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Kommentar netzpolitik.orgGrenzenloser Verrat

Daniél Kretschmar
Kommentar von Daniél Kretschmar

Den Betreibern des Blogs netzpolitik.org wird Landesverrat vorgeworfen. Das ist ein drastischer Angriff auf Pressefreiheit und Demokratie.

Markus Beckedahl wird jetzt zu so einer Art vaterlandsloser Geselle gemacht. Foto: dpa

L andesverrat also. Ein Wort wie aus der Gruft. Eigentlich beerdigt, so wie die Reaktionäre der jungen Bundesrepublik; vom Wind der Geschichte verweht wie der Repressionsapparat der DDR – so zumindest sah es fast aus. Aber nur fast, denn die Enthüllungen Edward Snowdens, nicht weniger als die aufklärende Arbeit der NSU-Ausschüsse in Bund und Ländern deuteten schon lange darauf hin, dass die deutschen Geheimdienste über die Jahre eine sehr eigene Rechtsauffassung entwickelt haben.

Die Dienste müssen sich sehr sicher in ihrer extralegalen Welt fühlen, dass sie den Vorstoß wagen, mit netzpolitik.org ein hervorragend vernetztes und populäres journalistisches Projekt so offen zu attackieren. Denn wie lange der letzte große Versuch her ist, ein Medium mit dem Vorwurf des Landesverrats einzuschüchtern und wie dieser Versuch damals ausgegangen ist, dürfte nicht nur Journalisten, sondern auch Verfassungsschützern bekannt sein.

Woher beziehen letztere also den Glauben, sie könnten heute mehr Erfolg haben gegen netzpolitik.org, als Franz Josef Strauß 1962 gegen Rudolf Augsteins Spiegel? Die Publicity war schon in den ersten Stunden nach Bekanntwerden des Ermittlungsverfahrens so groß, dass die Server des Blogs unter dem Ansturm der Anfragen beinahe in die Knie gingen. Solidaritätsbekundungen machen in riesiger Zahl auf den üblichen Social-Media-Kanälen die Runde. Was dabei recht schwer wiegt ist, dass auch etablierte Medien bis hin zur Tagesschau die Nachricht sehr hoch spielen. Sie alle haben genau verstanden, wem dieser Angriff gilt: allen unabhängigen Journalisten; mithin allen Journalisten.

Was nun folgen wird, sind Polarisierung und Eskalation. Durch ihren drastischen Schritt zwingt die Bundesanwaltschaft die Medien zur Parteinahme, und sei es nur indirekt, wie in der Gewichtung der Nachrichten. Unbeteiligte kann es naturgemäß nicht geben, wenn die Berichterstattenden selber das Ziel staatlicher Eingriffe werden.

Untätig gegen die NSA

Selbstverständlich werden diverse Stimmen nicht davon absehen können, die Ermittlungen gegen netzpolitik.org zu rechtfertigen. Je nach Marktsegment wird der Wahnidee des Landesverrats das Wort geredet, vielleicht auch sanfte Zweifel an dem drastischen Vorwurf angemeldet, aber prinzipielles Einverständnis mit polizeilichen Maßnahmen gegen Journalisten geäußert werden.

Die ganz klugen Köpfe werden den Bloggern, die in den vergangenen Jahren mehr investigative und aufklärerische Arbeit als so manche Vollredaktion geleistet haben, einfach den Status als Journalisten absprechen. Was sie alle vergessen werden zu erwähnen, ist die Untätigkeit der Bundesanwaltschaft angesichts der Massenüberwachung durch die NSA.

Nun wäre es natürlich eine recht billige Retourkutsche, Verfassungsschutz und BND für ihre Kumpanei, respektive Duldung ausländischer Geheimdienste selber Landesverrat vorzuwerfen. Der Fall ist in Wirklichkeit viel dramatischer, denn während deutsche Behörden die NSA und rechtsradikale Terroristen gewähren lassen, Journalisten aber verfolgen, verraten sie die Ideale einer freien und demokratischen Gesellschaft. Und diese Ideale, von denen die Freiheit der Presse nur eines ist, kennen keine Ländergrenzen und bewegen sich damit jenseits von so anachronistischen Kategorien wie dem „Landesverrat“.

