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Kommentar SPD-ParteitagWer glaubwürdig ist, hat den Schaden

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Schulz steuert die Genossen in Richtung Groko-Konsens. Gut für die politische Stabilität, aber für die SPD wird das schlimme Folgen haben.

Oh Captain, my Captain: Steuert Martin Schulz die SPD in den Hafen der Großen Koalition? Foto: dpa

M artin Schulz hat in den letzten elf Monaten einige kühne Wendungen vollzogen. Erst war er Retter der SPD, dann der verzagte Kanzlerkandidat, der an Merkel verzweifelte. Er hat die Partei scheinbar nach links geschoben, dann die Agenda-Korrektur jäh abgebrochen. Nach der Wahl schwor er: „niemals Groko“, nun steuert der Kapitän, in rhetorische Nebelkerzen gehüllt, wohl den Hafen Große Koalition an. Das sind ziemlich viele Schwenks in kurzer Zeit.

Kann jemand mit so wenig strategischem Weitblick die SPD retten? Wohin will Schulz eigentlich? Vielleicht nach Europa? Der SPD-Chef hat auf dem Parteitag in Berlin eine verwegene Vision skizziert. Aus der Europäischen Union sollen in ein paar Jahren die Vereinigten Staaten von Europa werden: eine föderale Union mit gemeinsamer Verfassung, allerdings ohne die Nationalstaaten auszuhebeln. Bisher ist das eine Skizze, die noch im Detail auszumalen ist. Die europäische Einigung soll womöglich der neue Leitstern für die SPD werden. Und eine überwölbende Erzählung für die nächste Große Koalition, die neben purem Machterhalt plus Sozialpolitik auch ein sinnstiftendes Narrativ braucht.

Vielleicht. Vielleicht ist dieser Traum von Europa aber auch nur noch eine weitere schnell vergessene Finte, noch eine Kurve auf dem windungsreichen Weg, die Martin Schulz ins politische Nirgendwo führt. Politiker müssen flexibel sein und auf Stimmungen reagieren. Willy Brandt, Heldenfigur der SPD, war einst berüchtigt für seine taktische Finessen. Bei Schulz ist indes manchmal nur noch Flexibilität zu erkennen, aber kein Koordinatensystem mehr.

Zudem scheint die Schulz-SPD seit Monaten Opfer der Verhältnisse zu sein. Im Wahlkampf war man sauer auf Merkel, die einfach SPD-Forderungen übernahm. Auf die Idee, dass das vielleicht an den SPD-Forderungen liegen könnte, kam niemand. Nach der Wahl erklärte Schulz, dass „der dramatische Appell des Bundespräsidenten“ Grund für seinen jähen Umschwung Richtung Groko war. Zudem drängt der französische Staatspräsident Macron die SPD in eine neue Große Koalition. Irgendwie sind immer andere verantwortlich für die Wendemanöver. Die sozialdemokratische Erzählung ist unter Schulz zu einer aus lauter Passivsätzen geworden. Das ist, angesichts der fundamentalen Krise der SPD, beunruhigend.

Nun bewegt sich die SPD in zögerlichen Schritten auf eine Große Koalition zu. Der Parteitag hat offen wie selten über die vertrackte Lage diskutiert. Allerdings wurde auch, begleitet von treuherzigen Bekundungen, auf Taktik zu verzichten, viel taktiert. So ist Schulz' Beteuerung, die Gespräche mit Merkel und Seehofer seien ergebnisoffen, eher Schwindel. Die Minderheitsregierung ist auch für die SPD-Spitze nur rhetorisches Spielzeug, um die Partei an das Unvermeidliche zu gewöhnen. Die SPD ist auf Macht und Staatsräson fixiert – und nicht für Experimente gemacht.

Die SPD braucht mehr

Die nächste Groko ist wahrscheinlich, aber nicht sicher. Die Lage ist jedenfalls fragiler als 2013. Damals hatte die Union mehr als 40 Prozent und konnte generös sein. Jetzt ist Merkel angeschlagen. Sie kann der SPD weniger geben. Aber die SPD braucht mehr, zumal ihr ein Symbol wie der Mindestlohn fehlt. Außerdem wird die CSU den starken Mann markieren, und der CDU-Wirtschaftsflügel bei Rente und Bürgerversicherung Schnappatmung bekommen.

