Kommentar zu Volksbühne und Dercon: Im Osten geht die Sonne wieder auf
Die Volksbühne wird nach dem Dercon-Abgang als Symbol dafür gelten, dass der Kampf gegen Veränderungen erfolgreich sein kann. Doch das hat seinen Preis.
Es gibt diese stets vom Publikum beklatschte Szene in Frank Castorfs letzter großer Volksbühne-Inszenierung – seinem siebenstündigen „Faust“, der vor einem Jahr Premiere hatte –, in der ein mit belgischem Akzent sprechender Mann ein Glas Bier über den Kopf geschüttet bekommt.
Der Begossene steht ziemlich eindeutig für Chris Dercon, umstrittener Nachfolger Castorfs als Intendant; der Vorfall soll sich wirklich zugetragen haben. Dercon bekam in dieser seiner ersten Spielzeit auch von vielen anderen ordentlich eingeschenkt. Am Ende war es ihm zu viel: Am Freitag gab Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei) die „einvernehmliche“ Einigung bekannt, die „Intendanz von Chris Dercon mit sofortiger Wirkung zu beenden“.
Dass es darauf hinauslaufen musste, war schon länger klar. Blieb nur die Frage des Zeitpunkts. Für Berlin als Stadt an sich ist der kaum kaschierte Rauswurf dennoch eine schwierige Entscheidung, schließlich war es auch ein Rausekeln.
Natürlich hat Dercon viele Fehler gemacht – das ist angesichts seiner Aufgabe, aus einem renommierten Theatertanker eine undefinierte Art Festspielhaus zu machen, auch nicht verwunderlich. Zudem hat er von jenen, die ihn, den Theaterneuling, 2015 geholt hatten – vom damaligen Auch-Kultursenator Michael Müller und seinem Staatssekretär Tim Renner –, nicht die Unterstützung bekommen, die er für eine erfolgreiche Arbeit an der Volksbühne gebraucht hätte.
Aber die Ablehnung Dercons durch viele langjährige Volksbühne-Besucher und auch -Mitarbeiter und durch ein kleines, verschroben wirkenden Ostberliner Biotop hatte zu oft starsinnige Züge, völlig befreit von kultureller Offenheit und der Notwendigkeit von Veränderungen nach 25 Jahren unter einem – über viele Jahre auch nicht gerade erfolgreichen und bejubelten – Intendanten.
Die Volksbühne wird jetzt vielleicht als Beispiel dafür gelten, dass von oben oder vom System oder von provinzieller Berliner Politik initiierte Veränderungen durch Hartnäckigkeit, gemeinsames Handeln und fortwährende Nadelstiche doch aufzuhalten sind. Stichwort Gentrifizierung. Wenn dabei das Ziel das Wichtigste ist, kann man von einem Erfolg sprechen. Geht es um den Weg, um den Diskurs, muss die Berliner Kulturszene noch lernen, was unter Respekt zu verstehen ist.
Retten muss das jetzt Kultursenator Lederer. Er hat die große Chance, die am Boden liegende Volksbühne wieder flottzumachen und zu zeigen, dass er und die Stadt aus dem Dercon-Debakel gelernt haben – in jeder Hinsicht.
Anfang Mai läuft Castorfs „Faust“ noch einmal im Rahmen des Theatertreffens. Mal sehen, ob die Schauspieler die Bierglasszene noch spielen – und wie die Reaktionen dann sind.
Bert Schulz
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