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KommentarLetzte Wortmeldung

■ Die RAF besiegelt ihre Niederlage

Ob es möglich sei, den bewaffneten Kampf in den Metropolen zu organisieren, schrieb die RAF im „Konzept Stadtguerilla“, sei nur „praktisch zu ermitteln“. Der Praxistest dauerte mehr als ein Vierteljahrhundert. Im Ergebnis blieben auf beiden Seiten etwa 60 Tote zurück, mehrere Dutzend zu lebenslanger Haft Verurteilte, ein Fahndungs-, Sicherheits- und Repressionsapparat, dessen Aufbau die Bonner Republik ohne die Linksguerilla in erhebliche Legitimationsprobleme gestürzt hätte. Der bewaffnete Kampf war möglich. Die RAF hat es über zwanzig Jahre lang bewiesen. Das Ergebnis allerdings hatte in keiner Phase das geringste zu tun mit den nur aus der damaligen Zeit verstehbaren Weltrevolutionsvisionen ihrer Gründer.

Endgültig am Ende war der Versuch, im „Innern der imperialistischen Bestie“ eine zweite Front, neben der der Befreiungsbewegungen des Südens, aufzubauen, als sich der reale Sozialismus als korruptes Zwangssystem entpuppte, das längst jede Legitimation in der eigenen Bevölkerung aufgebraucht hatte. Der Zusammenbruch des Ostblocks bedeutete das Ende des Konzepts RAF, auch wenn sich die Gruppe nie offen zur Alternative des „realen Sozialismus“ bekannt hatte.

Neun Jahre nach der Zeitenwende beschreiben die „ehemaligen Militanten der RAF“ den Versuch, das längst zur Projektionsfläche einer heimat- und orientierungslos gewordenen linksradikalen Szene verkommene Konzept nach dem Zusammenbruch der DDR fortzuführen, als „unrealistisch“ – eine späte Erkenntnis, zu spät für die Toten der Nachwendezeit. Überraschend an der Erklärung ist lediglich, daß sie so spät kommt. Helmut Pohl, strategischer Kopf der RAF zu Zeiten des letzten Hungerstreiks, und Birgit Hogefeld, die das Ende der blutigen Auseinandersetzung 1992, ein Jahr vor ihrer Festnahme am Bahnhof von Bad Kleinen, mitbestimmte, haben die „Selbstauflösung“ schon vor zwei Jahren angemahnt.

Auch wenn die RAF, die die Bundesrepublik 1977 in ihre vielleicht schwerste Krise stürzte, in den vergangenen Jahren aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit fast verschwunden war, bleibt die Erklärung ein historisches Datum. Ab morgen beginnt für die Autoren die Verjährungszeit – sofern ihnen kein Mord vorgeworfen wird. Und für die noch immer Inhaftierten eine neue Hoffnung: die Aussicht auf vorzeitige Entlassung. Gerd Rosenkranz

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