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Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt
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12 Kommentare

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  • Es ist gut, wie der Autor hier die Ideale des freien Journalismus gegen die Staatsräson in Stellung bringt - gut und notwendig. Nur frage ich mich schon seit Langem, ob diese Ideale nicht schon sehr, sehr früh verraten worden sind. Mit der Etablierung der bürgerlichen Gesellschaft begann auch die Festigung ihrer Macht. Diese ging immer von den reichsten Bürgern (Kapitalisten) aus. Journalistische Freiheit ist deshalb seit sehr langer Zeit schon genau die Freiheit, die sich die herrschende Klasse leisten kann. Wenn's damit zu eng wird, werden auch die Journalisten schärfer an die Kandare genommen. Dafür sorgen in Deutschland Geheimdienste, Polizei und Staatsanwaltschaften (die noch nie ein Verbrechen der Bundes- oder Länderregierungen verfolgt haben!) Für 99 % ist die propagierte Freiheit eine Illusion. Ich setze immer noch auf das 1 % ...

  • Zu der Personalie Maaßen (einschl. Pushers Steinmeier via Murat Kurnaz)

    ist im around schon zuvor viel klares gesagt worden

     

    @MOWGLI -

    zieht treffend den Fokus sowohl horizontal - wie vor allem vertikal

    auf - ein via Nazideutschland kontinuierlich -

    Selbstreferenzielles System

    erhebt - ungeachtet - oder gerade dewegen¿ - NSU/NSA /brennender Flüchtlingsheime/Frontex &

    eines IM "Sollen wir die Arbeit der Schleuser erledigen!!!" sein -

    kaltäuguges Gorgonenhaupt.

     

    Gut - daß so eine breite Reaktion von

    in der Wolle gefärbter Demokraten das

    Maul aufmacht.

     

    "Wir sind - eine - keine - kleine -

    Radikale Minderheit!"

    Das flog einst schon IM Benda um die Ohren (ehe er öffentlich das Informationelle Grundrecht vertrat -

    ähnliches steht leider bei FrozenThomas nicht zu besorgen!)

    Diese - mag - wie jeder von uns

    Blinde Flecken haben -

    (schon Freud wußte - Das Unbewußte verschwindet nicht)

    Der Unterschied ist aber -

    Daß es in öffentlichen Prozessen möglich ist - einander an den Arm zu tippen - & zu sagen:

    " Ey - schau da mal hin - ok!"

     

    Eben das aber scheuen - bis zur Spitze hinauf diese a System

    klandestinen Verfassungsbedroher.

     

    Um es auf den Punkt zu bringen:

    Ein Maaßen dient sich&seine Behörde

    besorgten Eltern via IS an -

    Welch dreister Hohn -

    War es doch Murat Kurnaz besorgte Mutter - die sich an die Polizei wandte -

    Und das ekelhafte Tandem Maaßen/Steinmeier - die

    ihren Sohn auf Jahre

    schuld-&rechtlos in

    Guantanamo weggeschlossen ließ.

    Der Skandal ist doch - daß diese sauberen Herren nicht mindestens wg Freiheitsberaubung im

    Knast sitzen.

    • @Lowandorder:

      Zustimmung !

  • Eigentor!

    So entlarven sich die angeblichen Staatsschützer selbst. Grundgesetz - ade.

    Wir brauchen eine neue Behörde, die genau so, wie die Aufklärung durch das Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) funktioniert. Der Verfassungsschutz ist der auf dem rechten Auge total blind und beschäftigt Neonazi-Terroristen als Mitarbeiter. Wo bleibt da unsere Demokratie?

    Geht jetzt Deutschland den Erdogamn - Weg?

  • Die Überschrift deutet treffend an, dass Grenzenlosigkeit eine politische Absicht ist. "Verrat", globaler Fluss der Daten, gehört zum Programm des westlichen finanzkapitalistischen Systems. Dessen Art von Normalität kann nicht illegal sein.

  • Kommentar Teil 2:

    Die Orientierung an einer ethnischen Zugehörigkeit ist sekundär für (Rechts-)Extremisten, eine zwangsläufige Folge der Idee der Ungleichheit und der Autorität. Die Ethnie oder Rasse kann leicht durch die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe ersetzt werden, wenn der Antipluralismus, der Autoritarismus und der Glaube an die (Wesens-)Ungleichheit der Menschen stark genug sind und das Vertrauen in die Kraft der Demokratie erst mal verloren ist.

     

    Landesverrat begeht nach § 94 Strafgesetzbuch, wer "ein Staatsgeheimnis [...] an einen Unbefugten gelangen lässt oder öffentlich bekannt macht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt". Der "Anachronismus" besteht nun daraus, dass längst nicht jeder berechtigt ist zu entscheiden, wer die "Unbefugten" sind, was ein "schwerer Nachteil" ist und womit man eine "fremde Macht begünstigen" kann.

