■ Kommentar: Zivilcourage à la Marzahn
Ob das Auftreten rechtsextremer Parteien oder Angriffe gegen Ausländer – die Chancen, Zivilcourage zu zeigen, stehen derzeit leider gut. Wie groß aber die Welten sind, die zwischen Lippenbekenntnissen und dem Mut zur Courage liegen, demonstriert derzeit der Jugendstadtrat von Marzahn. Wolfgang Kieke (PDS) hätte durch die sofortige Verweigerung der Vermietung von bezirksverwalteten Räumen an die NPD zeigen können, daß es in seinem Bezirk keinen Raum für rechtsextreme Parteien gibt. Hat er aber nicht. Erst nach Einspruch des Ältestenrates war der Vertrag wegen Eigenbedarfs gekündigt worden.
Um Schadensbegrenzung und Rettung der eigenen Haut bemüht, fordert Stadtrat Kieke nun das, was er selbst nicht gezeigt hat, von den BewohnerInnen seines Bezirkes. „Rechtsradikale und extremistische Aktivitäten haben in unserem Bezirk dann keinen Raum, wenn sie durch Marzahnerinnen und Marzahner eine deutliche und öffentliche Ablehnung erfahren“, teilte er gestern mit. „Bürger müssen sich einbringen.“ Stadträte offenbar nicht.
Kieke macht es sich sehr einfach, indem er sich nur auf die Juristerei bezieht und Zivilcourage aus den Amtsstuben verweist. Jeder weiß, daß die NPD eine zugelassene Partei ist, die die gleichen Rechte wie alle anderen Parteien hat und eine Klage vor dem Verwaltungsgericht nicht aussichtslos wäre. Gerade deshalb hätte Kieke sich trauen müssen, den rein juristischen Boden zu verlassen und sich aufs Politikparkett zu begeben – um eben die deutliche und öffentliche Ablehnung der NPD zu demonstrieren, die er von den BürgerInnen einfordert. Nun sollen die Marzahnerinnen und Marzahner der NPD und ihrem Jugendstadtrat zeigen, daß sie die rechtsextreme Partei nicht wollen. Geradezu heuchlerisch ist es, nur Bürgeraktionen wie die für heute geplante „Lesung gegen das Vergessen“ vor dem Freizeitforum Marzahn als „realen und wirklich politischen Beitrag zur friedlichen Auseinandersetzung mit rechtsextremer Ideologie“ zu sehen, wie es Kieke tut. Die Rechten tagen, und wir zünden eine Kerze an. Barbara Bollwahn
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