ gegeben, in denen „polizeiliche Hilfe nicht rechtzeitig erreichbar gewesen wäre und auch in Zukunft nicht erreichbar sein würde“, erklärte Landscheidt. Er beruft sich nun auf Paragraf 55 des Waffengesetzes, der „erheblich gefährdeten Hoheitsträgern“ einen Waffenschein zubilligt.
Mehr als 1.200 Straftaten gegen Politiker
Und Landscheidt ist nicht der Einzige, der sich bedroht fühlt, bei Weitem nicht. Zuletzt zogen sich gleich mehrere AmtsträgerInnen wegen Bedrohungen zurück. 1.241 politische Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger zählte das BKA im vergangenen Jahr bis Anfang Dezember. Tiefpunkt war der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU). In einem BKA-Lagebild wird weitere Gewalt befürchtet, in Einzelfällen sei „auch mit Tötungsdelikten zu rechnen“.
Der jüngste Rückzug ist erst wenige Tage her: Arnd Focke, ehrenamtlicher Bürgermeister von Estorf, 1.700 Einwohner in Niedersachsen. Fünf Mal sei sein Auto mit Hakenkreuzen beschmiert worden, er habe Drohbriefe und nächtliche Drohanrufe erhalten, klagt der SPD-Mann, dessen Gemeinde sich wiederholt gegen Rechtsextreme positionierte. Vor Weihnachten habe sich die Lage zugespitzt. „Das hat meine persönliche Grenze des Erträglichen überschritten“, so Focke im Interview mit der taz.
Auch Silvia Kugelmann, Bürgermeisterin von Kutzenhausen (Bayern), klagt dieser Tage über Bedrohungen. Sie habe Drohschreiben erhalten, an die Scheibe ihres Autos wurde Katzenkot geschmiert. „Ich fühlte mich beschmutzt und ohnmächtig“, so Kugelmann zur Süddeutschen Zeitung. Ein anderes Mal sei ein Nagel in ihren Autoreifen gedrückt worden. Erst bei 160 km/h auf der Autobahn habe sie bemerkt, wie der Reifendruck nachließ. „Wenn Sie so angegriffen werden und die große Mehrheit schweigt, dann ist der Platz an diesem Schreibtisch sehr einsam.“ Die 53-Jährige tritt deshalb im März nicht wieder für ihr Amt an.
Martina Angermann hat sich schon zurückgezogen. Bereits Ende November trat die SPD-Bürgermeisterin von Arnsdorf (Sachsen) zurück – nach jahrelangem rechten Mobbing. 2016 hatte eine Bürgerwehr in ihrem Dorf einen Geflüchteten an einen Baum gefesselt. Angermann verurteilte die Tat – und wurde fortan bedroht. „Ich wurde übelst beschimpft“, erzählte sie der taz. Die Rechten hätten angefangen, Vereine zu unterwandern. Und auch sie sagt: „Ich habe darunter gelitten, dass die Mitte der Gesellschaft geschwiegen hat.“ Am Ende habe sie sich in Arnsdorf nicht mehr sicher gefühlt. Angermann ließ sich erst krankschreiben, dann trat sie zurück.
Martina Angermann, ehemalige Bürgermeisterin von Arnsdorf
Die Bundesregierung äußert sich über die Vorgänge besorgt. Innenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte am Wochenende, die Kommunen seien „das Rückgrat“ der Demokratie. „Es liegt im gesamtstaatlichen Interesse, dass sich unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger weiterhin für kommunale Ämter und Ehrenämter zur Verfügung stellen.“ Auch Außenminister Heiko Maas (SPD) twitterte: „Wenn Kommunalpolitiker in den Rücktritt getrieben werden, ist das beschämend für unsere Demokratie.“ Der Rechtsstaat dürfe das nicht tatenlos hinnehmen.
Zuletzt hatte bereits Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf seinem Neujahrsempfang appelliert: „Wir müssen unsere Stimme erheben, wann immer Menschen im öffentlichen Leben herabgewürdigt, beleidigt oder bespuckt werden.“
Die Bundesregierung hatte nach dem Lübcke-Mord und dem Anschlag von Halle in einem Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus auch mehr Schutz für Lokalpolitiker versprochen. Das bereits bestehende Delikt „Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens“ soll künftig nicht nur Bundes- und Landespolitiker, sondern auch Kommunalpolitiker erfassen. Es ist eine symbolische Strafverschärfung: Verleumdung an sich ist auch so schon strafbar. Wie viel die Maßnahme hilft, bleibt ungewiss.
Bürgermeister will „nicht schutzlos ausgeliefert sein“
Christoph Landscheidt wählt nun einen eigenen Weg: Der Bürgermeister und Jurist, der jahrelang als Richter gearbeitet hat, kämpft vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf um einen großen Waffenschein. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hält davon nichts: Gebe es Bedrohungen, würden „nötige Maßnahmen“ ergriffen. Michael Mertens, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, erklärte ebenso: „Sicherheit gehört in die Hände von Profis.“
Auch Bundesinnenminister Seehofer ist gegen eine Bewaffnung von Politikern. „Änderungen des Waffenrechts sind seitens der Bundesregierung weder geplant noch sind diese aus Sicht des Bundesinnenministeriums angezeigt“, erklärte sein Sprecher am Sonntag der taz.
Bürgermeister Landscheidt hält dagegen. Es gehe ihm um „außergewöhnliche Notwehrsituationen“, so der SPD-Mann. „Um Angriffen gegen mich und meine Familie nicht schutzlos ausgeliefert zu sein.“ Das Recht sehe dies für Hoheitsträger explizit vor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs