Kommentar türkische Imame als Spitzel: Zerreißprobe für Ditib
Die Spitzeldienste von Ditib-Imamen sind mehr als nur eine Panne. Der Verband muss aufhören, den verlängerten Arm Ankaras zu spielen.
V on einer „Panne“ kann man schon sprechen. Das betrifft aber eher die Art und Weise, wie der größte deutsche Islamverband, Ditib, bislang mit dem Vorwurf umging, einige seiner Imame hätten sich für die türkische Regierung als Spitzel betätigt. Über Gemeindemitglieder, die sie der Gülen-Bewegung zurechneten, erstatten sie pflichtschuldig Bericht nach Ankara, wie es von dort gewünscht wurde.
Und die Ditib-Zentrale in Köln? Erst tat man die Vorwürfe empört ab. Als eine regierungskritische Zeitung in der Türkei offensichtliche Beweise vorlegte, zeigte man sich überrascht, sprach von „Amtsmissbrauch“ der beschuldigten Imame und versprach Aufklärung. Und nun entschuldigt man sich und spricht von „Panne“.
Die Entschuldigung war überfällig, denn Seelsorge und Spionage vertragen sich nicht. Doch das Problem geht tiefer. Denn Ditib muss sich entscheiden, ob sich der Verband als religiöse Vertretung hiesiger Muslime verstehen will – oder als verlängerter Arm der türkischen Regierung. Bisher ist er beides. Von einer „Panne“ zu sprechen, verharmlost das Problem, denn es ist struktureller Natur.
Die Abhängigkeit des Verbands von Ankara ist ein offenes Geheimnis. Sie zeigt sich schon in der Satzung des Vereins, wo der Einfluss des türkischen Religionsministeriums festgeschrieben ist, wie der Deutschlandfunk kürzlich nachwies. Gut möglich, dass es eine solche Verquickung von staatlichen und religiösen Interessen auch anderswo gibt, etwa bei der russisch-orthodoxen Kirche in Deutschland.
Aber angesichts einer türkischen Regierung, die deutlich macht, dass sie gern entschiedener durchregieren möchte, und das bis nach Deutschland, wird das für Ditib zu einer Zerreißprobe. Nicht nur eine Anerkennung des Verbands als Körperschaft des öffentlichen Rechts rückt damit in weite Ferne. Schon im Interesse seiner eigenen Mitglieder, die sich in Deutschland zu Hause fühlen, muss sich Ditib von Ankara emanzipieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“