Kommentar zu FDP & Volksentscheid: Missbrauch der direkten Demokratie
Der Tegel-Entscheid kommt nur zustande, weil mit der FDP eine Partei die treibende Kraft dahinter war. So wird die direkte Demokratie ausgehöhlt.
D ie Volksentscheide der letzten Jahre in Berlin haben eines gemeinsam: Sie wurden entweder von Bürgerinitiativen oder offenen Bündnissen getragen – etwa die Volksentscheide „Unser Wasser“ und „Neue Energie“ – oder von einem gemeinnützigen Verein wie der Volksentscheid „Tempelhofer Feld“. Bei allen Kampagnen fanden sich zunächst mehr oder weniger große Gruppen zusammen, die versuchten, sich mit den Mitteln der direkten Demokratie in die Politik einzubringen.
Etwas hochtrabend könnte man sagen, dass die direkte Demokratie das rechtlich verbindlichste Instrument einer außerparlamentarischen Opposition innerhalb eines repräsentativen Systems ist. Sie ist ein Mittel für die Bevölkerung, sich, wie der Name schon sagt, direkt einzumischen, politischen Streit zu führen und schließlich auch einen politischen Willen jenseits der zwischen Verwaltung und Parlament ausgehandelten Gesetze durchzusetzen.
Dass dieses Instrument machtvoll genutzt werden kann, zeigen der erfolgreiche Volksentscheid „Unser Wasser“ im Jahr 2011, der schließlich die Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe auslöste, und jener zum „Tempelhofer Feld“ 2014, mit dem eine Bebauung des Geländes ausgeschlossen wurde. Parlament und Regierung wurden seitens der Bevölkerung unter Druck gesetzt und sahen sich gezwungen zu reagieren. Ob die jeweilige Trägerin des Volksbegehrens mit der entsprechenden Reaktion schließlich zufrieden war, steht auf einem anderen Blatt.
Völlig anders verhält es sich mit dem erfolgreichen Volksbegehren „Berlin braucht Tegel“ sowie dem daraus resultierenden Volksentscheid, der am 24. September stattfindet. Egal, wie man zur Offenhaltung des innerstädtischen Flughafens steht: Es bleibt festzuhalten, dass die Initiative hierzu nicht aus der Bevölkerung direkt kam, sondern von einer in der letzten Wahlperiode nicht im Abgeordnetenhaus vertretenen Partei.
Die Initiative „Berlin braucht Tegel“, die Trägerin des Volksentscheids ist, residiert unter derselben Adresse wie die Landesgeschäftsstelle der Berliner FDP. Als Ansprechpartner wurden schon vor der letzten Wahl im Jahr 2016 der Berliner FDP-Generalsekretär Sebastian Czaja, heute Fraktionsvorsitzender, und Marcel Luthe, heute ebenfalls Abgeordneter, genannt.
Benedict Ugarte Chacón ist Politologe und war einer der Sprecher der „Initiative Berliner Bankenskandal“, die 2005 mit einem Volksbegehren gegen die Bankgesellschaft Berlin scheiterte. In den letzten Jahren arbeitete er in verschiedenen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und aktuell bei der Senatsverwaltung für Kultur und Europa.
Mathias Behnis ist Politologe und war Sprecher des „Berliner Wassertischs“, der 2011 einen erfolgreichen Volksentscheid zur Offenlegung der Privatisierungsverträge der Wasserbetriebe durchführte. Er promoviert zum Thema Wasserprivatisierung.
Im Wahlkampf 2016 war die FDP fast ausschließlich mit dem Thema Tegel sichtbar. Ihr Erfolg gab ihr aus wahltatktischer Sicht recht: Es ist nicht vermessen zu behaupten, dass die vormalige Splitterpartei ohne ihr Flughafen-Vehikel wohl nicht mit 6,7 Prozent ins Abgeordnetenhaus zurückgekehrt wäre. Und darin – das muss hervorgehoben werden – lag der eigentliche Sinn der Kampagne.
Doch Volksbegehren und Volksentscheide, die in erster Linie auf parteipolitische Erwägungen ausgerichtet sind, höhlen die Instrumente der direkten Demokratie aus. Man muss hier von einem unstatthaften Gebrauch, ja von einem Missbrauch dieser Art von Gesetzgebung sprechen.
