Kommunale Unternehmen in Berlin: Landeseigentum ist sexy
Noch vor 15 Jahren, als Berlin arm war, wurde Landeseigentum verscherbelt. Nun wird wieder aufgebaut, doch alle Fehler sind nicht zu reparieren.
Erstens: Die herrschende neoliberale Ideologie, die einen schlanken Staat propagierte und gleichzeitig die Überlegenheit privaten Kapitals pries. Zweitens: Die schlechten Bilanzen vieler staatlicher Unternehmen, die vielfach Schulden anhäuften, und damit die These der überlegenen Privaten stützten. Drittens: Die strukturellen Defizite staatlicher Haushalte, die nicht nur in Berlin zu immer größeren Schuldenbergen führten.
Die Stadt war arm; investierte wenig, an allen Ecken wurde – um ein anderes Wowereit-Zitat dieser Zeit zu bemühen – „gespart bis es quietscht“. Der Verkauf von landeseigenen Unternehmen sollte da zumindest kurzfristig Geld in die Stadtkasse spülen.
Wäre es nach CDU, FDP oder den Grünen gegangen, hätte sich die Stadt noch von deutlich mehr Unternehmen getrennt. Die Fraktion der Grünen wollte laut einem Beschluss von 2003 auch Messegesellschaft, Stadtreinigung, Verkehrsbetriebe, die Hafen- und Lagergesellschaft Behala und noch mehr Wohnungen verhökern.
Der seit 2002 regierenden Koalition aus SPD und Linken-Vorgängerin PDS stand eine komplett vom Dogma der Privatisierungspolitik eingenommene Opposition gegenüber. Ein Bollwerk dagegen waren Sozialdemokraten und Sozialisten nicht. „Ich bin der Auffassung, dass es weder öffentliche Aufgabe ist, Teller und Tassen zu produzieren, noch das Versicherungsgeschäft zu betreiben“, lautet eine viel zitierte Forderung des damaligen PDS-Wirtschaftssenators Harald Wolf.
Der Sündenfall GSW
2004 verkaufte Rot-Rot die Wohnungsbaugesellschaft GSW. Treibender Akteur war der damalige SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin, der sein soziales Unvermögen später in Richtung Rassismus kanalisierte. Gegen durchaus kritische Töne aus der eigenen Partei, auch vom heutigen Regierenden Bürgermeister Michael Müller, hatte Sarrazin den Verkauf forciert, und den Kritikern „Besitzstandswahrung“ vorgeworfen. Gern hätte er auch noch die sechs anderen Wohnungsbaugesellschaften verkauft.
Wie absurd diese Politik und die damit verbundene Aufgabe staatlicher Steuerungsmöglichkeiten war, lässt sich anhand weniger Zahlen markieren: Die 65.000 GSW-Wohnungen gingen für 405 Millionen Euro und der Übernahme der Altschulden von etwa 1,5 Milliarden Euro über den Tisch – gerade einmal 30.000 Euro pro Wohnung. Dafür bekommt man heute kaum eine Abstellkammer. Ein Traumgeschäft für das US-Konsortium, das damals den Zuschlag erhielt, und die Deutsche Wohnen, die Jahre später übernahm.
Diese Woche wurde bekannt, dass die Deutsche Wohnen 700 Wohnungen in der Karl-Marx-Allee gekauft hat, für geschätzt 300 Millionen Euro. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg prüft, ob wenigstens 81 dieser Wohnungen über das Vorkaufsrecht gesichert werden können. Der Preis: 30 Millionen Euro. Die Vorstellung wie viel Geld es bräuchte, die Zehntausenden verscherbelten Wohnungen zu heutigen Marktpreisen zurückzukaufen, macht schwindelig.
Nichts ist, wie es war
Dass dennoch viel Geld in die Hand genommen wird, um auch nur ein paar Dutzend Wohnungen zurück unter staatliche Kontrolle zu bekommen, zeigt wie sich die Haltung in den vergangenen 15 Jahren verändert hat. Die drei Gründe, die einst die Privatisierungspolitik befeuerten, sind ins Gegenteil verkehrt.
Erstens: Die neoliberale Ideologie hat zumindest innerhalb der Mitte-Links-Parteien und großen Teilen der Bevölkerung ausgedient, spätestens seit Beginn der Finanzkrise 2008. Die Heilsversprechen der privaten Wirtschaft haben sich nicht nur nicht erfüllt – nicht selten wurden sie zum Horror für die Kunden. Man frage einmal die MieterInnen zu ihren Erfahrungen mit der Deutschen Wohnen.
Zweitens: Die landeseigenen Unternehmen haben es geschafft, profitabel zu werden, getrimmt auf Effizienz, dennoch dem Allgemeinwohl verpflichtet. Der jüngst veröffentlichte Bericht über die 56 Unternehmen, die ganz oder teilweise der Stadt gehören, weist einen Gesamtüberschuss von 706 Millionen im Jahr 2016 aus – ein neuer Rekord, bei gleichzeitigen massiven Investitionen von insgesamt 2,2 Milliarden Euro.
Drittens: Durch die Verbindung von Sparpolitik und Wirtschaftsaufschwung hat sich die Einnahmesituation der Stadt so verbessert, dass nun jährlich dicke Überschüsse erwirtschaftet werden, allein zwei Milliarden Euro sind es im laufenden. Der Schuldenstand wurde seit dem Höchststand 2011 mit etwa 63 Milliarden um fünf Milliarden abgebaut (siehe Interview links).
Seit 2012 wird wieder aufgebaut
Und plötzlich sind alle für Landeseigentum; für eine Stadt die sich nicht weiter arm macht. Schon ab 2012 begann das Pendel zurückzuschlagen, Berlin versucht verloren gegangenes Tafelsilber zurückzuholen. Für mehr als eine Milliarde Euro wurden die Anteile der Wasserbetriebe gekauft. Die Preise für die Verbraucher sanken massiv und sind stabil, die Investitionen wurden hochgefahren – eine Erfolgsgeschichte.
Ebenfalls von SPD und CDU wurde der Aufbau eines kommunalen Stadtwerkes vorangetrieben, das sich um den Rückkauf von Gas- und Stromnetz bemüht und perspektivisch zum zentralen Energieanbieter werden soll.
Dass kommunale Wohnungsbauunternehmen die einzige solide Antwort auf die Mondpreise auf dem Berliner Immobilienmarkt sind, bestreitet heute kaum jemand. Die jetzt 300.000 Wohnungen wollen die Gesellschaften bis 2025 um 100.000 aufstocken, einige davon durch Ankäufe, die meisten durch Neubau. Grundstücksverkäufe durch das Land Berlin 2018? Undenkbar.
Der jüngst angekündigte Aufbau eines eigenen von der Bahn unabhängigen S-Bahn-Fuhrparks zeigt, wie hoch geschätzt Landeseigentum wieder ist. Ganze 3,2 Milliarden Euro nimmt man dafür in die Hand. Das „arme Berlin“ – momentan nur noch Spuk aus alten Tagen.
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