Falls es zum Konsens kommt, wird der Schaden für die SPD erheblich sein – und eine effektive Mitgliederwerbung für die Linkspartei

Andererseits ist der Druck, sich zu einigen, hoch. Gewerkschaften und Arbeitergeber wollen Stabilität. Zudem werden sich im Januar bei den Sondierungen ja Vertreter einer sozialdemokratisierten Union und einer christdemokratisierten Sozialdemokratie am Tisch gegenübersitzen. Und allesamt sind sie gewiefte Techniker der Macht, die wissen, wie man Konsens produziert.

Falls es so kommt, wird der Schaden für die SPD erheblich sein – und auf jeden Fall eine effektive Mitgliederwerbung für die Linkspartei. Martin Schulz ist anders als die stromlinienförmigen Polittechnokraten. Er kann über Politik reden wie der Kumpel in der Eckkneipe. Sein Kredit ist Glaubwürdigkeit. Doch dieses Konto hat er inzwischen überzogen. Glaubwürdigkeit ist schnell zerstört, aber nur sehr langsam wiederherstellbar. Die SPD müsste das eigentlich wissen.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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21 Kommentare

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  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    "Vereinigten Staaten von Europa" bis 2025? Soll das die SPD aus dem Zustimmungstal herausschleppen?

    Wie sagte die erhabene, alte Schildkröte unlängst zu Schulz: "Geh' zurück nach Wüüüürselen!"

  • Und Merkel reibt sich ganz im Stillen die Hände, dass sie in der vierten Legislaturperiode hintereinander die Chance erhalten wird, den jeweiligen Koalitionspartner gegen die Wand fahren zu lassen.

     

    Aber was bedeutet ein kollektiver Suizid schon angesichts der heutzutage so oft kolportierten "Staatsräson"; gell, SPD?

     

    Und im Jahr 2021 wird die Kanzlerin der staunenden Öffentlichkeit ein Bündnis mit der AfD als "alternativlos" präsentieren. Spätestens dann werden die Spitzenpolitiker aller anderen Parteien begreifen, wen man da seit geraumer Zeit weitgehend ungeschoren vor sich hin wursteln ließ.

    • 8G
      80576 (Profil gelöscht)
      @Urmel:

      Da trauen Sie Merkel aber viel und der SPD rein garnichts zu.

      Armes Opfer SPD! Brutal und hilflos von der bösen Schwarzen Witwe verzehrt. Warum sollte ich so einer Loosertruppe ohne Rückgrat meine Stimme geben?

  • Wie gut das die Deligierten nicht wissen, wie dumm und unkritisch sie gegenüber

    den Machtbesessenen (Ministerpostenerhascher) in ihrer eigenen Partei sind und natürlich die Parteimitglieder ihre Deligierten nicht im Griff haben.

    Eine Parteikaste, die auf besten Kurs

    des "Titanikschicksals" ist.

    Was interessiert schon das Geschwätz

    eines Parteidemagogen, wenn er Macht besessen ist und jetzt nur noch einmal den fetten Rahmen abschöpfen will.

  • Bisher lese und höre ich von Journalisten fast einheitlich, dass es eine große Koalition geben wird. Von vornherein werden in den unterschiedlichsten Medien Sondierungsgespraeche als Koalitionsverhandlungen bezeichnet. Möglicherweise sagt das mehr über Wahrnehmungsstörungen der Journalisten als über die Entwicklung innerhalb der SPD aus.

    • @Bürger L.:

      Wer hat den Arbeiter verraten, es waren

      Grüne und Sozis.

      Wer hat das Volk und Wähler diekt nach der BT-Wahl belogen.

      Es waren Sozis mit einem "Euronen-Typ".

      Wer diesem Typen noch ein Wort glaubt, der hat nicht mehr alle Nägel im Brett.

      Dieser Typ ist und bleibt gefährlich, denn wie er es bis 2025 a.d. Weg bringen will die Vereinigten Staaten von Europa zu erschaffen, wäre der Untergang der hiesigen Demokratie und der Selbstbestimmung der eigenen Poltik hier im Lande.

      Der Bürger wird dadurch noch viel mehr entmachtet !

      Auch will er die Länder, die den Vertrag der Vereinigten Union nicht unterschreiben aus der EU ausscheiden lassen.

      Leute hört die Signale dieses Typen, der seine jetzige politische Stellung wohl nur dazu benutzt, die Vereinigten Staaten der EU zu machen.

