Kommentar zu Hilfe für Nepal: Jenseits der Kasten
Die internationale Hilfe scheitert an der Korruption. Aber die Nepalesen helfen sich gegenseitig und überwinden die Kastengrenzen.
D ie Hilfe aus dem Ausland kommt an – leider nur am Flughafen und nicht bei den Menschen in Nepal, die verzweifelt auf sie warten. Schuld daran ist eine politische Führung, die sich chronisch mehr um sich selbst als um das Land kümmert. Vor gut zehn Jahren wurde offiziell der Bürgerkrieg mit den maoistischen Rebellen beendet. Ein 12-Punkte-Abkommen sollte den Weg in eine bessere Zukunft ebnen. Doch bis heute sind viele der getroffenen Vereinbarungen nicht erfüllt. Noch immer gibt es keine neue Verfassung, keine Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen, keine Entschädigung für die Opfer.
Auch wirtschaftlich steht es nicht gut um den kleinen Gebirgsstaat. Schon vor der Katastrophe zählte Nepal zu den 20 ärmsten Ländern der Erde. Mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von knapp 700 Dollar liegt das Land weit hinter seinen Nachbarn Bhutan, Pakistan oder Bangladesch. Im Entwicklungsindex der Vereinten Nationen rangiert Nepal auf Platz 145 – hinter dem Inselstaat Kiribati und Äquatorialguinea.
Das Erdbeben traf also ein schon angeschlagenes Land. Nepals Finanzminister Ram Mahant schätzt, dass sich die Kosten für den Wiederaufbau auf mehr als 10 Milliarden Dollar belaufen dürften. Das wären knapp 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Landes. Und so gibt es jetzt für viele Nepaler nur einen Ausweg: Sie müssen sich gegenseitig helfen.
Nepal ist eine stark hierarchisch gegliederte Gesellschaft, geprägt durch das menschenverachtende Kastenwesen. Und doch funktioniert bislang die Solidarität unter den Menschen. Nachbarn übernachten gemeinsam unter Plastikplanen, es gibt lokale Suppenküchen. In der Stunde der Not bietet sich ungewollt eine Chance: historische Gräben zu überwinden und ein neues Gemeinschaftsgefühl in Nepal zu schaffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“