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Generaldebatte im BundestagGetrieben von den Rechtsextremen

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Ohne die AfD wird es schwer, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Aber mit der AfD will es auch niemand.

Die Rechtsextremen stellen fast jeden vierten Abgeordneten im Parlament Foto: Lisi Niesner/reuters

S chon im Sommer werden die Menschen Besserung spüren, hatte Bundeskanzler Friedrich Merz in seiner ersten Regierungserklärung versprochen. Der Sommer ist da, die Regierung seit neun Wochen im Amt und die Generaldebatte zum Haushalt am Mittwoch zeigte: Was sich vor allem verändert hat, ist der Diskurs. Aber nicht zum Besseren.

Als stärkste Oppositionspartei durfte die AfD den Aufschlag machen, und Fraktionschefin Alice Weidel nutzte den Großteil ihrer gut halbstündigen Rede dazu, offen völkisch gegen Menschen mit Migrationsgeschichte zu hetzen. Von Sozialmigranten war die Rede und gar einer Transformation des deutschen Staatsvolkes durch Einbürgerungen. Der Applaus so kräftig wie nie. Die Rechtsextremen stellen fast jeden vierten Abgeordneten im Parlament.

Und wie reagierte der Bundeskanzler? Merz wehrte sich gegen die pauschale Herabwürdigung – seiner Regierung. Sich hinter die eben Verunglimpften zu stellen, kam ihm nicht in den Sinn. Wie auch? Was die schwarz-rote Regierung migrationspolitisch bewegt, entspricht dem, was die AfD schon lange fordert: kein Familiennachzug mehr, verschärfte Grenzkontrollen und das Ende schneller Einbürgerungen.

Da konnte sich der Kanzler noch so bewegt bei seinem Innenminister und beim Koalitionspartner bedanken, der SPD, die jede Verschärfung abnickt. Nicht sie geben den Takt vor, sondern die AfD. Am Donnerstag folgt der nächste Streich: Die Koalition will sichere Herkunftsstaaten künftig ohne Zustimmung von Bundestag und Bundesrat bestimmen und Menschen in Abschiebehaft den verpflichtenden Rechtsbeistand streichen.

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Neun Stimmen zu wenig

Natürlich lässt sich die AfD auch damit nicht zufriedenstellen. Weidel wird die Union weiter vor sich her treiben. Wie sehr eine Regierung die Migrations­politik auch verschärft – die Rechtsextremen werden immer noch mehr fordern. Wer ihre Forderungen übernimmt, liefert sich ihnen aus. Schon jetzt hat die AfD durch ihre Stärke die Macht, parlamentarische Kontrolle im Bundestag einzuschränken.

Ohne AfD können die beiden Oppositionsparteien Grüne und Linke keinen Untersuchungsausschuss mehr einsetzen. Dieses effektivste und schärfste Instrument, um Missstände der Regierung aufzudecken, kann das Parlament nur mit einem Quorum von 25 Prozent der Abgeordneten einsetzen. Aktuell wäre ein solcher Untersuchungsausschuss geboten, um die chao­tische Maskenbeschaffung von Jens Spahn aufzuklären.

Der Ex-Gesundheitsminister beschaffte in den ersten Wochen der Coronapandemie Masken für sagenhafte 6 Milliarden Euro – gegen Warnungen aus dem eigenen Haus und anderer Ministerien. Dabei setzte er auf seine Kontakte zu CDU-nahen Unternehmen. Spahn nutzte fast seine gesamte Redezeit am Mittwoch, um sein Wirken, das die Steuerzahler heute weitere vier Milliarden Euro kosten könnte, zu verteidigen. Transparenter wird es dadurch nicht.

