Kommentar über Vorwürfe gegen Hamburger Kita: Die Empörungsmaschinerie rattert
Einer Kita in Hamburg wird Diskriminierung vorgeworfen und die Medien springen darauf an – ohne Reflexion, ohne Recherche. Sie bedienen Ressentiments der Leser.
E in Elternpaar stößt in der Broschüre einer Hamburger Kita auf den Satz „Von den Familien mit Migrationshintergrund nehmen nur wenige unsere Betreuung in Anspruch“ und wendet sich damit an die Presse. Es sei migrantenfeindlich, mit eben diesem Sachverhalt zu werben. Die Presse greift den Vorwurf auf, bezeichnet das Verhalten der Kita als „asozial“, in den sozialen Medien empört man sich ebenfalls, die Kita erhält anonyme Schmähmails. Grundtenor der Empörung: die Elite bliebe unter sich, Integration würden nur die anderen leisten.
Es ist eine Empörungsmaschinerie, die einem Pawlowschen Reflex gleicht – sie kommt ohne Reflexion aus. Hätte irgend jemand die Broschüre zu Ende gelesen, wäre er auf die Passage gestoßen, dass Kinder jeglicher Herkunft in der Kita willkommen sind. Hätte sich jemand über den städtischen Träger informiert, hätte er oder sie erfahren, dass sie in nahezu allen Stadtteilen vertreten sind – auch in denen mit hohem Migrationsanteil. Medien haben schon immer mit Emotionen gearbeitet, es enthebt sie nicht der Pflicht der Recherche.
Die Treibjagd auf eine mutmaßlich diskriminierende Kita unterscheidet sich strukturell nicht von der auf die Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration: In beiden Fällen bedient ein mäßig gut begründeter Vorwurf die Ressentiments der LeserInnen. Bei der Kita-Debatte zielt er auf die reichen Vorortler von Hamburg. Sie als die eigentlichen und einzigen Verhinderer von Integration zu brandmarken, ist ein bisschen zu schlicht.
Die Mittelschicht zieht, da, wo sie es kann, ebenso ihre Mauern hoch. Die Ummeldungen, um das eigene Kind auf die richtige Schule im richtigen Umfeld zu bringen, finden unübersehbar in den Stadtteilen statt, wo die Mittelschicht zu Hause ist – und, anders als die Vorortler, gelegentlich unbeabsichtigt in die Nähe bildungsfernerer Milieus rückt. Und noch ein Blick vor die eigene Haustür: Die Redaktionen der bundesdeutschen Zeitungen, inklusive der taz, sind nach wie vor fest in der Hand der biodeutschen, bildungsbürgerlichen Mittelschicht. Homogener geht es kaum.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“