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Kommentar zu FDP & VolksentscheidMissbrauch der direkten Demokratie

Der Tegel-Entscheid kommt nur zustande, weil mit der FDP eine Partei die treibende Kraft dahinter war. So wird die direkte Demokratie ausgehöhlt.

Dank Tegel zurück ins Abgeordnetenhaus geflogen: Sebastian Czaja, FDP Foto: dpa

D ie Volksentscheide der letzten Jahre in Berlin haben eines gemeinsam: Sie wurden entweder von Bürgerinitiativen oder offenen Bündnissen getragen – etwa die Volksentscheide „Unser Wasser“ und „Neue Energie“ – oder von einem gemeinnützigen Verein wie der Volksentscheid „Tempelhofer Feld“. Bei allen Kampagnen fanden sich zunächst mehr oder weniger große Gruppen zusammen, die versuchten, sich mit den Mitteln der direkten Demokratie in die Politik einzubringen.

Etwas hochtrabend könnte man sagen, dass die direkte Demokratie das rechtlich verbindlichste Instrument einer außerparlamentarischen Opposition innerhalb eines repräsentativen Systems ist. Sie ist ein Mittel für die Bevölkerung, sich, wie der Name schon sagt, direkt einzumischen, politischen Streit zu führen und schließlich auch einen politischen Willen jenseits der zwischen Verwaltung und Parlament ausgehandelten Gesetze durchzusetzen.

Dass dieses Instrument machtvoll genutzt werden kann, zeigen der erfolgreiche Volksentscheid „Unser Wasser“ im Jahr 2011, der schließlich die Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe auslöste, und jener zum „Tempelhofer Feld“ 2014, mit dem eine Bebauung des Geländes ausgeschlossen wurde. Parlament und Regierung wurden seitens der Bevölkerung unter Druck gesetzt und sahen sich gezwungen zu reagieren. Ob die jeweilige Trägerin des Volksbegehrens mit der entsprechenden Reaktion schließlich zufrieden war, steht auf einem anderen Blatt.

Völlig anders verhält es sich mit dem erfolgreichen Volksbegehren „Berlin braucht Tegel“ sowie dem daraus resultierenden Volksentscheid, der am 24. September stattfindet. Egal, wie man zur Offenhaltung des innerstädtischen Flughafens steht: Es bleibt festzuhalten, dass die Initiative hierzu nicht aus der Bevölkerung direkt kam, sondern von einer in der letzten Wahlperiode nicht im Abgeordnetenhaus vertretenen Partei.

Die Initiative „Berlin braucht Tegel“, die Trägerin des Volksentscheids ist, residiert unter derselben Adresse wie die Landesgeschäftsstelle der Berliner FDP. Als Ansprechpartner wurden schon vor der letzten Wahl im Jahr 2016 der Berliner FDP-Generalsekretär Sebastian Czaja, heute Fraktionsvorsitzender, und Marcel Luthe, heute ebenfalls Abgeordneter, genannt.

Die Autoren

Benedict Ugarte Chacón ist Politologe und war einer der Sprecher der „Initiative Berliner Bankenskandal“, die 2005 mit einem Volksbegehren gegen die Bankgesellschaft Berlin scheiterte. In den letzten Jahren arbeitete er in verschiedenen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und aktuell bei der Senatsverwaltung für Kultur und Europa.

Mathias Behnis ist Politologe und war Sprecher des „Berliner Wassertischs“, der 2011 einen erfolgreichen Volksentscheid zur Offenlegung der Privatisierungsverträge der Wasserbetriebe durchführte. Er promoviert zum Thema Wasserprivatisierung.

Im Wahlkampf 2016 war die FDP fast ausschließlich mit dem Thema Tegel sichtbar. Ihr Erfolg gab ihr aus wahltatktischer Sicht recht: Es ist nicht vermessen zu behaupten, dass die vormalige Splitterpartei ohne ihr Flughafen-Vehikel wohl nicht mit 6,7 Prozent ins Abgeordnetenhaus zurückgekehrt wäre. Und darin – das muss hervorgehoben werden – lag der eigentliche Sinn der Kampagne.

Doch Volksbegehren und Volksentscheide, die in erster Linie auf parteipolitische Erwägungen ausgerichtet sind, höhlen die Instrumente der direkten Demokratie aus. Man muss hier von einem unstatthaften Gebrauch, ja von einem Missbrauch dieser Art von Gesetzgebung sprechen.

Es ist ein smarter, kalkulierter Populismus, den Czaja und seine FDP vollführen

Dass sich eine Mövenpick- beziehungsweise Rynair-Partei wie die FDP dabei nicht sonderlich sensibel zeigt, verwundert nicht. Es wäre Aufgabe der Presse und vor allem der zahlreichen politischen Initiativen in Berlin – egal welcher Ausrichtung –, immer und immer wieder darauf hinzuweisen, dass hier eine mittlerweile im Parlament vertretene Partei ein Instrument missbraucht, welches der Bevölkerung vorbehalten bleiben sollte. Und auch darauf, dass eine Partei dieses Instrument kalkuliert und zynisch beschädigt.

Man mag einwenden, dass auch Parteigeneralsekretäre oder Abgeordnete zur Bevölkerung gehören und es demnach legitim sei, wenn sie sich in dieser Art engagieren. Es wäre tatsächlich legitim, würde es sich um ein Engagement als Privatpersonen handeln oder um die Unterstützung einer Partei für irgendein Begehren. Es ist nicht legitim, wenn eine Partei, die in erster Linie im Parlament an der Gesetzgebung mitwirken sollte, so tut, als wäre sie gleichzeitig außerparlamentarische Opposition.

Vielmehr wären ihre MandatsträgerInnen angehalten, im Abgeordnetenhaus für ihre Sache zu streiten, auf die Regierung einzuwirken und eigene Initiativen auf den Weg zu bringen. Es steht ihnen schlicht nicht zu, sich als Bürgerinitiative auszugeben, um von außen Druck auf Parlament und Senat zu machen, weil es von innen zu anstrengend ist. Sich als kleinste Fraktion zur Vertreterin des wahren Bürgerwillens aufzuspielen – wie etwa im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses Mitte Juni geschehen – zeigt zum einen den mangelnden Respekt vor der eigenen parlamentarischen Aufgabe und zum anderen vor der direkten Demokratie als Instrument der Bevölkerung.

Der Boarding-Ausweis für die Abstimmung am 24. September Foto: dpa

Es ist ein smarter, kalkulierter Populismus, den Czaja und seine Leute bewusst vollführen. Und weil es dabei vor allem gegen den Senat – also gegen „die da oben“ – geht, springt die wutbürgerliche AfD der kleinbürgerlichen FDP nur allzu gern zur Seite.

Es handelt sich hier jedoch nicht nur um ein Problem des demokratischen Anstands, sondern um eine handfeste Gefahr für die sogenannte Volksgesetzgebung.Denn wenn es zur unwidersprochenen Regel werden sollte, dass Volksbegehren anstoßen werden von Institutionen mit eigenen Apparaten, denen weitaus mehr Mittel, mediale Zugänge und Plattformen zur Verfügung stehen als herkömmlichen Zusammenschlüssen aus der Bevölkerung oder NGOs, dann ist der Weg nicht mehr weit zu einem institutionalisierten Lobbyismus.

Dieser könnte sich seine Zustimmung über den Umweg der direkten Demokratie sichern und dadurch verbindlich in die Politik einzugreifen versuchen, ja seine Gesetze nicht nur selber schreiben, sondern auch gleich abstimmen lassen. Ein Volksbegehren, angeleiert von der Überwachungsindustrie, verkauft als Weg zu mehr Sicherheit auf Berlins Straßen? Denkbar. Immobilienbesitzer oder Investoren, die sich so gegen ihnen nicht genehme Regelungen wenden? Warum nicht!?

Volksentscheid Tegel

Am 24. September können die Berliner parallel zur Bundestagswahl über die Zukunft des Flughafens Tegel abstimmen. Der Volksentscheid ist für den Senat jedoch unverbindlich, weil es lediglich um einen Appell geht, Tegel auch nach der Eröffnung des BER weiter zu betreiben. Dass es überhaupt zu dem Entscheid kommt, geht im wesentlichen auf die FDP zurück, die sich als "Tegel-Retter" verkaufen will.