Grünen und Linken fehlen neun Stimmen, um einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Die AfD stünde bereit, doch um welchen Preis? Mit denen, die die Demokratie schleifen wollen, demokratische Kontrolle sichern? Gerade die SPD, die ja die AfD verbieten lassen will, sollte sich der Einsetzung eines U-Ausschusses nicht verschließen. Generell kann keine demokratische Partei im Bundestag Interesse haben, der AfD Macht zuzubilligen – weder diskursiv noch institutionell. Denn die missbraucht ihre Macht bereits jetzt.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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3 Kommentare

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  • "Mit denen, die die Demokratie schleifen wollen, demokratische Kontrolle sichern?"

    151 Abgeordnete lösen sich nunmal nicht in Luft auf. Priorität sollte sein das Parlament funktionsfähig zu erhalten, dazu gehören auch Ausschüsse.

    In ganz Europa ist es bisher nicht gelungen rechte Parteien im Parlament durch Ausgrenzung klein zu halten. Da wird Deutschland ganz sicher nicht den Anfang machen.

    Eine Kooperation in Sachfragen bedeutet auch nicht gleich das Ende der Demokratie, es gilt das Land für die gegenwärtigen Herausforderungen richtig aufzustellen und wenn dabei auch aus der rechten Ecke Zustimmung kommt ist das akzeptabel und kein Weltuntergang. Nennt man auch "mit in die Verantwortung nehmen".

    Bei der heutigen Weltlage ist Pragmatismus angebracht, nicht Ideologie und erst recht keine parlamentarischen Grabenkämpfe.

    Wenn die Parteien die rechten Kräfte eindämmen wollen, dann müssen sie Politik machen die für die Menschen auch positive Auswirkungen hat und die direkt vor Ort spürbar ist. Wenn das nicht angegangen wird, dann bleibt nichts übrig als mit dem rechten Rand zu leben. Gelingt in anderen Ländern auch, teilweise sogar erstaunlich gut. Pluralismus halt!

    • @Sam Spade:

      Wenn in Sam Spades Beitrag "rechts" durch "links" ersetzt wird, stimme ich zu, auch wenn es derzeit keine 151 Abgeordnete links sind.



      Mit der Rechten, mit der wir es hier zu tun haben, sehe ich keine "Kooperation in Sachfragen", die pragmatisch sinnvoll wäre, ausser, es soll Merz' Abstimmungstaktik zur Grenzabweisung vor der BTW gutgeheissen werden.



      Beim "mit in die Verantwortung nehmen" denke ich an die Wannseekonferenz, als Nazis den Rest der Gesellschaft mit in die Verantwortung geholt haben. Dialektik zwischen Anlasser und Motor.



      Selbige Konferenz wurde ja schon simuliert.



      Und welche rechte Politik, Sam, hat "positive Auswirkungen für die Menschen und ist vor Ort spürbar" ? Melonis Schikanen gegen Homoehen vielleicht ?

      • @Plain Jane:

        Den Beitrag habe ich vor einem ganz bestimmten Hintergrund verfasst.

        Schon einmal bemerkt, dass die Diskussionen in Deutschland sich meist um sich selbst drehen?

        Die Zeiten sind aber vorbei in denen vor allem die Vergangenheit als Ausrede für alles herhalten konnte. Gilt für AfD, Israel, Aufrüstung und vieles mehr hinter dem man sich hier bisher gut verstecken konnte.

        Jetzt droht die Gefahr, dass die EU zwischen den Mächten Russland und USA aufgerieben wird und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich noch eine dritte Großmacht ins Spiel bringt.

        Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, die richtigen Weichen zu stellen und Prioritäten zu setzen. Dazu gehört auch dafür zu sorgen, dass Parlamente handlungsfähig sind und bleiben. Daher besser jetzt schon einmal mit der Idee anfreunden, dass bei wichtigen Entscheidungen unter Umständen die Stimmen aus dem Nichtregierungslager gebraucht werden und wenn es der Sache dient, dann sollte es egal sein aus welchem Lager sie kommen.

        Mir scheint es jedoch, dass die hiesige Mentalität in dem Glauben zu verharren scheint, das Weltgeschehen sei weit entfernt und das Leben wird schon seinen gewohnten Gang nehmen. Finde ich äußerst kurzsichtig