      Dreimal düft Ihr raten, welche Funktion er dann i.d. EU inne haben wird.

       

      Es wäre noch ein weiteres Stück "Diktatur" ganz im Sinne des Selbstbedienungsladen und größten Arbeitsplatzbeschaffungsmodell, sprich "Zwangsunion".

      Eine Einrichtung, die von uns Bürgern nicht demokratisch legalisiert wurde.

      Lest mal nach bei Niccolò Machiavelli

      "Der Fürst", was Bornismus, Autokratie, Diktatur, etc. für den Bürger bedeutet und wie sich politische selbstdarstellende Herrscher wieder vom Volk entmachtet werden.

      Diesen aufgeblasenen "Luftballon" EU und die Vereinigten Staaten der EU will ich nicht und wer noch ein wenig Geist hat, sollte diese entschieden ablehnen !

    • @Bürger L.:

      Ich gehe nicht von einer Wahrnehmungsstörung aus, sondern von einer auf die richtige Wahrnehmung folgende bewusste Meinungsmache in Richtung eigener Wünsche, Träume und Hoffnungen..

      Der größte Hammer war in diesem Zusammenhang Hajo Schumacher bei Maybritt Illner mit seinem Satz, den er den SPD-Mitgliedern zuodnete:" Wohin sollen wir bloß mit dem Martin?Scholz, Sie wären jetzt der richtige Mann!" Und dieser Herr Hajo S. soll zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung von der wahren Wirklichkeit gehabt haben? Wahrnehmungsstörungen?

    • @Bürger L.:

      Die Journalisten - und nicht nur die - wissen doch ganz genau, wie das bei der SPD regelmäßig so abläuft.

      Basis wird erst eingelullt, dann hingehalten, dann eingeschüchtert mit Parteiuntergangsszenarien für den Fall eines Nichtmitregierens, notfalls Rücktrittsdrohungen, dann schnell mal eben Katze in den Sack gepackt und Ätsch - da müssen wir jetzt durch, Aussendarstellung verbessern, Farbkosmetik etc.

      Geh mich bloß wech!

  • Aus keiner Rede von Schulz und keiner Wortmeldung kann ich erkennen, dass Schulz auf eine Große Koalition hinsteuert. Wenn, dann, um Zeit zu gewinnen und die Sache so weit voranzutreiben, dass alle "GroKo-Medien" letztendlich schreiben können:" Ja, sie (die SPD) haben es ernsthaft versucht, es ist aber an der Union oder an den Mitgliedern gescheitert..".Das ist es was Schulz anstrebt! Und dann hat er Steinmeier und allen GroKo-Fans seinen/ihren Gefallen getan und gleichzeitig genug Zeit gehabt, um den Wahlkampf vorzubereiten und auch der Öffentlichkeit endlich die SPD-Ziele lang und breit zu präsentieren. Und diese Strategie - dieses Gefühl, dass es so kommt, ist in der SPD weiter verbreitet, als Reinecke es ahnt..

    • 8G
      80576 (Profil gelöscht)
      @SUDEK:

      Das klingt nach "Jungmädchenträume vom Prinzen auf dem weißen Ross"

  • „Wer glaubwürdig ist, hat den Schaden.“

     

    Nöö. Die SPD gönnt einfach nicht einmal dem Schadenfrohen etwas.

     

    by the way:

    Auch durch einen Schaden wird keiner glaubwürdiger.

  • Immer dieses blöde Politgelaber von "Stabilität" in den Medien. Wo besteht denn welche Instabilität? Ist etwa das GG im A..., weil Jamaika scheiterte?

    Kippen wegen dem Verfahren der Regierungsbildung Lieferverträge, Dienstverträge, Firmen, Währungen pp. ?

    • @Gerhard Krause:

      Es geht um Kursstabilität. Nein, nicht der Wechselkurs, sondern der soziale/wirtschaftliche Kurs der stramm neoliberal sein soll.

       

      Das garantiert jetzt das 20%ige "Bollwerk der Demokratie". Für Schulz reichen scheinbar mittlerweile auch 20%, um besoffen zu wirken...

