Kommentar: Das Konsens-Diktat
■ Auf den groben Klotz der Atomkonzerne gehört nun ein grober Keil
„Mit Bauern über die Agrarreform zu reden ist wie mit Gänsen über Weihnachten“, sagte kürzlich Bundeslandwirtschaftsminister Funke. Vielleicht sollte er diese Weisheit an seine Kabinettskollegen weitergeben, die derzeit mit den Energiekonzernen über einen Ausstieg aus der Atomenergie verhandeln. Bei den Konsensgesprächen scheinen sich die Atommanager nach ihrem ersten Sieg bei der Wiederaufarbeitung sehr sicher zu fühlen. Über die Welt am Sonntag haben sie gestern ihre Verhandlungsposition lanciert, und die lautet: Die deutschen AKWs werden so lange laufen, bis sie von allein zerbröseln. Das letzte wird ungefähr 2050 vom Netz gehen. Wenn nicht, dann ist Schluß mit den Konsenstreffen.
Wenn die Koalition in Bonn sich nicht lächerlich machen will, muß sie den Gänsen nun mit dem einen oder anderen Schlachtermesser winken. Alle Rücklagen für Wiederaufarbeitung, Endlager und den Abriß der laufenden Atomkraftwerke werden geprüft und eventuell neu eingeschätzt. Da würden Milliarden an Steuern fällig. Bis Mitte 2000 schreibt die EU ein neues Energiewirtschaftsgesetz vor. Damit lassen sich auch die Gebietsmonopole der Stromriesen schneller schleifen als bisher beabsichtigt. Und die staatlich genehmigten Preise für die Kilowattstunde Strom müssen auch nicht ewig so großzügig bemessen werden, daß die „Elektriker“ ihre Kriegskassen füllen und sich in Branchen wie der Telekommunikation ausbreiten können – auf Kosten der zahlenden Stromkunden.
Diese und andere Maßnahmen müssen wenigstens als Drohpotential am Horizont auftauchen und nicht ausgleichendes Kuschen wie von Schröder&Co letzte Woche zelebriert. Das heißt nicht, daß die Stromindustrie einfach zu überrumpeln wäre. Selbst wenn Rot-Grün bei den Verhandlungen künftig eine selbstbewußtere und zugleich geschicktere Strategie fährt als bisher, wird sich die Atombranche mit allen Mitteln wehren. Doch steht mittlerweile nicht nur ein Atomausstieg, der diesen Namen verdient, auf dem Spiel, sondern das Ansehen der Politik insgesamt: Sie muß es schaffen, sich gegen eine Handvoll Konzerne durchzusetzen – selbst wenn das Land von diesen noch jahrelang abhängig ist. Sonst könnte man in Berlin gleich ein paar clevere Manager den Laden schmeißen lassen und sich den ganzen Regierungsumzugs- und Demokratie- Aufwand sparen. Reiner Metzger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen