Kommentar neue Mieterproteste: Aufgeblasene Immobilienbranche
Die Mieten steigen. Ängste aus dem vertrauten Lebensumfeld vertreiben zu werden, treten hervor. Die Mieter sind abhängig.
D as Thema Wohnkosten ist in den Metropolen angekommen und versackt nicht mehr in Nischen, weil irgendwo mal wieder eine lokale Bewohnerinitiative lärmt. Die Preise bei Neuvermietungen sind in Städten wie Berlin, Hamburg und Freiburg im vergangenen Jahr um über 7 bis 8 Prozent gestiegen, also stärker als sonstige Lebenshaltungskosten und Löhne.
In bestimmten Regionen ballen sich die Arbeitsmarkt- und Bildungschancen und damit auch die Menschen, das treibt die Nachfrage in die Höhe. Zudem sehen Vermögende derzeit oft keine bessere Anlagemöglichkeit als Immobilien in begehrten Lagen. Die Höchstpreise wiederum senken die moralische Schwelle, aus Mietern herauszuholen, was nur geht – sei es bei Neuvermietungen, nach Modernisierungen oder durch Steigerungen aufgrund des Mietspiegels.
Doch das ruft tiefe Ängste hervor. Aus dem vertrauten Lebensumfeld vertrieben zu werden, die Anbindung an die Nachbarschaft zu verlieren oder keinen Platz für die Familie zu finden, nur weil das Geld für Innenstadtmieten nicht mehr reicht: Das ist eine existenzielle Furcht, die man nicht als Kiezromantik abtun darf.
ist Redakteurin für Gesellschaftspolitik im Inlandsressort der taz.
Ganz abgesehen davon, dass erst die Durchmischung verschiedener Einkommensgruppen ein Stadtviertel lebendig macht – wie auch Hochverdiener sehr wohl wissen. Es ist zynisch, wenn der FDP-Abgeordnete Stephan Thomae in einer Bundestagsdebatte zum Mietrecht auf die tollen öffentlichen Verkehrsmittel verweist, mit denen man sich doch vom Stadtrand aus so schnell in die Innenstädte bewegen könne.
Vorschläge der Grünen, der SPD und der Linken, Mietsteigerungen per Gesetz einzudämmen und nach Modernisierungen die Umlagen auf die Miete zeitlich zu strecken, sind daher ebenso richtig wie neue Finanzierungsideen für den sozialen Wohnungsbau. Würden die Mieterrechte gestärkt, dann würde die aufgeblasene Immobilienwirtschaft allerdings ihre Waffen zücken und mit dem Rückzug aus dem Neubau drohen.
Ihr Selbstbewusstsein ist groß, hat die Regierungskoalition ihr doch gerade eine Mietrechtsnovelle versprochen, die Bewohnern nicht mal mehr vorübergehend eine Mietminderung erlaubt, wenn der Hausbesitzer den Bau laut und schmutzig modernisiert. Dabei sind mehr staatliche Eingriffe nötig, um die explodierenden Preise zu stoppen. Einfach weil MieterInnen so abhängig sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe