Kommentar von Ulrich Schulte zu Gratis-Kitas: Populär, aber nicht durchdacht
Die Forderung ist so populär, dass sie sich zu einem Wahlkampfschlager der SPD entwickeln könnte: Gratis-Kitas für alle! Kinder würden in Kitas schließlich nicht nur betreut, argumentieren die Fans der Gebührenfreiheit – der Besuch sei vielmehr ein wichtiger Teil der frühkindlichen Bildung. Entsprechend müsse die Kita wie später die Schule kostenlos sein.
Dass eine gute Kita segensreich wirkt, ist nicht zu bestreiten. Doch die SPD macht es sich mit ihrem Lieblingsthema etwas zu einfach. Kita-Gebühren sind, da wo sie noch erhoben werden, meist nach dem Einkommen der Eltern gestaffelt. Sie wirken progressiv, ähnlich wie die Einkommensteuer. Gutverdiener zahlen viel, Durchschnittsverdiener weniger – und arme Menschen sind in der Regel ganz befreit. Wer die Gebühren für alle streicht, subventioniert deshalb vor allem die obere Mittelschicht. Die Chefärztin aus Stuttgart würde viel mehr Geld sparen als die Friseurin, die sich die Wohnung in der Großstadt schon lange nicht mehr leisten kann.
Die Befürworter der Gratis-Kita argumentieren nun, dass sich kostenlose Bildung und faire Umverteilung nicht gegenseitig ausschließen. Dann müssten eben die Steuern für Gutverdiener deutlich erhöht werden. Stimmt, in einer idealen Welt wäre das kein schlechter Plan. Aber ist er realistisch? Mehrheiten für eine massive Umverteilung von unten nach oben über das Steuersystem sind nirgends in Sicht. Die SPD-Spitze traut sich nicht mal selbst, eine harte Erbschaft- und Vermögensteuer zu fordern – ganz zu schweigen von einem viel höheren Spitzensteuersatz. Und die Union ist im Parteiensystem so dominant, dass sie Umverteilung faktisch verhindern kann.
Das bedeutet: Die Fans der Gratis-Kita schaffen eine leidlich funktionierende Finanzierung für ein nebulöses Versprechen ab, das am Sankt-Nimmerleins-Tag kommt. Eine solche Strategie begeistert vielleicht besser gestellte Eltern, aber sie ignoriert die real vorhandenen Verteilungskonflikte. Denn Geld für gute Kitas wird dringend gebraucht. Erzieherinnen – es sind fast immer Frauen – sind lachhaft schlecht bezahlt, die Ausstattung der Kitas ist mies, die Betreuungszeiten sind in vielen Regionen zu eng. Man dürfe die Qualität eben nicht gegen die Gebührenfreiheit ausspielen, antworten dann die Gratis-Kita-Befürworter. Für alles müsse Geld da sein.
Mag sein. Nur leider sieht es in der Praxis anders aus. Die Länder setzen die Milliarden, die die Große Koalition bereitstellt, sehr unterschiedlich ein. Die einen investieren in Personal, andere schaffen Gebühren ab. Klug wäre, bei den Kitas zu priorisieren – und die Qualität vor das Umsonstversprechen zu stellen. Dazu gehörte aber der Mut, auf eine populäre Forderung zu verzichten.
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