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KommentarSich selbst gefesselt ■ EU kann auf Haider kaum noch reagieren

Die Situation ist verfahren: Da debattiert der österreichische Nationalrat einen Misstrauensantrag gegen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, weil dieser durch die Koalition mit der FPÖ eine außenpolitische Isolation des Landes hervorgerufen habe. Gleichzeitig glauben nicht wenige Österreicher dem Vorwurf von FPÖ-Chef Jörg Haider, dass Bundespräsident Thomas Klestil und Ex-Kanzler Viktor Klima die EU-Proteste selbst organisiert hätten. Derweil rudert die portugiesische EU-Präsidentschaft zurück und lädt Österreichs Minister auch zu allen informellen Treffen ein.

Europa hat sein Pulver zu schnell und zu unüberlegt verschossen. Die EU ist in der unglücklichen Lage, bei einer FPÖ-Regierungsbeteiligung mit Sanktionen gedroht zu haben, die sie aber nun nicht umsetzen will. Dümmer kann man es kaum machen. Der Haider Jörgl jedenfalls kann sich wieder einmal an der Rolle des Springteufels freuen, bei dessen Hervorschnellen alle zusammenzucken und vor Schreck irgendwas Blödes anstellen. Ihm macht das richtig Spaß, und seine Anhänger lieben ihn dafür.

Die EU wird jetzt an Handlungsfähigkeit eher verlieren als gewinnen. Schon wissen Beitrittskandidaten wie Tschechien nicht mehr, wie sie sich verhalten sollen – sie brauchen Österreichs Stimme für den Beitritt und scheuen sich doch, die übrigen Mitgliedsländer ob ihrer Sanktionen zu kritisieren. Die EU wird so kaum dazu kommen, sich mit dem ausländerfeindlichen Gehalt der neuen österreichischen Politik auseinanderzusetzen. Sie muss zunächst die Folgen ihrer eigenen Reflexhaftigkeit verarbeiten.

Auch der Opposition in Wien hat die EU einen Bärendienst erwiesen. So wichtig es ist, Solidarität gegen die Regierungsbeteiligung einer menschenfeindlichen Partei zu demonstrieren, genauso wichtig ist es jedoch auch, sich im Umgang mit eben dieser Regierung nicht selbst zu fesseln. Stattdessen sieht sich der österreichische Bundespräsident plötzlich genötigt, eine Liste seiner ausländischen Gesprächspartner vorzulegen, um den Haider-Vorwurf des „politischen Hochverrats“ zu entkräften – nicht gerade bedrückend für Haider. Aber für Klestil.

Es zeigt sich: Die moralisch richtige Haltung ist nicht immer die beste. Im Umgang mit Haider muss man immer zweimal nachdenken. Bernd Pickert

Bericht Seite 10

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