Laut Senat und vielen Rechtsgutachten ist ein Weiterbetrieb von Tegel nach der – weiterhin nicht absehbaren – Eröffnung des BER jedoch so gut wie unmöglich. Der Senat hat deswegen auch angekündigt, selbst bei einer Niederlage Tegel zu schließen. (taz)

Sollte man solch eine Entwicklung zulassen? Nein! Auch die direkte Demokratie muss wehrhaft bleiben – im eigenen Interesse.

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8 Kommentare

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  • 2G
    2830 (Profil gelöscht)

    Jedes politsche Instrument kann missbraucht werden. Es ist naiv anzunehmen, dass nur 'Gutes' das Anständige (wer definiert das?), damit bezweckt wird. Das wäre besonders auf Bundesebene heikel. Ich spreche nicht dem Volk Verantwortung ab, meine allerdings, dass es Aufgabe der Volksvertreter ist Entscheidungen zu treffen. Dafür werden sie bezahlt und dafür stehen sie gerade. Was passiert, wenn ein Entscheid die Todesstrafe fordert? VEs brauchen Fürsprecher. Sind sie redlich? Warum soll ich ihnen eher glauben als Politikern? Verfolgen sie kein Eigeninteresse? Den sauberen und erhabenen VE gibt es nicht. Er ist manipulierbar wie Tegel zeigt und 100% Tempelhofer Feld bewiesen hat. Aufdringlich wurde man angetanzt um mit möglichst wenig Info rasch zu unterzeichnen. Und den Initiatoren war es egal wie die Mehrheit zustande kam. Die Meisten unterzeichneten aus Politikverdrossenheit nicht um weiterhin Drachen steigen lassen zu können. VEs dienen einem Selbstzweck, nämlich der Beschaffung von Mehrheit um Druck auszuüben und Einfluß zu nehmen. VEs sind Instrumente der Macht. Sie wollen keine Debatte, sie diktieren.

  • Schade, dass diese 'in der letzten Wahlperiode nicht im Abgeordnetenhaus vertretenen Partei' (Zitat Text) wahrscheinlich im nächsten Parlament wieder vertreten sein wird. Wissen (die meisten von) deren Wähler eigentlich nicht, dass sie kein Bankhaus, keine große Firma, keine Hotel oder kein unvorstellbar großes Bankkonto haben?

  • Wenn es um die Offenlegung von Lobbyinteressen ginge, wäre der Artikel aller Ehren wert. Am Ende kommt er jedoch wieder typisch deutsch-grün elitär und paternalistisch daher:

    "Dieser [institutionalisierte Lobbyismus] könnte sich seine Zustimmung über den Umweg der direkten Demokratie sichern und dadurch verbindlich in die Politik einzugreifen versuchen, ja seine Gesetze nicht nur selber schreiben, sondern auch gleich abstimmen lassen."

    Klar und das würden nur die erleuchteten Herren Chacón und Behnis bemerken. Der Rest des verblödeten Wahlvolks würde sich willig hinter die Fichte führen lassen.

     

    Mal ganz abgesehen davon. Der institutionalisierte Lobbyismus existiert schon seit Gründung der BRD und braucht nicht den Umweg über die direkte Demokratie. Er greift gerade wie üblich in die Bundestagswahl ein.

  • Merkwürdig - der Volksentscheid "Neue Energie" war also nach dem Sponsoring durch SPD, Grüne, Linke, Piraten und ÖDP immer noch so richtig heimelig außerparlamentarisch? Ich würde dagegen halten, dass der kleine FDP-Trupp da gegenüber der Zahl der nicht parteigebundenen Unterstützer der Initiative im Vergleich zur breiten 5-Parteien-Koalition des Energie-Entscheids *wesentlich* näher am Ideal einer Grassroots-Bürgerbewegung ist. Aber dass Befürwortern der direkten Demokratie immer dann zuverlässig Zeter und Mordio und Untergang der Demokratie schreien, wenn ihnen das Thema oder die Organisatoren nicht passen, ist nichts wirklich Neues.