      • @agerwiese:

        Aber natürlich. Nur, das sollte man dann einmal in klarer Übersetzung sagen. :-) "Wir" wollen doch die Bevölkerung nicht verwirren. :-)

  • Wenn die SPD in eine neue GroKo geht, wird sie das in dreieinhalb Jahren wieder etliche Stimmen und entsprechend viele Mandate kosten. Denen, die die Spitzenposten besetzen, kann das aber egal sein. Für die reicht es auf jeden Fall. Vielleicht sogar zum Ministerposten. Was aus denen wird, die sich stellvertretend für die Genossen der Bosse im Wahlkampf die Dresche abgeholt haben, damit die Alte Tante wenigstens die 5%-Hürde nehmen konnte, schert die Alphatiere nicht. "Erst ich", ist die Devise. Auch ein Konzept, wenn auch nicht unbedingt ein sozialdemokratisches.

  • Die Sozen mit dem Euronen-Hinterzimmer-Typen hat absolut fertig, wenn es eine GROKO geben sollte. Nicht nur er, vielmehr die ganze Sozen-Partei.

    Die Mitglieder, das Wahlvolk und weitere Öffentlichkeit wurden vom Euronen-Mann belogen.

    Aber was interessiert den Typen schon sein Geschwätz direkt am Wahlabend, das es mit der SPD und ihm keine GROKO geben wird.

    Und für wie dumm hält diese tragische Figur das Volk, in dem ihm vorgegaukelt wird, das es jetzt eine andere Situation ist.

    Packt den "Lügenonkel" weg und erneuert euch Sozen.

    Eine Erneuerung wird es nur glaubhaft mit einem neuen, sozialen Programm und vor allen Dingen nur mit neuen Leuten geben.

    Die alten Sozialabbauer müssen raus und zwar sofort.

    Das was ich bei Phönix zum letzten Parteitag gehört habe, hat mir gereicht.

    Das war "Schmusekurs" und die "Opiumisierung" der Deligierten.

    Diese Sozen sind für mich auf Lebenszeit unwählbar geworden.

    Denn kein Wähler braucht eine "Pharisäerpartei".

    Das Grab und den Sarg haben diese Sozen für ihre Kaste bereits hergerichtet.

    Ich warne nochmals vor diesen "Hinterzimmereuronenmann", der seine jetztige politische Tätigkeit vordergründlich für eine weitere EU-Dikatur nutzen wird.

    Angekündigt hat er es bereits, das bis 2025 die Vereinigten Staaten von Europa gegründet werden sollen und wenn ein Land nicht unterschreibt, es austreten muss.

    Drei mal dürft ihr raten, wenn es zu einem vereinigten Europa durch einige wenige "EU-Rebellen" im negativen Sinne kommt, was dieser "Euronentyp" für einen Posten in einem solchen vereinigten Europa bekommt.

    Na ja, der schlauste scheint er ja nicht zu sein, denn solch eine Ankündigung kommt bei der Masse der Wähler nicht gerade gut an und ein Cleverer hätte es gar nicht erst gesagt.

    • 3G
      39167 (Profil gelöscht)
      @J.utt.a:

      Volle Zustimmung, genau auf den Punkt gebracht!

      Dieses vereinte Europa schreckt mehr als dass es gewinnbringend ist.

  • Treffender Kommentar.

    • @True at First Light:

      Ein vereinigtes Europa, wie eine Anfangs-EU mit dem Euro, EGH,

      ESM, Beistandspakten etc. ist und so auch von der Politik gewollt, nicht demokratisch legaliert.

      Uns Volk hat man nicht gefragt, es ist

      ein künstliches Gebilde, eigentlich ein Fremdkörper, über unsere Köpfe geschaffen worden.

      Und so wird es auch bei einer möglichen Einführung eines Vereinten Europas mit einer EU-Verfassung, einer weitläufig Entfremdung unserer Verfassung und eine Nichtmehreigenverantwortung für das Volk geschaffen.

      Ich will das nicht.

  • "Gut für die politische Stabilität..."

     

    Klar, wie die letzte GroKo, deren Teilnehmer etwa 20% der Stimmen und Mandate eingebüßt haben...

  • Gott sei Dank gibt es 27 Staaten, die bei dem ganzen EU-Zeug mitmachen.

     

    Damit ist die Chance recht hoch nicht überall eine Volksabstimmung verhindern zu können was automatisch dazu führt, dass eine europäische Verfassung da landet wo der letzte Versuch jetzt ist und wo das Ding hingehört: Auf den Müllhaufen der Geschichte.