Kommentar von Lotta Drügemöller zur tödlichen Polizeigewalt von Oldenburg: Die Polizeigewerkschaft will Taser. Gern, wenn Beamte dafür ganz auf Schusswaffen verzichten
Es ist pervers. Ein junger Mann wird in Oldenburg von der Polizei erschossen – drei Schüsse gehen in den Rücken –, und die Deutsche Polizeigewerkschaft in Niedersachsen nutzt die schöne Gelegenheit, um eine alte Lieblingsforderung zu stellen: Man wünscht sich Taser. Also strenggenommen: mehr Waffen.
Das ist nur logisch: Will man ein Thema politisch durchboxen, muss man seine Chancen auf Aufmerksamkeit nutzen. Und so wird die Debatte um die Distanzelektroschocker regelmäßig aufgekocht, wenn Polizeitote zu beklagen sind: Hätten die Polizist*innen doch nur eine Alternative zur tödlichen Waffe, heißt es, dann müssten sie auch nicht schießen.
Nach dem, was wir über den Oldenburger Fall wissen, ist die Argumentation hier besonders unpassend. Na sicher doch: Wer einen jungen Mann, der mit Reizgas droht, mit drei Schüssen in den Rücken tötet, der hatte einfach keine andere Wahl.
Der Ruf nach den umstrittenen Elektroschockern wirkt eher wie ein Ablenkungsmanöver, um nicht stattdessen über überforderte Polizist*innen oder über Rassismus in der Polizei reden zu müssen.
Es macht mürbe, diese Aufrüstung als Lösung präsentiert zu bekommen und zum x-tenmal abzuwägen zwischen der Hoffnung, dass durch Taser doch ein tödlicher Schuss verhindert wird und den zusätzlichen Gefahren durch die „Distanzelektroimpulsgeräte“: 11 Tote nach Taserattacken hat es seit 2018 in Deutschland gegeben.
Doch Tatsache ist: Grundlegende gesellschaftlichen Probleme werden nicht morgen gelöst. Wenn wir kurzfristige Verbesserungen wollen, dann müssen wir in einer nicht perfekten Welt auch auf Schadensminimierung setzen. Und da könnten Taser durchaus eine Lösung sein. Man muss sie nur ein bisschen radikaler denken als die Polizeigewerkschaft.
Ein Gegenvorschlag an die Polizei: Ja, bitte – besorgt euch Elektroschockgeräte! Stattet alle damit aus, in jedem Bundesland. Aber um Himmels Willen: Gebt im Gegenzug endlich die Schusswaffen ab. Keine Streifenpolizistin, kein Bereitschaftspolizist sollte mit geladener Knarre durch die Straßen ziehen dürfen.
Ohne Waffe im Holster verhalten sich Polizist*innen erwiesenermaßen stärker deeskalierend – und gefährden so sich und andere weniger. Nicht jeder Einsatz, nicht jede Verfolgung muss um jeden Preis durchgezogen werden.
So revolutionär der Verzicht auf Schusswaffen klingt, so normal ist er andernorts: In Großbritannien etwa sind Polizist:innen in der Regel unbewaffnet unterwegs. Das macht sie nicht unbedingt zu besseren Menschen, auch die Londoner Polizei ist mit Rassismusvorwürfen konfrontiert. Aber etwas Entscheidendes ist anders: Seit 2020 sind in Großbritannien 13 Menschen durch Polizeischüsse gestorben. In Deutschland waren es seitdem 77.
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