    • @TheBox:

      Der Volksentscheid "Neue Energie" wurde vom Berliner Energietisch und Attac initiiert - beide parteiunabhägig. Dazu kamen weitere Organisationen wie der Berliner Mieterverein und die GEW. Die von dir aufgezählten Parteien haben dieses breite Bündnis dann später unterstützt. https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Energietisch

       

      Das ist ein deutlicher Unterschied zu "Berlin braucht Tegel", eine Initiative, die von führenden FDP-Politikern konzipiert, gegründet und betrieben wurde bzw. wird. Die Initiative wird nicht von der FDP unterstützt, die Partei der selbsternannten "Tegelretter" IST die ursprüngliche Initiative. Insofern ist die Kritik im Kommentar völlig angemessen.

       

      Am übelsten an der Sache ist aber, dass die FDPler um Czaja den Leuten erzählen, dass es juristisch gar nicht so schwer und kostspielig wäre, Tegel offenzuhalten - was beides nachweislich nicht stimmt. Aber solange man ein paar Wählerstimmen mitnehmen kann, ist wohl jede Behauptung recht...

  • Tja, Vertreter einer politischen Partei sind eben auch Teil der Bevölkerung. Wer das Instrument der "direkten Demokratie" propagiert, muss auch mit den daraus entstehenden Gefahren leben. Wo will man denn die Grenze ziehen? Es gibt auch finanziell gut ausgestattete NGOs oder reiche Privatpersonen, die ein Volksbegehren mit den entsprechenden Mitteln pushen können. Sollen die auch ausgeschlossen werden? Verfassungsrechtlich dürfte es ohnehin schwierig sein, irgendjemanden zu verbieten, ein Volksbegehren zu initiieren. Also ganz oder gar nicht und nicht rumjammern, wenn's mal aus einer Ecke kommt, die man selbst nicht mag.

  • Ich bin baß erstaunt, daß Ryanair damit durchkommt, in Berlin Plakate mit direkten politischen Handlungsanweisungen auf Grüoßplakatwänden anzubringen, an Stellen, wo dies sonst nur Parteien genehmigt wird. Wird das jetzt zum Normalfall?

  • Wer die sagenhafte und vorbildliche Demokratie der Schweiz näher angeschaut hat, steht Volksentscheiden eher kritisch gegenüber.

    Die berliner FDP gibt offenbar gerade eine Idee davon ab, was los sein könnte, wenn das System "Volksentscheid" von denen genutzt wird, die viel Geld haben und ihre Kampagnen großangelegt in die Hände von professionellen Werbeagenturen geben können.

     

    Simples Beispiel:

    Die SP ("schweizer SPD") hat gegenüber der SVP ("schweizer AfD") immer einen Nachteil, weil hinter der SVP die schweizer Milliardäre und das Großkapital stehen.

    Antiausländerpolitik geht denen sowas vom Arsch vorbei. Das ist lediglich nur eine ganz perfide Stimmungsmache, um die Vollpfosten unter den Ankreuzern für völlig andere Interessen hinter sich zu scharen, da die Reichen sonst keine Mehrheit hätten.

     

    Aber da fängt das mit dem Denken und dem politischen Bewusstsein eben schon an.

     

    Die SVP kann sich somit nicht nur immer die besten Plätze für ihre Plakate sichern, sondern auch mindestens ebenso viel plakatieren wie alle anderen Parteien zusammen und zudem professionelle Hochglanzbroschüren in sämtliche Haushalte schicken.

     

    Volksentscheide sollten daher nur durchgeführt werden, wenn sich die Mehrheit mit den abzustimmenden Themen diversifiziert auseinandersetzen kann und es auch tut. Also die Vorraussetzung für einen mündigen und verantwortungsbewußt abstimmenden Souverän und somit für eine gesund funktionierende Demokratie gegeben ist.

     

    In Zeiten von Medien-Showdown- und Personenkult-Politik, wo es um "Gewinner mit Killerinstinkten" statt Sachtdiskussionen geht, und anderer Stuss im Fokus liegt, rate ich daher dringend von Volksentscheiden ab.