     

    Woher gewisse Verfassungsschützer "den Glauben [beziehen], sie könnten heute mehr Erfolg haben gegen netzpolitik.org, als Franz Josef Strauß 1962 gegen Rudolf Augsteins Spiegel"? Ganz einfach: Sie haben einen Riecher für den "Klimawandel". Ähnlich wie 17 Jahre nach dem Krieg sind auch heute wieder Schützengräben groß in Mode. Polarisierung und Eskalation gelten als Königswege zum Sieg. Unbeteiligte, heißt es, könne es "naturgemäß nicht geben", wo die eigene Gruppe zum Angriffsziel geworden ist. Die Bundesanwaltschaft zwingt DIE Medien zur Parteinahme – und DIE Medien lassen sich nur gar zu gerne zwingen.

     

    Übrigens: Daniel Kretschmar hat seine KollegInnen sehr unterschätzt. So gut wie jeder, der den "Fall" bisher kommentiert hat, hat in dem Zusammenhang auch die Untätigkeit der Bundesanwaltschaft angesichts der Massenüberwachung durch die NSA erwähnen. "Vergessen" ist anders, denke ich.

  • Kommentar Teil 1:

    Daniel Kretschmar scheint ja ziemlich sicher zu sein, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.

     

    Ich beneide ihn ein ganz klein wenig. Weil ich selber nämlich nicht so recht glauben kann, dass "die deutschen Geheimdienste über die Jahre eine sehr eigene Rechtsauffassung entwickelt haben". Ich denke, die "eigen[tümlich]e Rechtsauffassung" der Geheimdienste ist genau so "anachronistisch" wie der Begriff "Landesverrat" selbst. Sie ist nicht erst in den letzten Jahren entstanden. Sie war schon immer da. Sie hat bloß neuerdings wieder Konjunktur. Und das hat auch etwas mit Journalismus zu tun.

     

    Es sind wohl längst nicht nur gewisse Walldorf-Lehrer, die sich der eigenen rechtsextremen Prägung nicht so recht bewusst sein wollen. Auch Geheimdienstler und Journalisten haben Blinde Flecke. Was ist denn das Wesen eines (Rechts-)Extremismus? Sein Wesen besteht in der "Infragestellung der rechtlichen Gleichheit der Menschen" und in einem "antipluralistische[n], antidemokratische[n] und autoritär geprägte[n] Gesellschaftsverständnis". Und nun fasse sich doch bitte jeder erst mal an die eigene Nase.

  • Die träge deutsche Bevölkerung bekommt was sie verdient = mit ganz wenigen Ausnahmen Medien, die das schreiben was Berlin vorsingt, Ermittlungsbehörden die auf dem rechten Auge blind sind und auf Linke gnadenlos einprügelt, Banken die immer reicher werden und Massen von Menschen die am Existenzminimum leben.

     

    Offensichtlich tut all das noch nicht weh genug, denn noch erhebt sich der deutsche Michel nicht aus seiner Lethargie, bleibt lieber vor dem TV sitzen um sich irgend welchen Mist anzusehen anstatt auf die Straße zu gehen.

    • @Togijak:

      Selbst wenn der Deutsche auf die Straße gehen würde, was sagt dir er wisse überhaupt wie man richtig demonstriert? Die Streiks der letzten Jahre waren ja auch ausnahmslos Gruppenkuscheln ohne Anfassen.

      Nimm doch alleine mal den Bahnstreik, glaubt wirklich jemand dass wenn die Franzosen die Bahn bestreiken noch Züge fahren?

      Der Einzelhandel gehört auch mal wieder bestreikt, schön für eine Woche alle Supermärkte zu, danach kräht kein Hahn mehr nach Zugführern- und Pilotenstreiks.

  • Frau Merkel hat Hochverrat betrieben!

    Warum wird die Merkel nicht vor's Gericht gestellt und ENDLICH abgeurteilt???

  • Dieser Vorgang zeigt mal wieder deutlich, wie schwach die digitale Zivilgesellschaft - selbstverschuldet - ist. Es fehlt eine gemeinsame politische und aktionsgetriebene Strategie, um diese Regierung und den Überwachungsstaat in die Schranken zu weisen. Zu viel Ego, zu wenig Gemeinsinn, zu wenig politisches Bewusstsein.

     

    http://www.kulturnetz-drensteinfurt.de/joomla/index.php?option=com_content&view=article&id=133:-zivilversagen-am-abgrund&catid=44:sonstiges&Itemid=61

     

    Die aktuellen Aktionen und Kampagnen - mit Ansätzen von zivilem Ungehorsam - werden weder gemeinsam getragen noch in der Öffentlichkeit unterstützt. Jetzt ist das Gejammer groß. Aber es wird sich nichts ändern - befürchte ich!

     

    Und Merkel wird auch noch nach 2017 noch die Kanzlerin des überwachten Deutschlands sein.