■ Kommentar: Autistisch Multiplex am unteren Ku'damm bringt keine Urbanität
Mal ehrlich. Fällt Ihnen etwas zum unteren Kurfürstendamm ein? Wohl kaum. Die älteren Leser erinnern sich vielleicht noch an den „besten Portugiesen“ in der Stadt. Einen ziemlich harten Nachtclub in der Nachbarschaft gab es auch. Und dann befand sich noch das Kino „Studio“ an der Ecke. Heute sind Studio, Nachtclub und Lusitanier Geschichte. Heute herrscht am unteren Kurfürstendamm Ödnis. Der beste Kommentar auf das Quartier stammt von Wolf Vostell. Seine Skulptur „Cadillac“ am Rathenauplatz bringt den Ort auf den Punkt: als Autobahnzubringer für die A 100 oder anders gesagt als „Last Exit Ku'damm“.
Dass ausgerechnet VW sich zum Retter der Urbanität am unteren Kurfürstendamm aufspielt, mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, verkauften sich doch schnelle Wagen immer bestens am Rande der Autobahn. Bleifüße konnten zahlen, einsteigen und losrasen.
Im Zeitalter des Hedonismus ist das anders. Zum Handel mit neuen Autos gehört für viele heute das gepflegte Ambiente. Nötig sind für den Fetisch Ware ein Umfeld aus Luxus und Unterhaltung, Kommerz und Freizeitangeboten. Warum sonst präsentiert DaimlerChrysler seine neuesten Schlitten am Potsdamer Platz? Bei VW denkt man nicht anders: Weil in das Verkaufshaus mit dem Charme der 50er Jahre immer weniger kamen und am Ku'damm rundherum die Läden dichtmachen, wird jetzt mit Multiplex, Wellness-Center und neuen Wohnungen für „Aufwertung“ gesorgt. Es geht also in erster Linie ums Geld und dann erst um Urbanität.
Schlecht für das mäßig entwickelte Quartier sind die Investitionen sicher nicht. Sie locken ein paar Kinogänger mehr aus dem Grunewald und geben dem unteren Ku'damm etwas Auftrieb.
Urbanität allein schafft das autistische Projekt nicht. Dazu fehlt dem Stadtteil fast alles, was dafür nötig ist: Dichte, Lebendigkeit, eine Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Freizeitangeboten. So bleibt der untere Ku'damm weiter das verkehrte Spiegelbild des oberen. Oben plant man, investiert Geld in Hochhäuser und Großkinos. Und unten hat man vergessen.
Rolf Lautenschläger
Bericht Seite 24
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