Kommentar: Schluss mit dem "Dazuverdienen"
Trotz Antidiskriminierungsgeset verdienen Frauen ungleich weniger als Männer - immer noch. Das liegt unter anderem am ewigen Bild der weiblichen "Zuverdienerin".
A m Donnerstag wird erstmals nach Inkrafttreten des Antidiskriminierungsgesetzes vor knapp einem Jahr ein Gericht über die systematische Lohndiskriminierung von Frauen in einer Firma verhandeln. Dies ist ein Fall von direkter Diskriminierung, der in dieser Reinform in Deutschland wohl nicht allzu oft zu finden sein dürfte. Dennoch - dem Antidiskriminierungsgesetz sei Dank - werden solche Fälle nun noch seltener werden.
Heide Oestreich ist Inlands-Redakteurin der taz und Fachfrau für Gender-Themen
Die schlechte Nachricht: An dem übergroßen Lohngefälle zwischen Männern und Frauen ändern solche Prozesse erst mal nichts. In Deutschland verdienen Frauen im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer. Damit liegen wir an viertletzter Stelle in Europa. Diese Lücke ist aber schwerer zu skandalisieren, weil sie nur zu einem kleinen Teil auf direkte Diskriminierung zurückzuführen ist. Den Löwenanteil machen nämlich strukturelle Probleme aus: Frauen arbeiten mehr in Teilzeit und machen weniger Überstunden, deshalb machen sie auch langsamer Karriere. Sie wählen zudem mehrheitlich schlecht bezahlte Berufe und sind bei Lohnforderungen zu allem Unglück oft auch noch bescheidener als Männer.
Mit einem solchen Verweis auf die Strukturen wird der Skandal dieser indirekten Diskriminierungen allerdings auch verschleiert. Die blöden Frauen, sollen sie doch mehr arbeiten und Ingenieurinnen werden, anstatt sich zu beschweren - ja, der subjektive Faktor ist immer auch wichtig. Aber was kann die einzelne Friseurin dafür, dass ihr Beruf nicht geachtet und schlecht bezahlt wird? Und die Erzieherin? Was können die zahllosen halbtags arbeitenden Angestellten dafür, dass es keine Ganztagsschulen oder -kindergärten gibt? Und dass ihr besser verdienender Ehemann nicht jahrelang daheim Kinder hütet?
Bei diesen Formen von struktureller Diskriminierung reicht es nicht, der einzelnen Frau die Schuld zuzuweisen. Ohne dass die Politik die Ursache dieser Strukturen, nämlich das herrschende Konzept der weiblichen "Zuverdienerin" infrage stellt, wird sich an dem deutschen Lohngefälle nichts ändern. Das soll natürlich die Friseurin nicht daran hindern, genau das von der Politik auch einzufordern.
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