Dass sich eine Mövenpick- beziehungsweise Rynair-Partei wie die FDP dabei nicht sonderlich sensibel zeigt, verwundert nicht. Es wäre Aufgabe der Presse und vor allem der zahlreichen politischen Initiativen in Berlin – egal welcher Ausrichtung –, immer und immer wieder darauf hinzuweisen, dass hier eine mittlerweile im Parlament vertretene Partei ein Instrument missbraucht, welches der Bevölkerung vorbehalten bleiben sollte. Und auch darauf, dass eine Partei dieses Instrument kalkuliert und zynisch beschädigt.
Man mag einwenden, dass auch Parteigeneralsekretäre oder Abgeordnete zur Bevölkerung gehören und es demnach legitim sei, wenn sie sich in dieser Art engagieren. Es wäre tatsächlich legitim, würde es sich um ein Engagement als Privatpersonen handeln oder um die Unterstützung einer Partei für irgendein Begehren. Es ist nicht legitim, wenn eine Partei, die in erster Linie im Parlament an der Gesetzgebung mitwirken sollte, so tut, als wäre sie gleichzeitig außerparlamentarische Opposition.
Vielmehr wären ihre MandatsträgerInnen angehalten, im Abgeordnetenhaus für ihre Sache zu streiten, auf die Regierung einzuwirken und eigene Initiativen auf den Weg zu bringen. Es steht ihnen schlicht nicht zu, sich als Bürgerinitiative auszugeben, um von außen Druck auf Parlament und Senat zu machen, weil es von innen zu anstrengend ist. Sich als kleinste Fraktion zur Vertreterin des wahren Bürgerwillens aufzuspielen – wie etwa im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses Mitte Juni geschehen – zeigt zum einen den mangelnden Respekt vor der eigenen parlamentarischen Aufgabe und zum anderen vor der direkten Demokratie als Instrument der Bevölkerung.
Es ist ein smarter, kalkulierter Populismus, den Czaja und seine Leute bewusst vollführen. Und weil es dabei vor allem gegen den Senat – also gegen „die da oben“ – geht, springt die wutbürgerliche AfD der kleinbürgerlichen FDP nur allzu gern zur Seite.
Es handelt sich hier jedoch nicht nur um ein Problem des demokratischen Anstands, sondern um eine handfeste Gefahr für die sogenannte Volksgesetzgebung.Denn wenn es zur unwidersprochenen Regel werden sollte, dass Volksbegehren anstoßen werden von Institutionen mit eigenen Apparaten, denen weitaus mehr Mittel, mediale Zugänge und Plattformen zur Verfügung stehen als herkömmlichen Zusammenschlüssen aus der Bevölkerung oder NGOs, dann ist der Weg nicht mehr weit zu einem institutionalisierten Lobbyismus.
Dieser könnte sich seine Zustimmung über den Umweg der direkten Demokratie sichern und dadurch verbindlich in die Politik einzugreifen versuchen, ja seine Gesetze nicht nur selber schreiben, sondern auch gleich abstimmen lassen. Ein Volksbegehren, angeleiert von der Überwachungsindustrie, verkauft als Weg zu mehr Sicherheit auf Berlins Straßen? Denkbar. Immobilienbesitzer oder Investoren, die sich so gegen ihnen nicht genehme Regelungen wenden? Warum nicht!?
Am 24. September können die Berliner parallel zur Bundestagswahl über die Zukunft des Flughafens Tegel abstimmen. Der Volksentscheid ist für den Senat jedoch unverbindlich, weil es lediglich um einen Appell geht, Tegel auch nach der Eröffnung des BER weiter zu betreiben. Dass es überhaupt zu dem Entscheid kommt, geht im wesentlichen auf die FDP zurück, die sich als "Tegel-Retter" verkaufen will.
Laut Senat und vielen Rechtsgutachten ist ein Weiterbetrieb von Tegel nach der – weiterhin nicht absehbaren – Eröffnung des BER jedoch so gut wie unmöglich. Der Senat hat deswegen auch angekündigt, selbst bei einer Niederlage Tegel zu schließen. (taz)
Sollte man solch eine Entwicklung zulassen? Nein! Auch die direkte Demokratie muss wehrhaft bleiben – im eigenen Interesse.
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