Kommentar von Ulrich Schulte über die Folgen des CDU-CSU-Flüchtlingsdeals für Jamaika: Kein Hindernis für Schwarz-Gelb-Grün
CDU und CSU steigen taumelnd und geschwächt aus dem Ring wie zwei Boxer, die sich zwölf Runden lang verprügelt haben. Doch viel interessanter und entscheidender als die Nöte von Angela Merkel und Horst Seehofer ist die Frage: Ist die Union nach dem Krisengipfel noch koalitionsfähig? Verhindert ihre Einigung zu Flüchtlingen ein Jamaika-Bündnis? Ist sie für die Grünen untragbar?
Offiziell sind der Aufschrei und die Empörung in der Ökopartei groß. In der real existierenden Politik aber zeichnet sich schon jetzt ab, dass die Grünen den Kompromiss, wenn auch mit schmerzverzerrten Gesichtern, mittragen können.
Der schwierigste Punkt in den Koalitionsverhandlungen dürfte der Familiennachzug werden. CDU und CSU wollen ihn für Kriegsflüchtlinge, die nicht individuell verfolgt werden und deshalb nur „subsidiären Schutz“ bekommen, weiterhin aussetzen. Das ist für viele Grüne ein absolutes No-Go. Derzeit ist die große Mehrheit der Asylbewerber jung und männlich. Schon um einer erfolgreichen Integration willen wäre es völlig kontraproduktiv, ihnen den Nachzug ihrer Ehefrauen und Kinder weiter zu verwehren. Seehofer hat durchgesetzt, dass Deutschland nur 200.000 Menschen pro Jahr aus humanitären Gründen aufnehmen soll. Wie der Familiennachzug in eine solche Zahl integriert werden soll, ist schwer vorstellbar. Der Staat muss bei jedem dieselben Kriterien anlegen, nach denen er Verwandte nachholen kann.
Aber es gibt sie, die Chancen auf Einigung. Da wäre zunächst das in Deutschland garantierte Grundrecht auf Asyl. Die CSU gibt hier nach, sie will in Zukunft akzeptieren, dass das Grundgesetz bleibt, wie es ist. Damit zeigt Seehofer Realitätssinn – und schwenkt auf die Linie der Jamaika-Partner ein. Nun wurde das deutsche Asylrecht durch die Grundgesetzänderung 1993 faktisch entkernt, längst ist das europäische Asylrecht entscheidend. Seehofer macht also nur ein kleines Zugeständnis, aber eines mit Symbolwert.
Und was ist mit Seehofers Lieblingszahl 200.000? Auch sie bildet keine unüberwindbare Hürde. Der Passus ist hinreichend weich formuliert. Dort steht „Wir wollen erreichen“, und nicht: „Wir werden beschränken.“ CDU und CSU wünschen sich also etwas. Und wünschen kann man sich viel. Außerdem lässt sich die 200.000 auch anders interpretieren. Wenn das Grundrecht auf Asyl bleibt, aber jedes Jahr aus humanitären Gründen 200.000 Menschen aufgenommen werden, etwa über Resettlement-Programme des UNHCR, dann ist das nichts anderes als ein Flüchtlingskontingent. Kontingente für besonders schutz- und hilfsbedürftige Flüchtlinge wie beispielsweise die Jesiden sind ein Herzenswunsch der Grünen.
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